Ex-Kanzler Sebastian Kurz zu Gast bei seinem Parteikollegen, dem Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Nach Publikwerden der sogenannten Inseratenkorruptionsaffäre distanzierte sich Wallner von solchen Praktiken. Nun vermuten Oppositionsparteien versteckte Parteienfinanzierung im Ländle und verlangen von Wallner Antworten.

Credit: Bundeskanzleramt/Dragan Tatic

Nachdem bereits Mediensprecherinnen und Mediensprecher mehrerer Parlamentsparteien das in Vorarlberg jahrelang gut funktionierende System von Inseratenvergaben, die zumindest einem ÖVP-Mann und vielleicht auch der ÖVP selbst zugutekamen, scharf kritisiert und Reformen gefordert hatten, nahmen am Montag auch die Vorarlberger Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos ausführlich dazu Stellung. Sie brachten außerdem parlamentarische Anfragen ein.

Das System Kessler

Der Hintergrund: Seit Jahren hat Jürgen Kessler, der Direktor des Wirtschaftsbundes, einer ÖVP-Teilorganisation, Anteile an einer Firma, die das Anzeigengeschäft verschiedenster Magazine, etwa von der Wirtschaftskammer Vorarlberg, der Landeslandwirtschaftskammer und der Vorarlberger Jägerschaft, abwickelt. Beim Magazin des Wirtschaftsbundes namens "Vorarlberger Wirtschaft" ist Kessler Chefredakteur und Anzeigenchef, die einzelnen Ausgaben des Magazins sind gespickt mit Inseraten Vorarlberger Unternehmen. Viele davon sind von Tochtergesellschaften des Landes, etwa von der Hypo. Laut Neos geht es dabei zumindest um einen Umfang von über 230.000 Euro seit 2013: 114.000 Euro von der Vorarlberger Landes-Hypothekenbank Aktiengesellschaft, 99.000 Euro von der Hypo Vorarlberg AG, 13.200 Euro von der Vorarlberger Kraftwerke AG sowie 6.300 Euro von der Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH.

Ein ganzseitiges Inserat kostet in der "Vorarlberger Wirtschaft" 3.000 Euro, ab einem Betrag von 3.500 Euro können Inserate als Parteispenden gelten. Aus den Rechenschaftsberichten der ÖVP geht nicht hervor, wie viel Geld vom Wirtschaftsbund jährlich an die Partei geht. An Kesslers Firma (er hält 49,9 Prozent) ist auch Vorarlbergs größtes Medienunternehmen Russmedia mit 40 Prozent beteiligt. Russmedia druckt die Magazine der Wirtschaftskammer und des Wirtschaftsbundes.

SPÖ mit 17 Fragen

Weder Kessler noch Landeshauptmann Markus Wallner, der als ÖVP-Obmann in Vorarlberg für den Wirtschaftsbund zuständig ist, kommentierten bislang die Berichte. Russmedia betonte, man gebe keine Auskunft zu Beteiligungen.

Es könne nicht sein, dass man auf berechtigte Fragen zu dem System mit "Totstellreflex" reagiere, heißt es von der SPÖ am Montag. Nun soll zumindest Wallner Auskunft geben: Die Anfrage der SPÖ umfasst 17 Fragen an den Landeshauptmann. "Es steht der Verdacht der indirekten Parteienfinanzierung im Raum", sagt Landtagsabgeordnete Manuela Auer. "Wir möchten ausschließen, dass die Vorarlberger Volkspartei dieselbe Praxis anwendet wie die Bundes-ÖVP unter Altkanzler Sebastian Kurz. Solche Methoden wollen wir in Vorarlberg nicht."

Die SPÖ fordert in ihrer Anfrage nicht nur eine Aufschlüsselung, wie viel Geld der Wirtschaftsbund der ÖVP in den letzten Jahren hat zukommen lassen. Auch wie hoch das Auftragsvolumen für Inserate von Tochtergesellschaften des Landes in Zeitungen der Wirtschaftskammer war und was die Motive dieser Unternehmen für die Schaltungen sind beziehungsweise waren, soll Wallner beantworten. Und natürlich auch, ob er in Kesslers Doppelrolle eine Unvereinbarkeit sieht.

Anfragen bereits 2010

Das weckt bei so manchem Abgeordneten Erinnerungen. Denn schon vor elf Jahren wollten Grüne und SPÖ in einer gemeinsamen Anfrage Ähnliches wissen. Der Landeshauptmann hieß noch Herbert Sausgruber. Der Anlass: Der damalige Finanzreferent des Wirtschaftsbundes habe in "erfrischender Offenheit" nicht nur dargelegt, dass sich der Wirtschaftsbund über die Mitgliedsbeiträge und über den Inseratenverkauf der Wirtschaftsbundzeitung finanziert, wie es in der Anfrage heißt.

Der Mann hatte auch eingeräumt, dass der Wirtschaftsbund die ÖVP finanziell bei Wahlgängen unterstützt. Und weil im Magazin "Vorarlberger Wirtschaft" viele Inserate von Unternehmen kämen, die zumindest im teilweisen Eigentum des Landes Vorarlberg stehen – wie beispielsweise die Hypo oder die Vorarlberger Kraftwerke (VKW) –, würden "über die Hintertür von Bankgebühren, Strom- und Erdgaspreisen ÖVP-Wahlkämpfe finanziert", wie es in der damaligen Anfrage hieß. Der Landeshauptmann verwies in seinen Antworten darauf, dass er keinen Einfluss auf das operative Geschäft der Landesgesellschaften nehmen könne.

Grüne und Neos fordern ein Ende

"Bereits damals stand eine mögliche Querfinanzierung und damit der Verdacht auf verschleierte Parteifinanzierung im Raum. Diese Praktik wurde, wie die aktuelle Berichterstattung zeigt, offenbar nicht beendet, sondern im Gegenteil weiter ausgebaut und professionalisiert", sagt Daniel Zadra, Klubobmann und Landessprecher der Vorarlberger Grünen sowie Koalitionspartner der ÖVP. Nun müsse "auch im Lichte der Ereignisse auf Bundesebene, Stichwort Inseratenkorruption", endlich und "umgehend" Schluss damit sein.

Auch die Neos fordern Aufklärung. Schon am Freitag wiesen sie in einer Aussendung darauf hin, dass die aktuellen Recherchen zeigen würden, dass endlich das eigentlich bereits beschlossene Parteienfinanzierungsgesetz umgesetzt werden müsse. In den Rechenschaftsberichten der Parteien müssten dann auch alle Einnahmen und Ausgaben von Teilorganisationen, Personenkomitees, Bünden sowie Landtagsklubs angeführt werden. Und zum konkreten Fall fordern die Pinken, dass "die Kammerzeitung nicht das Privatgeschäft des Wirtschaftsbunddirektors" sein dürfe, es brauche eine sofortige Entflechtung.

Pinke Anfrage thematisiert auch Inserate des Landes

Bezüglich der Rolle landeseigener Unternehmen gebe es viel Aufklärungsbedarf. Denn bei den 230.000 Euro seit 2013 handle es sich nur um Infos aus der Datenbank "Medien-Transparenz.at". Da in dieser Datenbank "bei weitem nicht" alle Zahlungen für Werbeschaltungen erfasst seien, stelle sich die Frage, "inwiefern das Land und landeseigene Unternehmungen hier insgesamt die 'Vorarlberger Wirtschaft' und damit indirekt den Vorarlberger Wirtschaftsbund beziehungsweise schlussendlich die Vorarlberger Volkspartei unterstützt haben", schreiben die Neos zu ihrer Anfrage.

Seit 2017 hat das Land Vorarlberg Inserate in Höhe von zumindest 114.667 Euro in den diversen Magazinen geschaltet. Die Neos wollen nun wissen, ob diese von Kesslers Firma abgewickelt wurden. Dabei geht es um Inserate im Wert von 26.363 Euro in der "Vorarlberger Wirtschaft", 4.023 Euro für das Magazin der Wirtschaftskammer "Check! Check! Lehre", für die Zeitung "Thema Vorarlberg" – ebenfalls Wirtschaftskammer – sind es 75.599 Euro, 3.385 Euro Inserate für "Arzt im Ländle" (Ärztekammer) und 15.068 Euro für Inserate in der Zeitung "Unser Ländle" (Landwirtschaftskammer).

ÖVP-Landesgeschäftsführer sieht keinen ÖVP-Bezug

Während es am Montagvormittag noch so aussah, als wären die Inserate Causa Prima in der Vorarlberger Politik, richtete sich die Aufmerksamkeit am Mittag auf die SPÖ: Deren Klubobmann Thomas Hopfner gab seinen Rücktritt nicht nur von diesem Posten, sondern auch aus der Partei bekannt. Er bleibt als wilder Abgeordneter. Hopfner war in die parteiinterne sogenannte "Abhöraffäre" involviert.

Wallner und der ÖVP dürfte das kurzfristig gelegen kommen, Antworten sind aber so oder so fällig: Für die Beantwortung der parlamentarischen Anfragen ist bis 20. Dezember Zeit. Auf Fragen des STANDARD verwies der Landeshauptmann am Montag auf den Landesgeschäftsführer der Vorarlberger ÖVP, Dietmar Wetz. Dieser sagte dem ORF Vorarlberg, man sei nicht Dienstgeber des Wirtschaftsbund-Direktors und das sei eine eigene Firma. Er gehe aber von aus, dass dort alles rechts abgelaufen sei. Was die ÖVP betreffe habe die vom Wirtschaftsbund gemeldete Summe nie die 3.500 Euro überschritten. Es habe eine klare Ausschreibung seitens der Wirtschaftskammer gegeben, wer die Inserate betreut. "Immer automatisch den ÖVP-Bezug herzustellen ist ein bisschen weit hergeholt", so Wetz.

An den STANDARD schrieb Wetz, dass man versteckte Parteifinanzierung "jedenfalls ausschließen" könne. Man melde jedes Jahr transparent, welche Spenden oder Inserate "an uns oder eine Teilorganisation getätigt wurden". Kessler antwortete auf eine Anfrage nicht. Dieser befinde sich aktuell wegen Covid-Erkrankung in Quarantäne, hieß es vom Wirtschaftsbund.

Weswegen Wallner nicht auf Anfragen von Ö1 reagierte – die Journalisten sprachen von einer regelrechten "Mauer des Schweigens" – will die FPÖ in ihrer Anfrage (unter anderem) wissen.

ÖVP-Granden zu Gast

Dass Kessler nicht nur mit Vorarlberger Unternehmern bestens vernetzt ist, sondern auch die türkise Bundespolitik gerngesehener Gast bei Kessler beziehungsweise dem Wirtschaftsbund war, untermauern viele Fotos. Nicht nur Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz war zu Gast, sondern auch Europaministerin Karoline Edtstadler, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer. Letzterer war 2016 voll des Lobes für Kessler. Mahrer antwortete Kessler ("Danke für Deinen Einsatz") auf Facebook: "No1 im Ländle... the best man for the Job ... let's keep on pushing." (Lara Hagen, 29.11.2021)