Die neue Kukrinatter heißt Oligodon churahensis.
Foto: Mirza et al.

Die Bilderflut in sozialen Medien hat diverse Nachteile, aber auch den einen oder anderen Vorteil. Manchmal muss nur zum richtigen Zeitpunkt die richtige Person das richtige Foto erblicken, wie ein Fall aus Indien zeigt: Der Masterstudent Virender Bhardwaj, auf der Plattform Instagram unter dem Namen "himalayan_xplorer" unterwegs, stellte im Juni 2020 das Bild einer Schlange online, auf die der Hobbyfotograf in freier Wildbahn stieß. Algorithmisch bedingt kam dieses Bild auf dem Display von Zeeshan Mirza an, der am Nationalen Zentrum für Biowissenschaften in Bangalore forscht. Und es stellte sich heraus: Diese Schlange wurde noch nicht klassifiziert.

Bhardwaj, der in der westlichen Himalayaregion lebt und das Tier bei einem Spaziergang am Straßenrand aufspürte, hielt es zunächst für ein geläufiges Exemplar der Kukrinattern. Die Gattung wird auch Oligodon genannt und wurde erstmals durch den Österreicher Leopold Fitzinger beschrieben (hat bisher aber keine deutschsprachige Wikipediaseite). Der Name geht auf den nepalesischen Kukri-Dolch zurück, die Verbreitungsgebiete der Waffe und des Wirbeltiers überschneiden sich.

Eierfressender Neuling

Bei dem fotografierten Tier handelte es sich aber nicht wie angenommen um die gemeine Kukrinatter O. arnensis. Der Blick des Experten Mirza, der ebenfalls mit Vorliebe Schlangen und andere Tiere fotografiert, fiel auf Merkmale, die nicht dazu passten. Und so nahm er Kontakt zum Finder auf, der in den Folgewochen nochmals auf die Suche nach der Schlangenart ging. Zwei aufgespürte Exemplare und einige Untersuchungen in pandemiebedingt wiedereröffneten Laboren später stellte sich heraus: Die DNA der Schlangen unterscheidet sich in relevanten Aspekten von der bekannten Art.

Der Auslöser: Dieses Foto auf Instagram brachte die Entdeckung ins ... Schlängeln.

Daneben analysierten die Herpetologen die genauen Unterschiede in Sachen Aussehen. Den "neuen" Schlangen fehlen beispielsweise bestimmte Zähne, was darauf hindeutet, dass sie sich anders ernähren – vermutlich in erster Linie von Eiern. Den Fund veröffentlichte das Team kürzlich in der Fachzeitschrift "Evolutionary Systematics". Ihr Namensvorschlag: Oligodon churahensis, benannt nach dem Churah-Tal im Bundesstaat Himachal Pradesh, wo die Schlange gefunden wurde.

Neue Arten im Garten

"Die Entdeckung der neuen Art ist nicht überraschend, weil das westliche Himalayagebiet im Hinblick auf die Diversität seiner Herpetofauna nur wenig erforscht ist", schreibt die unverhofft zusammengekommene Forschungsgruppe. Hier könnten sich also weitere unbekannte Arten finden lassen. Das Team vermutet anhand genetischer Daten zur Vergleichsspezies O. arnensis auch, dass es sich bei dieser eigentlich um mehrere verschiedene Arten handelt und sie neu bewertet werden sollte.

Noch interessanter als die Fundgeschichte, die sich via Instagram angebahnt hat, findet Mirza jedoch die Tatsache, dass sich einige bis heute undokumentierte Arten in unserer unmittelbaren Umgebung befinden können. Und das nicht nur im Bereich von Mikroorganismen, sondern auch beispielsweise bei Reptilien und Amphibien. "In letzter Zeit reisen Menschen gerne an abgelegene Biodiversitäts-Hotspots, um neue oder seltene Arten zu finden", sagt Mirza, "aber wenn man in seinem eigenen Garten nachschaut, findet man vielleicht genau dort eine neue Spezies." Schade, dass sich dies saisonbedingt gerade eher mäßig als Lockdownbeschäftigung anbietet. (sic, 1.12.2021)