Auch fast 40 Jahre nach der Veröffentlichung der "Hitler-Tagebücher" bleibt die Frage: Wie konnte der "Stern" nur auf den Fälscher Konrad Kujau hereinfallen? Ab Dienstag versucht RTL Plus mit seiner Miniserie "Faking Hitler" eine Antwort zu geben.

STANDARD: Als der "Stern" 1983 die "Hitler-Tagebücher" veröffentlichte, war das Interesse weltweit enorm. Können Sie die Faszination des angeblich "privaten Hitlers" nachvollziehen?

Eidinger: Ob die Tagebücher nun gefälscht waren oder nicht, hat mich nie interessiert. Im Zuge der Dreharbeiten zu "Faking Hitler" hat mir der "Stern" angeboten, die Originalfälschungen im verlagseigenen Archiv anzusehen.

Foto: RTL / Wolfgang Ennenbach

STANDARD: Und was sahen Sie?

Eidinger: Ich bin nicht hingegangen, da ich diese Faszination nicht teile. Da bin ich extrem vorsichtig. Ich tue mir auch mit dem Titel der Serie schwer. Während der Dreharbeiten stand auf meinem Stuhl mein Name und der Name der Produktion – "Faking Hitler". Ich setze mich nicht auf einen Stuhl, auf dem Hitler steht, ich habe dann einen anderen genommen.

STANDARD: Was machte Ihnen Schwierigkeiten?

Eidinger: Ich finde es gefährlich, diesen Namen so inflationär unreflektiert auszusprechen oder Hitler zu einer Witzfigur zu stilisieren. Da läuft man Gefahr, Geschichte zu banalisieren. Man muss immer in dem Bewusstsein reden und denken, wofür diese Person steht. Man darf die Opfer nicht durch Verharmlosung degradieren, dieses Bewusstsein will ich mir bewahren.

STANDARD: Haben Sie "Schtonk! "gesehen, die Verfilmung des Skandals aus dem Jahr 1992?

Eidinger: Nein. Ich habe sowieso sehr wenige Filme gesehen bei mir zu Hause. Und nun wollte ich ihn bewusst nicht sehen, um Götz George, der damals den "Stern"-Reporter Gerd Heidemann spielte, nicht als Referenz im Kopf zu haben. Ich wollte nicht beeinflusst werden.

STANDARD: "Faking Hitler" thematisiert, ähnlich wie "Schtonk!", den Skandal auf humoristische Weise. Aber es gibt eine zweite Geschichte ...

Eidinger: ... die eine extrem wichtige Dimension hineinbringt. Sinje Irslinger spielt eine junge Reporterin, die herausfindet, dass ihr Vater bei der Waffen-SS und an Erschießungen in der Normandie beteiligt war.

Foto: TVNOW / Wolfgang Ennenbach

STANDARD: Da hat die Satire Pause.

Eidinger: Ich finde es generell fragwürdig, ob man dem Thema humoristisch begegnen sollte.

STANDARD: Darf man?

Eidinger: Eine Grenze besteht dort, wo durch Satire verharmlost wird oder die Gefahr von Verfälschung und Banalisierung droht. Sich einfach über die Hitler-Tagebücher lustig zu machen wäre zu einfach. Da hätte ich nicht mitgespielt.

STANDARD: Jetzt spielen Sie "Stern"-Reporter Heidemann. Was hat den Ausschlag gegeben?

Eidinger: Die Figur hat mich fasziniert. Heidemann galt damals als einer der herausragendsten Journalisten seiner Generation. Und er hat Nazi-Devotionalien gesammelt, sein Reihenhaus verkauft, um die Yacht von Hermann Göring zu erwerben. Da kann man nicht nur komödiantisch rübergehen und das als verrückten Spleen abtun. Man muss hinterfragen, was dahintersteckt.

STANDARD: War Heidemann derjenige, der den "Stern" verführte? Oder wurde er seinerseits vom Tagebuchfälscher Konrad Kujau verführt?

Eidinger: Verführung finde ich einen schwierigen Begriff. Weil da tut man so, als würden Leute nicht im vollen Bewusstsein agieren. Oft ist es viel mehr Überzeugung als Verführung. Ich versuche, eine solche Handlung nachvollziehbar zu machen, will sie aber nicht werten. Da würde ich mich moralisch über Heidemann erheben. Aber ich sehe schon Parallelen zu heute.

STANDARD: Welche sind das?

Eidinger: Heidemann sagte über sich selbst, er sei kein Nazi. Heute benutzen Menschen das N-Wort und behaupten wie selbstverständlich, keine Rassisten zu sein. Da macht man sich etwas vor. Sprache ist verräterisch und sagt etwas über die Gesinnung aus.

STANDARD: Der Titel der Serie spielt ja auf Fake-News an. Sehen Sie darin eine Warnung, nicht alles zu glauben?

Eidinger: Die Tagebücher haben für mich nichts mit Fake-News zu tun. Fake-News sind bewusst falsch gesetzte Nachrichten, mit denen Menschen manipuliert werden sollen. Mit den Hitler-Tagebüchern hingegen sollte Profit gemacht werden. Viel verblüffender ist ja, wie plump die Fälschungen waren. Es stimmten nicht mal die Initialen AH auf der Kladde, da stand FH.

Foto: RTL / Martin Valentin

STANDARD: Nicht gut kommen in "Faking Hitler" die Männer weg: kettenrauchende Platzhirsche, die sich für ungeheuer wichtig halten.

Eidinger: Es gibt kaum eine Einstellung, in der ich nicht rauche. Mir standen allerdings beim Dreh nikotinfreie Zigaretten zur Verfügung. Diese Männerherrlichkeit und Dominanz zu thematisieren war mir wichtig. Ich glaube, man macht sich was vor, wenn man sagt, heute sei es ja alles ganz anders.

STANDARD: Ein paar Schritte bei der Gleichberechtigung hat es aber seit den Achtzigerjahren schon gegeben.

Eidinger: Aber wenn es keine radikale Veränderung gibt, werden die Frauen in naher Zukunft immer noch nicht gleichberechtigt sein. Weil die Männer nicht bereit sind, ihre Privilegien und ihren Status aufzugeben. Im Moment denken die Männer noch, die Frauen müssten einfach aufschließen. Aber das ist unmöglich. Die Männer müssen absteigen. Und die Frage ist: Sind Männer dazu bereit?

STANDARD: Sind Sie persönlich es?

Eidinger: Ja. Ich frage mich oft, wie würde eine Stadt oder die Welt aussehen, wenn sie von Frauen regiert würde. Manchmal sehne ich mich nach einer weiblicher Revolution, damit wir aus dieser Sackgasse herauskommen. Es ist Zeit, das Patriarchat abzuschaffen.

STANDARD: Auf welches Privileg müssten Sie verzichten?

Eidinger: Auf vieles. Ich bin extrem privilegiert. Es gibt für Frauen nicht die attraktiven Rollen, die es für Männer gibt. Man diskutiert ja im Moment, ob James Bond weiblich sein sollte. Ich fände es sinnvoller, wenn der Bösewicht eine Frau ist. Oder ein Psychopath, wie ich ihn als Kai Korthals im Kieler "Tatort" dargestellt habe, weiblich sein dürfte. Weil das sind die interessanteren Rollen.

STANDARD: Kai Korthals trat in drei Teilen auf. Kommt ein vierter?

Eidinger: (lacht) Nein, mir reicht es jetzt auch. Der kommt nicht wieder.

STANDARD: Sie bekommen viele gute Kritiken. Freut Sie das uneingeschränkt? Oder ist es auch Last?

Eidinger: Es ist ein schmaler Grat. Natürlich habe ich den Ehrgeiz, dass das, was ich mache, dem Publikum gefällt. Es verbietet sich geradezu, sich als Künstler*in vom Publikum unabhängig zu machen. Trotzdem versuche ich nicht gefällig zu sein und eine vermeintliche Erwartung zu erfüllen.

STANDARD: Wie schaffen Sie die Balance?

Eidinger: Der Schlüssel liegt darin, die eigenen Grenzen zu sprengen und auch Widerstände zu überwinden. Ich will das Publikum verführen, mit mir diesen Weg zu gehen. Nach dieser Intensität habe ich eine Sehnsucht, das treibt mich an. Eine Rüstung schützt den Ritter im Kampf. Aber mit offenem Visier kann man sich treffen lassen und erlebt mehr.

STANDARD: Sie verzichten auf die Ritterrüstung?

Eidinger: So gesehen: ja. Ich werde ja oft gefragt, warum ich so häufig nackt auf der Bühne bin. Ich habe keinen Hang zum Exhibitionismus, geniere mich sogar eher. Aber ich will mich schutzlos zeigen und aussetzen, weil ich da am meisten erlebe und weiterkomme.

STANDARD: Würden Sie auch Hitler spielen?

Eidinger: Ich habe mal an der Schule den Arturo Ui gespielt. Eine Figur, die an Hitler erinnert, das spricht mich mehr an als ein Reenactment. Zu sagen "Ich bin Hitler" – das würde ich nicht machen. Mir wurde ein Drehbuch angeboten, da sollte ich Goebbels spielen. Die Vorstellung, dass daneben ein Kollege mit angeklebtem Bart steht, der das "R" rollt, hat mich so abgestoßen, dass ich abgesagt habe. (Birgit Baumann, 29.11.2021)