"Es war spürbar, dass das Gerechtigkeitsempfinden nicht mit dem Recht konformging", sagt Kristina Hänel darüber, wie es ihr nach der Verurteilung ging.

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Kristina Hänel wollte über Schwangerschaftsabbrüche informieren – und wurde deshalb im Jahr 2019 zu einer Geldstrafe von 2.400 Euro verurteilt. Hänel begrüßt die geplante Abschaffung des umstrittenen Werbeverbots, kritisiert aber, dass in Deutschland vor einer Abtreibung immer noch zwingend Beratung stattfinden und eine dreitägige Bedenkzeit eingehalten werden muss.

STANDARD: Die Ampelkoalition will den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch und damit das Werbeverbot für Abtreibungen abschaffen. Ist das für Sie ein Triumph?

Hänel: Triumph würde ich nicht sagen, denn ich denke an all die Frauen, die unter diesem Gesetz gelitten haben und leiden. Aber ich freue mich und bin zufrieden. Es geht um die Sache der Frauen. Dieser Paragraf ist wie eine offene Wunde.

STANDARD: Auf Ihrer Website steht beim Leistungsspektrum nur "Schwangerschaftsabbruch". Was dürfen Sie, wenn der Paragraf fällt?

Hänel: Dann darf ich Aufklärung über Vor- und Nachteile, über Risiken und mögliche Komplikationen der verschiedenen Methoden auflisten. Ich werde das natürlich sofort machen, wenn es so weit ist.

STANDARD: Genau das hatten Sie ja schon einmal veröffentlicht. War das tatsächlich Werbung?

Hänel: Die Überschrift des Gesetzes passt mit dem Inhalt überhaupt nicht zusammen. Es ging nie um "Werbung", sondern um Information. Aber das haben Abtreibungsgegner und Teile der Politik absichtlich verknüpft und falsch benutzt. Als ich 2001 Informationen ins Netz stellte, habe ich mich zunächst mit dem Justiziar meiner hessischen Landesärztekammer abgesprochen. Er bemängelte nichts.

STANDARD: Dann passierte lange Zeit auch nichts.

Hänel: Nein. Der Paragraf war eigentlich in der Versenkung. Die Anzeigen von Abtreibungsgegnern kamen erst im Jahr 2009.

STANDARD: Sie kämpften sich durch die Instanzen und wurden schließlich verurteilt. Wie ging es Ihnen dabei?

Hänel: Dass ein Richter gesagt hat, ich solle das Urteil tragen wie einen "Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz", das hat mir geholfen. Denn es war klar: Die Justiz hält von dem Gesetz auch nicht viel, aber sie muss es anwenden. Es war spürbar, dass das Gerechtigkeitsempfinden nicht mit dem Recht konformging.

STANDARD: 2019 wurde das Gesetz reformiert, Ärztinnen und Ärzte dürfen seither zumindest informieren, dass sie den Eingriff durchführen. Mehr Infos gibt es auf einer Liste der Ärztekammer. War das hilfreich?

Hänel: Nein, das hat in der Arbeit nichts verändert. Viele ließen sich, aus Sorge vor Repressalien der Abtreibungsgegner, gar nicht auf die Liste setzen. Außerdem wurde jede Information nach dem Werbeparagrafen verurteilbar. Vorher konnte ein Gericht abwägen.

STANDARD: Reicht es Ihnen, wenn nun der Paragraf 219a gestrichen wird? Ein Abbruch ist in Deutschland ja gemäß Paragraf 218 im Strafgesetzbuch strafbar, wenn es vorher keine Beratung gibt.

Hänel: Die Informationsfreiheit wird die Versorgungsgrundlage verbessern, das ist schon ein Vorteil. Aber die WHO sagt, Pflichtberatung und Bedenkpflicht führen dazu, dass Frauen später zum Schwangerschaftsabbruch kommen, was die Gesundheit einschränkt. Sie fordert Deutschland auf, das abzuschaffen. Dem schließe ich mich an.

STANDARD: Warum gibt es in Deutschland so wenige Ärztinnen und Ärzte, die Eingriffe durchführen?

Hänel: Es herrschen Rechtsunsicherheit und Stigmatisierung. Dabei bräuchten wir mehr Ärztinnen und Ärzte, die Frauen helfen. Jetzt gehen viele aus meiner Generation, die noch die illegale Zeit mitgemacht haben, in Rente.

STANDARD: Haben Sie je Frauen erlebt, die durch die angebliche "Werbung" animiert wurden?

Hänel: Das ist bloß Unterstellung. Dieses absichtliche Missverstehen von Betroffenen – nach dem Motto, das sind ja junge, leichtfertige Dinger – ist so schmerzhaft, wenn man die Realität kennt. (Birgit Baumann, 1.12.2021)