Simple Muster bedienen klappt eigentlich immer. Besonders gut in einem Klima der Unsicherheit und Angst: Gut und Böse, Schuld und Buße. Im katholischen Österreich lässt sich besonders brauchbar mit biblischen Kategorien operieren. Wir sind also nach 21 Monaten Pandemie ins Alte Testament zurückgekehrt. Bundeskanzler Alexander Schallenberg entschuldigt sich bei den Geimpften – formal eine Entschuldigung, inhaltlich klar die Kategorisierung in Gut und Böse, in Opfer und Täter, in Freunde und Feinde. Da gibt es die einen, die "alles richtig" machen, und die anderen, denen das Gegenteil zugeschrieben wird, die schuld sind.

Gleichzeitig wird – ebenfalls formal – "gegen die Spaltung der Gesellschaft" appelliert. Was passiert, wenn Gut und Böse gegeneinander aufgestellt werden? Dazu braucht man kein Psychologiestudium, das kennt man aus allen halbwegs spannenden Filmen: Die zwei gehen aufeinander los und kämpfen um die Vorherrschaft. Die Bösen müssen büßen. Die Guten müssen das Gute mit allen Mitteln zur Dominanz bringen, ein Kampfaufruf per se.

Das spielt sich nicht nur auf der Straße, bei Corona-Demos, ab, sondern auch in Familien, wie die Beratungsstelle Extremismus berichtet, und in Firmen.

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Es bedarf der unaufhörlichen Frage "Wie geht es dir?". Und der Geduld, sich die Antwort auch anzuhören.
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Aufeinander zugehen

Die Alternative in einer vielfältigen Gesellschaft, auch in Unternehmen? Da können wir uns von den Beraterinnen und Beratern und ihrer täglichen Arbeit an Hilfstelefonen viel abschauen: Es geht darum, aktiv in Kontakt zu bleiben, auch wenn wir am liebsten schnell aburteilen würden und uns die "Feinde" total aufregen. Es geht um Einladungen, über sich zu sprechen, um nicht gleich losschlagen zu müssen. Es bedarf der unaufhörlichen Frage "Wie geht es dir?". Und der Geduld, sich die Antwort auch anzuhören.

Das hat nichts mit "wir haben uns alle lieb" oder "Bussi, Bussi" zu tun. Sondern mit einer grundsätzlichen Akzeptanz von Sowohl-als-auch statt immer und immer wieder die simplen Muster von Gut und Schlecht zu bedienen.

Da gibt es diesen Spruch "try walking in my shoes". Können wir wirklich wissen, wie die Schuhe der anderen sich tragen und wo sie drücken, wenn wir nicht fragen? Die wichtigste Aufgabe für die sogenannte Leadership ist das Gegenteil dessen, was gerade passiert, nämlich zu fragen und einzuladen. In Kontakt zu bleiben. Wie sonst sollten wir aus den Kategorien Gut und Böse herauskommen?

Indem alle so wie wir zu Guten werden, sagen wohl die Guten. Indem den Guten gezeigt wird, dass sie die Bösen sind, sagen wohl die Bösen. (Karin Bauer, 30.11.2021)