Kulturschaffende setzten große Hoffnungen in die Urheberrechtsnovelle auf gerechtere Anteile an der Onlineverwertung durch Social-Media- und Streamingplattformen – diese dürften nun vorerst enttäuscht werden.

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Das erste echte Urheberrecht stammt aus dem Jahr 1710. Im sogenannten "Statue of Anne" sprach England Buchautoren das Recht zu, dass nur sie über die Vervielfältigung ihrer Werke entscheiden dürfen. Voraussetzung war ein Eintrag im Register der Buchhändlergilde und eine Kennzeichnung mit einem Copyright-Symbol – das heute gebräuchlichste kennt jedes Kind: ein C in einem Kreis.

Im 21. Jahrhundert ist es damit allerdings nicht mehr getan. Die Urheberrechtsmaterie ist zu einem komplexen Ungetüm angewachsen, das Heerscharen an Juristen rauchende Köpfe beschert und viele Künstlerinnen und Künstler resignieren lässt.

Während im analogen Zeitalter noch alles überschaubar war und selbst die halbdigitalen Jahre (CD, MP3-Player etc.) sich mittels Speichermedienabgaben einigermaßen einfangen ließen, steht man heute vor dem Problem der Streaming- und Social-Media-Plattformen. Wie kann erwirkt werden, dass Techgiganten wie Facebook, Instagram, Youtube, Tiktok, Spotify, Netflix oder Google zumindest einen Teil ihrer Milliardenumsätze den Urhebern abtreten?

Wer verhandelt mit wem?

Die EU beschloss 2019 eine Richtlinie, die die Internetkonzerne im Kern genau dazu verpflichten soll. Jeder Mitgliedsstaat musste dies nun binnen zwei Jahren in nationale Gesetze überführen. Frankreich und Deutschland haben das bereits getan, Österreich ist wie viele andere Staaten über der Frist. Im September schickte das Justizministerium unter Alma Zadić (Grüne) nun einen Entwurf der Gesetzesnovelle in die Begutachtungsphase, am 7. Dezember soll diese im Justizausschuss beschlossen werden.

Vertreter der Urheber – Interessengemeinschaften, Verwertungsgesellschaften, also all jene, die gewerkschaftsähnlich für die einzelnen Kreativberufsgruppen arbeiten –, laufen dagegen Sturm. Der Vorwurf: Die Novelle sei zu zahm und gebe den Urhebern kein scharfes Schwert in die Hand. Zwar müssen die Internetplattformen künftig rigider gegen Copyrightverstöße vorgehen und Nutzungslizenzen ausverhandeln, entscheidend ist aber, mit wem verhandelt wird.

Während in einem Erstentwurf der Novelle aus dem vergangenen Jahr noch vorgesehen war, dass dies direkt mit den Urhebervertretern passieren soll, wurde das nun in der Endfassung den zwischengeschalteten Produzenten und Verwertern, also Filmproduzenten, Musiklabels und Co, zugedacht.

Wer verdient daran?

Aus Kritikersicht heißt das, dass die Kreativwirtschaft an Lizenzgebühren womöglich künftig gut verdienen wird, die einzelnen Kulturschaffenden aber aufgrund von branchenüblichen Dumping-Pauschalverträgen um Tantiemen umfallen. "Die EU hatte eine Urheberrechtsnovelle im Auge, und Österreich macht daraus eine Industrienovelle", ärgert sich Gernot Schödl von der Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden.

Wie es dazu kam? Insider zeichnen ein Bild, wonach erst auf Intervention der ÖVP, der Wirtschaftskammer, der Produzentenverbände und des ORF die Verhandlungsmacht von der Urheber- zur Industrieseite verschoben wurde. Und Unverständnis herrscht vor allem deswegen, weil Deutschland es anders machte.

Im Nachbarland, das mit Österreich im gemeinsamen Sprachraum gerade im Kultursektor eng verflochten ist, muss in vielen Fällen direkt mit den Urhebervertretern verhandelt werden. Konkret könnte das also künftig bedeuten, dass aus einer deutsch-österreichischen Co-Produktion, die von Netflix ins Programm übernommen wird, deutsche Schauspieler Tantiemen erhalten, während österreichische leer ausgehen.

"20 Jahre hinterher"

"Produzenteninteressen müssen natürlich berücksichtigt werden, aber nicht so überbordend", sagt Maria Anna Kollmann vom Dachverband Filmschaffender, "wir sitzen im vierten Lockdown, die Leute streamen wie verrückt, und nichts fließt direkt zu den Kreativen."

Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen Autoren ergänzt: "Gut an der Reform ist, dass sie etwas nachholt, was es in Deutschland schon seit 20 Jahren gibt" – wie den Bestsellerparagrafen, der Autoren das Recht gibt, bei Verlagen nachzuverhandeln, falls ein unabsehbarer Verkaufsschlager entsteht. "Schlecht an ihr ist, dass sie schon wieder etwas bleibenlässt, das jetzt in Deutschland beschlossen wurde und dann wohl in 20 Jahren in Österreich umgesetzt werden wird."

Im grün geführten Justizministerium wie auch im Kulturstaatssekretariat gibt man sich hinter den Kulissen einigermaßen zerknirscht über die Kritik der Künstler. Über Monate hatte man sie angehört und musste dann doch die meisten ihrer Forderungen fallenlassen. Es gebe aber sehr wohl Verbesserungen zum Status quo, und es werde bestimmt nicht die letzte Urheberrechtsreform sein, vertröstet man in beiden Ressorts auf Nachfrage des STANDARD.

Konflikt um Uploadfilter

Die Grünen wollten außerdem nicht ins offene Messer der mehrheitlich jungen Netzaktivisten und NGOs laufen, die gegen die Einführung von Uploadfiltern rebellieren. Social-Media-Plattformen nützen diese, um der nunmehrigen Pflicht nachzukommen, von den Nutzern gepostete Inhalte automatisch auf Copyright zu prüfen. Kritiker befürchten Missbrauch und Zensur. Ausnahmen werden laut EU-Vorgabe jedenfalls für Parodien wie die populäre Meme-Kultur gemacht.

In Deutschland wie nun bald auch in Österreich sollen "Bagatellgrenzen" gelten: Für Film und Ton sind das 15 Sekunden, für Text 1000 Zeichen, für Bilder 250 Kilobyte Dateigröße. Inhalte bis zu dieser Grenze können lizenzfrei gepostet und sogar kommerziell genutzt werden. Die IG Bildrecht forderte erfolglos, dass sie für Künstler, Fotografen, Architekten etc., wo oft kein Produzent zwischengeschaltet ist, das primäre Verhandlungsmandat mit den Social-Media-Plattformen erhält. Und Musikschaffende wehren sich, ihr Recht auf 15 Sekunden abzugeben, wo doch etwa auf Tiktok gerade mit Kurzclips Geld gemacht wird.

Das letzte Wort in diesem Kampf zwischen Konzernen, Produzenten, Künstlern und Aktivisten ist also noch lange nicht gesprochen. (Stefan Weiss, 2.12.2021)