Mittelfinger-Austausch am Wochenende in Marseille.

Foto: AFP/Tucat

Der Empfang sei "eisig" gewesen, berichteten Journalisten, die Éric Zemmour am Samstag auf einem quasi offiziellen Besuch der südfranzösischen Hafenstadt Marseille begleiteten. Niemand empfing den Rechtsaußen, der allen Berichten nach im kommenden Jahr neuer Präsident werden will, zu Gesprächen, weder Lokalpolitiker noch Ladenbesitzer. Nur ein Jugendlicher hielt ihn an: "Ich heiße Mohammed, ich bin in Marseille geboren. Erachten Sie Leute wie mich nicht als Franzosen?"

Zemmour überhörte die Frage und ging weiter. Als er in seinen Wagen stieg, zeigte ihm eine Frau den Stinkefinger. Zemmour antwortete mit der gleichen abfälligen Geste und fügte böse an: "Und tief hinein." Dummerweise hielt ein Fotograf die Szene fest, ohne dass dies Zemmour mitbekommen hatte. Pariser Medien stellten am Sonntag zu dem Mittelfingerbild Zemmours die Frage: "Darf das ein zukünftiger Elysée-Kandidat machen?"

Sogar im Ausland bläst dem 63-Publizisten, der seine Kandidatur in den nächsten Tagen erklären dürfte, der Wind ins Gesicht. In London musste er nach einer Beherbergungsabsage in ein Ibis-Hotel am Stadtrand ausweichen. In Genf erklärte die grüne Stadtpräsidentin Frédérique Perler feierlich, der rechte Polemiker sei "nicht willkommen". Während er im Hotel Hilton handverlesene Gäste empfing, hielten draußen 70 Vereine eine Protestkundgebung ab. Zemmour eckt überall an – und das hat gleich mehrere spezifische Gründe.

  • Zemmour ist ein Nationalist. Er hat eine ähnliche Auffassung von Frankreich wie Donald Trump von den USA: sein Land zuerst, und zwar sehr konkret. "Norditalien hätte französisch sein sollen", sagte er kürzlich ohne Umschweife. Denn zwischen der italienischen Stadt Mailand und dem französischen Nizza gebe es "keinen Unterschied", sagte er in einem Gespräch zum Norditalienfeldzug Napoleons. Zemmour will zwar nicht aus der EU oder der Eurozone austreten, weil beide die Wirtschaft stärken – Entscheide der europäischen Gerichte möchte er aber nicht akzeptieren.
  • Er provoziert bewusst. Vor einer Woche stand er in Paris wegen Anstachelung zum Rassenhass vor Gericht, nachdem er erklärt hatte, maghrebinische Minderjährige seien "Diebe, Mörder, Vergewaltiger". Das Urteil steht aus. Im Oktober hatte er an der Sicherheitsmesse Milipol vor laufenden Kameras ein (ungeladenes) Sturmgewehr gepackt und es auf einen Journalisten gerichtet; als dieser zurückschreckte, lachte er.
  • Zemmour hasst den Feminismus. Gefragt, ob die Frau an den Herd gehörte, antwortete er: "Das stört mich nicht." Dass seine Tochter Fußball spielte, fand er "niedlich", doch: "Fußball ist das nicht." Auch in der Politik hätten Frauen nichts verloren: "Es ist eine Katastrophe für die Gesellschaft, wenn die weiblichen Werte dominieren." Von sechs ehemaligen Mitarbeiterinnen der sexuellen Gewalt bezichtigt, bestritt er, theoretisierend: "Beim Sex zwischen Mann und Frau ist Gewalt im Spiel – zivilisierte Gewalt."
  • Zemmour vertritt die Theorie des Schriftstellers Renaud Camus, wonach die muslimische Immigration das "weiße" Frankreich ablösen und ersetzen werde. Dulden will er daher in Frankreich nur "völlig assimilierte Muslime". Erstaunlicherweise hat er auch einen gewissen "Respekt" für Selbstmordterroristen: "Ich respektiere Leute, die für das, woran sie glauben, zu sterben bereit sind."
  • Er deckt Antisemiten. Zemmour verteidigt Marschall Pétain, Nazi-Kollaborateur im Zweiten Weltkrieg. Pétain habe viele französische Juden gerettet, behauptet er im völligen Widerspruch zu allen seriösen Historikermeinungen. Dass Zemmour einen erklärten Antisemiten wie Pétain unterstützt, ist umso erstaunlicher, als er selber jüdisch-algerischer Abstammung ist. (Stefan Brändle aus Paris, 29.11.2021)