Er galt als Popstar der Modewelt. Virgil Abloh war aber noch mehr. Für viele war er der "Messias der Mode". Dem amerikanischen Designer gelang es, den Zeitgeist am Schlafittchen zu packen. Abloh machte Streetwear-Fans Appetit auf die Luxusmodeindustrie: Alles, was mit seinem Namen zusammengebracht wurde, verkaufte sich in kürzester Zeit.

Dabei war Virgil Abloh, 1980 als Sohn ghanaischer Einwanderer in Rockford, Illinois, geboren, kein ausgebildeter Modedesigner. Er war dem Wunsch seines Vaters gefolgt und hatte sich erst zum Bauingenieur und dann zum Architekten ausbilden lassen.

Praktikum bei Fendi

Die Mode kam ihm dazwischen: 2009 absolvierte er mit Kanye West ein Praktikum bei dem italienischen Modehaus Fendi in Rom. Für Wests Firma Donda entwickelte Abloh dann als Kreativchef Merchandise-Produkte und Showkonzepte. 2012 startete er sein eigenes T-Shirt-Label Pyrex Vision, ein Jahr später folgte die Gründung des Modelabels Off-White.

Seit 2018 verantwortete Abloh auch die Männerkollektionen für Louis Vuitton. Seine Berufung in den Olymp des europäischen LVMH-Konzerns provozierte: Ausgerechnet ein Quereinsteiger bekommt einen solch prestigeträchtigen Posten, hieß es damals. Das Engagement des Amerikaners läutete auch ein langsames Umdenken der Modeindustrie ein. Abloh war der erste afroamerikanische Kreativchef bei Louis Vuitton und neben Olivier Rousteing einer der wenigen schwarzen Designer, die an der kreativen Spitze eines Luxusmodehauses saßen.

Virgil Ablohs erste Männermode-Show für Louis Vuitton.
Louis Vuitton

Der 41-Jährige, der zwischen seinen Büros in Mailand, Paris und London und seinem Zuhause Chicago, wo er mit Ehefrau Shannon und den Kindern Lowe und Grey lebte, pendelte, galt bald als der König der Kooperationen: Er designte für Ikea, entwarf einen transparenten Koffer für Rimowa wie für Moët & Chandon eine Champagnerflasche. Selbst für die vieldiskutierten Nike-Looks von Tennisstar Serena Williams war Abloh verantwortlich.

Hinsichtlich seines Verkaufstalents erinnerte Abloh an Karl Lagerfeld in dessen besten Zeiten: Wenn der Hamburger mit Fächer, Sonnenbrille und Skizzenblock den Star der alten, weißen, europäischen Modewelt darstellte, dann stand Virgil Abloh für die rasanten Veränderungen, die die Modeindustrie in den letzten Jahren durchlief. Schon lange ging es nicht mehr nur um das Entwerfen von Kollektionen, sondern auch um Instagram, um Authentizität, um Identität, um popkulturelle Auskennerschaft.

Vermählung von Luxusmode und Streetwear

Jene stellte Abloh gern unter Beweis: Wenn er an einem freien Abend Lust auf ein Konzert habe, fliege er spontan von Chicago nach Schweden, hatte er einst dem Magazin "New Yorker" erklärt. Sein modisches Erweckungserlebnis: die spacigen "Join a weird trip"-Motive, die der damalige Balenciaga-Designer Nicolas Ghesquière 2012 auf Neoprenpullover druckte. Damals sei ihm klar geworden, dass es in der Luxusmodeindustrie ein Bedürfnis nach Streetwear gebe, hat Abloh mehrmals erklärt.

Der Amerikaner bewies, dass die Welten, die er für Louis Vuitton, Nike, Off-White und viele andere Marken entwarf, in der Bilderflut der sozialen Netzwerke bestehen konnten, ja mehr als das: Er erreichte neue Zielgruppen.

Eindrucksvollstes Beispiel: Ablohs Debüt bei Louis Vuitton. Von den 56 Männermodels, die in seiner ersten Show über den Laufsteg marschierten, waren rund die Hälfte nicht weiß. Das hatte es bis dahin noch nie bei dem altehrwürdigen Modehaus gegeben. Neben Profimodels wurden Rapper wie Playboi Carti und Kid Cudi verpflichtet oder der Arsenal-London-Spieler Héctor Bellerín. Die Männer mit den millionenschweren Instagram-Accounts versprachen Aufmerksamkeit bei jenen jungen "Hypebeasts", die für die neuesten Yeezy-Sneaker mehrere Hundert Euro ablegen und nun bereitwillig bei Louis Vuitton shoppten.

Der 1980 geborene Abloh schien sich immer der Generation Internet, den Kids mit den richtigen Sneakern an den Füßen und den ironisch-coolen Insta-Accounts nahe zu fühlen, obwohl er selbst eher der Generation X angehörte. Nicht nur sie werden ihn vermissen: Abloh starb am Sonntag im Alter von nur 41 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Sie war 2019 diagnostiziert worden, er hatte sich dazu entschieden, die Erkrankung nicht öffentlich zu machen.

LVMH-Chef Bernard Arnault würdigte den 41-Jährigen in einer Mitteilung als "genialen Designer, Visionär" und als "Mann mit einer schönen Seele und großer Weisheit". Erst im Sommer hatte der Luxuskonzern 60 Prozent seines Labels Off-White übernommen, darüber hinaus hätte Abloh innerhalb des Konzerns eine tragende Rolle einnehmen sollen. (feld, 28.11.2021)