Auf einmal platzt es aus ihm heraus: "Ihr Journalisten wollt es immer vereinfachen, aber so einfach ist es nicht immer." Na, hat vergangene Nacht vielleicht auch der zertifizierte Schlafmediziner schlecht geschlafen?

Und wieder eine durchwachte Nacht. Neben dem eh schon normalen Stress kommt jetzt die Pandemie hinzu, was viele schlecht schlafen lässt – und Folgen hat.
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Michael Saletu ist Facharzt für Neurologie und seit 2013 Somnologist. Eine einfache Antwort hat er dann aber doch für uns. Behandlungswürdig sind Ein- oder Durchschlafstörungen dann, wenn sie mindestens drei Monate lang zumindest an drei Tagen pro Woche auftreten und wenn man sich deswegen tagsüber nicht wohlfühlt. Schläft man seltener nicht, oder wenn man zwar schlecht schläft, aber den ganzen Tag über trotzdem fit ist, brauche man sich keine allzu großen Sorgen machen, erklärt Saletu.

Rund ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher dürfte unter Schlafproblemen leiden – genaue Zahlen gibt es dazu hierzulande nicht. Bei rund zehn Prozent der Menschen in Österreich sind die Schlafprobleme so dramatisch, dass diese behandelt gehören. Das ist entsprechend ebenfalls eine Schätzung.

Michael Saletu ist zertifizierter Schlafmediziner.
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Schlafstörungen werden in sechs Hauptgruppen unterteilt, erklärt Michael Saletu. "Die häufigste Schlafstörung ist die Insomnie, die Schlaflosigkeit, die zweithäufigste Gruppe ist die der organischen Störungen. Das ist die Gruppe der schlafbezogenen Atmungsstörungen, dann haben wir noch die Tagesschläfrigkeit – ja, auch Tagesmüdigkeit ist auch eine Schlafstörung."

Schlafwandler

Weiter geht es mit der Gruppe der Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, wie sie zum Beispiel Menschen in Schichtarbeit kennen. Es gibt die Gruppe der Parasomnien, wo das Schlafwandeln dazugehört, und letztlich die Gruppe der schlafbezogenen Bewegungsstörungen – da gehören die ruhelosen Beine dazu.

"Schlafstörung ist also nicht gleich Schlafstörung", insistiert Saletu. "Ich schlaf auch manchmal schlecht. Wenn ich zu viel arbeite und nicht auf meine Entschleunigung achte, kriege ich die Rechnung präsentiert. Aber ich habe deswegen noch keine Insomnie. Ich wache einfach nur häufiger auf. Jeder von uns hat gelegentlich Schlafstörungen, aber das muss man differenziert sehen, handelt es sich um eine medizinische Diagnose, oder ist es nur ein Symptom."

Ziemlich beste Freunde

70 Prozent der Schlafstörungen haben keinen organischen Grund. Angst und Depressionen sind oft Ursache für Schlafstörungen – und umgekehrt sind Schlafstörungen oft Ursache für Depressionen. Michael Saletu spricht von einer "bidirektionalen Beziehung". Und darauf gilt es gerade in diesen Tagen zu achten.

Denn in der Pandemie haben mehr Menschen Angst – sei es vor einer Infektion, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Hinzu kommt, dass viele Personen gerade im Lockdown weniger Bewegung machen. Allein das mag schon zu Schlafstörungen führen. Saletu schätzt, dass in der Corona-Zeit mehr als die Hälfte der Leute schlechter schlafen.

Reaktionskette

Professionelle Hilfe holen sich aber nur wenige, nämlich rund ein Drittel. Menschen, die Schlafprobleme haben, scheinen in der Regel eine einfache Reihenfolge bei der Suche nach Hilfe einzuhalten. "Sie schauen zuerst im Internet und finden dort relativ viel über Schlafhygiene", erklärt Michael Saletu. Wenn die Menschen diese Tipps dann auch befolgen, dann hat Doktor Google sogar einmal mehr geholfen als geschadet.

"Erst danach gehen die Patienten in die Apotheke und holen sich einmal die pflanzlichen Mittel, die es dort gibt", von denen Saletu nicht so viel hält, denn "die sind nicht wirklich gut untersucht, und deren Evidenzlage ist gering. Die werden auch von keiner Fachgesellschaft empfohlen." Die dritte Anlaufstelle ist der Hausarzt, der dann unter Umständen Schlafmedikamente und Antidepressiva verschreibt. Erst danach gehen Personen, die immer noch unter Schlafstörungen leiden, zum Facharzt oder ins Schlafmedizinische Zentrum.

Schlafmittel

Medizinische Schlafmittel verteufelt Saletu übrigens nicht. Man dürfe sie nicht so negativ sehen und sie auch nicht alle in einen Topf werfen. "Sie sind eine Brücke – wenn auch keine Lösung –, die verhaltenstherapeutische Maßnahmen unterstützen und gerade in Akutsituationen sehr gut helfen kann."

Doch manchmal lassen sich Schlafprobleme auch ganz einfach lösen. So erzählt Saletu von Patienten, Teenagern etwa, die nur deswegen schlecht schlafen, weil sie zur falschen Zeit ins Bett gehen.

Es ist also richtig, bei Schlafproblemen nicht gleich ein entsprechendes Labor aufzusuchen, sondern es zunächst mit dem Naheliegenden zu versuchen.

Vier Module zählt Saletu auf, die helfen können, Schlafprobleme zu lösen. "Das sind die Schlafhygiene einhalten, Bettzeiten verkürzen, die Entspannungstherapie und das Umdenken." Beim Umdenken geht es vor allem darum, wie ein guter Schläfer zu denken. Der mache sich nämlich auch keine Gedanken über seinen Schlaf.

Gedankenstopp-Training

Länger im Bett zu bleiben, um ja auf die sieben bis neun Stunden Schlaf zu kommen, macht oft alles schlechter. Eher denkt der Profi eine Bettzeitverkürzung an – das anstrengendste aber auch wirksamste Element der Verhaltenstherapie. Denn klar, mit weniger Schlaf lässt sich der Schlafdruck enorm erhöhen. Mit Stress nicht.

Darum sollte man, empfiehlt der Schlafmediziner, einen bewussten Tagesabschluss machen, sich aufschreiben, was gut und schlecht gelaufen ist. "Sobald ich in der Nacht wieder zu grübeln beginne, sag ich einfach bewusst ‚Stopp!‘. Kombiniert mit einem Dankbarkeitstagebuch kann ich Negativspiralen besser kontrollieren." Wenn das doch nicht funktioniert, soll man aufstehen, ein Glas Wasser trinken und einen Entspannungspodcast anhören – danach einen Neustart im Bett machen. "Wichtig ist, nichts mit ins Bett zu nehmen, den Tag abzuschließen und sich nicht in diesen Gedankenspiralen zu ergehen." Also eh ganz einfach, wenn man gerade nicht schlafen kann. (Guido Gluschitsch, 30.11.2021)