Gegen die Impfpflicht spricht kein juristisches Argument, sagt der Rechtshistoriker Thomas Olechowski im Gastkommentar.

In Graz demonstrierten am Samstag 30.000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Gegen drei Männer schritt die Polizei nach dem Verbotsgesetz ein. Auch in St. Pölten, Klagenfurt und Innsbruck gab es Demonstrationen.
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Eine lautstarke und teilweise gewaltbereite Minderheit hat in den letzten Tagen auf mehreren Demonstrationen in Österreich ihre Meinung zum Thema Impfpflicht kundgetan. Es ist wichtig, dass auch die Mehrheit zu diesem Thema nicht schweigt. Denn es geht in diesem Streit schon längst um mehr als um die – an sich schon genügend wichtige – Frage, wie die Pandemie schnellstens beendet werden kann und wie so viele Menschenleben wie möglich gerettet werden können. Es geht auch um ganz grundsätzliche Fragen unseres Zusammenlebens und unserer Demokratie.

Was an den vergangenen beiden Samstagen tausende Menschen auf die Straße getrieben hat, ist nicht einheitlich zu beantworten. Bei manchen wird es Leichtgläubigkeit oder Dummheit gewesen sein, bei manchen der Egoismus oder vielleicht sogar Hinterlist, bei manchen werden es andere Gründe gewesen sein, die ich mir weder ausmalen kann noch will. Ich attestiere dem FPÖ-Chef Herbert Kickl und seinem Generalsekretär Michael Schnedlitz ausdrücklich, dass sie weder leichtgläubig noch dumm sind, sondern ich bin davon überzeugt, dass sie über die Gefährlichkeit der Corona-Krankheit und über die Möglichkeiten ihrer Bekämpfung bestens informiert sind und dass sie sich der Tragweite ihrer Handlungen vollauf bewusst sind. Zu entscheiden, ob sie sich dafür jemals vor einem Gericht verantworten müssen, obliegt nicht mir, sondern der Staatsanwaltschaft, zu der ich aber vollstes Vertrauen habe.

Impfen schützt

In der Corona-Sache selbst ist schon alles gesagt worden: Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Jedes Intensivbett, das für einen Corona-Kranken benötigt wird, fehlt für andere dringende medizinische Notfälle, von Krebspatienten bis zu Unfallopfern. Wer durch eigenes Verschulden derart schwer erkrankt, dass er ein Intensivbett benötigt, der verschuldet womöglich den Tod anderer Menschen.

Gegen die Impfpflicht spricht kein einziges juristisches Argument. Selbst das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens (man bedenke, dass die FPÖ noch vor wenigen Jahren aus dieser Konvention aussteigen wollte!) erklärt Eingriffe in dieses Recht dann für statthaft, wenn dies "zum Schutz der Gesundheit anderer notwendig" ist. Auch der Hinweis auf den durchschlagenden Erfolg der Pockenimpfpflicht ist schon so oft wiederholt worden, dass er hier nicht in extenso wiederholt werden muss.

Aber die Impfgegner stützen sich auf nebulose Forderungen nach einer "Freiheit", die es im positiven Recht so nicht gibt, und Behauptungen wie "Wir sind das Volk", die so inhaltsleer sind, dass sie weder bejaht noch verneint werden können (denn wer genau ist "wir" und von welchem "Volk" ist hier konkret die Rede?), sodass eine juristische Auseinandersetzung auf Basis unserer Rechtsordnung kaum noch möglich erscheint. Vielmehr wird hier nach Argumenten gegriffen, die jenseits unseres Rechts und jenseits unserer Demokratie liegen. Wenn sich "wir" auf die Impfgegner beziehen sollte, so kann das ja nur bedeuten, dass die Impfbefürworter nicht zum Volk zählen.

Woher der Wind weht

Wann haben wir das letzte Mal einen Versuch gehabt, das Volk aufzuspalten in eine Gruppe, die "eigentlich" dazu gehört, und eine andere, auf die dies nicht zutrifft? Aber nicht ich bin es, der hier zuerst mit Vergleichen aus der NS-Zeit spielt, sondern jene Demonstranten, die sich selbst Judensterne aufkleben und damit jene Menschen, die vor gar nicht so langer Zeit gezwungen wurden, diesen Stern zu tragen, verhöhnen. Geht’s noch?

Andere Transparente, wie "Heimatschutz statt Mundschutz" oder "Stoppt den Globalistendreck" zeigen ohnedies deutlich, aus welcher Richtung der Wind weht. Apropos: Bin ich eigentlich der Einzige, der sich darüber entsetzt, wenn die österreichische Dienstflagge – die übrigens nur von den gesetzlich dazu ermächtigten Personen geführt werden darf – verkehrt, mit dem Kopf des Adlers nach unten, geschwenkt wird? Hier sind Menschen am Werk, die die Zeichen unserer Republik öffentlich schmähen, die den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährden, die Menschenleben auf dem Gewissen haben. Es ist Zeit, sie mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln zu stoppen!

Die Impfpflicht ist in der derzeitigen Situation der einzig mögliche Weg, die Pandemie zu beenden. Sie hätte nicht kommen müssen, wären die Österreicher vernünftiger gewesen. Dies hätte früher erkannt werden müssen, und nun kommt sie womöglich für viele Menschen zu spät. Diesen Vorwurf müssen sich Bundes- und Landesregierungen gefallen lassen. Nun aber haben sie den richtigen Schritt gesetzt. Und es ist Aufgabe des österreichischen Volkes – jedes Einzelnen von uns –, sie auf dem nun eingeschlagenen Weg zu unterstützen. (Thomas Olechowski, 30.11.2021)