Von Eric Zemmour wird man im französischen Wahlkampf vermutlich noch einiges hören. Derzeit versucht er dem Mitbewerb wertvolle Sendezeit abzugraben.

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Noch am Wochenende hatte er einer Passantin in Marseille den Stinkefinger gezeigt. Am Dienstag gab sich Éric Zemmour präsidial: In antiquiertem Dekor, das an Charles de Gaulle gemahnte, verkündete er seine Kandidatur für das höchste Amt im Staat. "Es geht nicht mehr darum, Frankreich zu reformieren, sondern zu retten", erklärte er dramatisch.

Die Ankündigung erfolgte reichlich überhastet, um seine sehr unsouveräne Reaktion auf die – ebenso obszöne – Geste einer Gegnerin vergessen zu machen. Viele Stimmen sprechen dem bissig-aggressiven Journalisten, so eloquent er auch spricht, seither die Fähigkeit ab, die Funktion eines Staatschefs auszuüben. Das schlägt sich in den Umfragen bereits nieder: Nach seinem fulminanten Aufstieg stagniert Zemmour bei 15 Prozent, während die Rechtsradikale Marine Le Pen auf 19 Prozent zulegt und Präsident Emmanuel Macron auf 25.

Zemmours Kandidaturerklärung gleicht daher fast einer Flucht nach vorn. Zugleich bemüht sich Zemmour nach Kräften, seinen Gegenspielern das Rampenlicht zu stehlen. Am Dienstagabend ließ sich der 63-jährige Polemiker vom größten Fernsehsender TF1 in die Haupttagesschau einladen – während die konservativen Republikaner gerade auf dem Nachbarsender France-2 zu ihrem entscheidenden TV-Streitgespräch antraten. Nicht genug damit: Am kommenden Sonntag, wenn die Républicains ihren Spitzenkandidaten oder ihre Spitzenkandidatin bestimmen, will Zemmour in Paris sein erstes Wahlmeeting abhalten.

Der rechtsextreme Medienexperte Éric Zemmour kündigte seine Präsidentschaftskandidatur offiziell am Dienstag via Youtube an. Der Neopolitiker mit französisch-algerischen Wurzeln gilt als islam- und frauenfeindlich sowie geschichtsrevisionistisch
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Macron führt in Umfragen

Allein mit dieser Terminwahl macht der Tribun klar: Er will nicht nur Rechtsextremisten, Immigrationsgegner und andere "Trumpisten" für sich gewinnen, sondern auch in das bürgerliche Lager einbrechen. Die fünf Kandidaten der Republikaner haben seinen Anti-Immigrations-Diskurs allerdings selber schon zu großen Teilen übernommen. Nicht nur die Favoriten Xavier Bertrand und Valérie Pécresse, sondern auch der Sozialgaullist Michel Barnier: Der ehemalige Brexit-Unterhändler schlägt ein "Einwanderungs-Moratorium" vor.

Obschon Zemmour die ganze Präsidentschaftskampagne prägt, scheint derzeit fraglich, ob er im April Chancen auf die Stichwahl hat. Derzeit liegt er klar hinter den Platzhirschen Macron und Le Pen. Momentan stellt sich eher die Frage, ob Zemmours Kandidatur seiner politischen "Nachbarin" Le Pen schaden werde. Was arithmetisch naheliegt, ist politisch gar nicht so sicher: Wenn es der Rechtspopulistin gelingt, sich als salonfähige Softversion von Zemmours Hasstiraden abzugrenzen, könnte sie sogar profitieren. In den Umfragen für den zweiten Wahlgang werden ihr gegen Macron – hohe – 46 Prozent der Stimmen gutgeschrieben. Das macht einen Sieg zumindest möglich – dank des Sekundanten Zemmour?

Macron führt zwar sämtliche Meinungsumfragen relativ bequem an. Doch der amtierende Präsident bleibt unpopulär. Davon zeugt auch der aktuelle Erfolg des Buchs "Der Verrat und das Nichts", in dem zwei "Le Monde"-Journalisten Macron als skrupellos und inhaltsleer hinstellen. Der Präsident dürfte seine Wiederkandidatur erst im Februar bekanntmachen, sammelt aber schon jetzt seine Truppen. Am Montagabend haben seine Anhänger in Paris eine Union der diversen Zentrums- und Mitteparteien unter Anführung der Macron-Partei La République en Marche gebildet.

Macron schmiedet Über-Partei

Mit von der Partie ist in diesem "Maison commune" (gemeinsamen Haus) auch der bürgerliche Ex-Premier Edouard Philippe. Sehr populär und erst 51, wartet er auf die Präsidentschaftswahlen von 2027; bis dahin ist er Macron zu Diensten. Der Überläufer aus der Partei der Republikaner soll dem Staatschef namentlich in den nächsten Parlamentswahlen die Stimmen der gemäßigten Rechten zuführen, damit die Macronisten in der Nationalversammlung weiterhin über eine Regierungsmehrheit verfügen.

Während die Wahlkampagne klar nach rechts tendiert, versucht die Linke verzweifelt, den Anschluss zu wahren. Selbst ihre Spitzenkandidaten liegen in Umfragen weit zurück. Aus purer Verzweiflung über diese Selbstzerfleischung organisiert ein linkes Bürgerkollektiv von sich aus eine "primaire populaire" (Volks-Urabstimmung). Nicht weniger als 200.000 Interessierte haben sich eingeschrieben, um Druck für eine linke Einheitskandidatur zu machen.

Zehn Namen im Rennen

In der Nacht auf Mittwoch soll bekannt werden, welcher der zehn Namen sich durchsetzen wird: Der Linke Jean-Luc Mélenchon mit Prognosen von neun Prozent, der Grüne Yannick Jadot mit acht Prozent oder die Sozialistin Anne Hidalgo mit vier Prozent. Dass sich die Verlierer zurückziehen, scheint indes undenkbar.

Die Mitorganisatorin Charlotte Marchandise sagte, sie sei sich bewusst, dass die Primärwahl nicht stärker wirken würde als ein "Mückenstich". Dabei seien die 200.000 "Wähler" zahlreicher als die Mitglieder aller anvisierten Parteien. (Stefan Brändle aus Paris, 1.12.2021)