Steinkorallen bauen Plastikteilchen aus dem Wasser in ihr Kalkskelett ein, wie ein Laborexperiment zeigt.
Foto: Jessica Reichert

Mikroplastik ist inzwischen selbst in den entlegensten Regionen der Erde zu finden: Die winzigen Kunststoffteilchen, die aus Abrieb und Zersetzung der allgegenwärtigen Plastikprodukte unserer Zivilisation stammen, lassen sich auf den höchsten Gebirgsgletschern ebenso nachweisen wie in der Tiefsee. Besonders große Mengen landen in den Ozeanen. Eine Untersuchung kam im Vorjahr zu dem Ergebnis, dass allein in den oberen Wasserschichten des Atlantiks Millionen Tonnen Mikroplastik schwimmen dürften.

Die Folgen dieser Müllflut für die marinen Ökosysteme lassen sich noch nicht vollständig abschätzen. Untersuchungen zeigen jedenfalls, dass die umherschwimmenden Plastikpartikel von unzähligen Meeresbewohnern aufgenommen werden und diese auf verschiedene Weise schädigen können. Langfristig lagern sich große Mengen der Teilchen zudem im arktischen Meereis, in küstennahen Sedimenten und am Tiefseeboden ab. Auf eine bislang unbekannte, lebende Lagerstätte ist nun ein deutsches Forschungsteam gestoßen: Wie die Wissenschafter um Jessica Reichert von der Universität Gießen im Fachblatt "Global Change Biology" berichten, nehmen auch Korallen Mikroplastik auf – und bauen die Partikel in ihr Kalkskelett ein. Die riffbildenden Tiere tragen demnach zur Reinigung des Meerwassers bei.

Koralle mit integrierten Plastikpartikeln (schwarz).
Foto: Jessica Reichert

"Korallen sind die ersten Organismen, die als lebende Senke für Mikroplastik im Meer entdeckt wurden", sagt Reichert. Die Tiere könnten in Riffen weltweit bis zu 20.000 Tonnen Mikroplastik im Jahr binden, schätzt die Biologin. Das erscheine zwar angesichts der enormen globalen Müllschwemme gering, entspreche aber immerhin einem Prozent des Mikroplastiks im Riffwasser, sagt Reichert. "Unsere Studie lässt Korallenriffe in neuem Licht erscheinen. Sie können nicht nur dabei helfen, das ökologische Gleichgewicht der Ozeane zu erhalten, sondern auch als Langzeitspeicher für Mikroplastik dienen."

Nesseltierexperiment

Reichert und Kollegen untersuchten insgesamt vier Korallenarten, die im Indopazifik beheimatet sind, wo rund 90 Prozent aller Korallenriffe zu finden sind: Geweihkorallen, Pfötchenkorallen, kleinpolypige Steinkorallen und blaue Korallen. Diese Korallenarten wurden in Meerwasseraquarien über 18 Monate hinweg einer starken Mikroplastikbelastung ausgesetzt.

Die Wissenschafter konnten dabei im Detail beobachten, wie die Nesseltiere rund 100 Mikrometer kleine Kunststoffteilchen aufnehmen. Genaue Daten lieferten anschließende Gewebe- und Skelettanalysen von 54 Korallen. Demnach lagerten die Korallen bis zu 84 Mikroplastikpartikel pro Kubikzentimeter in ihre Körper ein – vor allem im Skelett, aber auch im Gewebe. Eine Koralle in dem Experiment nahm beispielsweise rund 600 Mikroplastikpartikel auf, während sie ihre Körpergröße von fünf auf zehn Zentimeter verdoppelte.

Korallen sind sogenannte Filtrierer, sie filtern ihre Nahrung – hauptsächlich Plankton – mithilfe spezieller Zellen aus dem Wasser. Dabei nehmen sie auch Plastikteilchen auf, diese ungenießbaren Partikel werden zumeist wieder ausgeschieden. "Manchmal aber läuft bei der Selbstreinigung etwas schief", sagt Reichert. "Die Koralle verschluckt sich sozusagen, und der Partikel bleibt im Körper."

Negative Folgen

Für das Ökosystem im Korallenriff dürfte diese unabsichtliche Müllentsorgung zunächst positiv sein, für die Nesseltiere selbst kann die Plastikeinlagerung aber bedrohlich werden: Aus früheren Studien ist bekannt, dass einige Korallenarten bei Mikroplastikbelastung schlechter wachsen und häufiger von der tödlichen Korallenbleiche betroffen sind. "Wir wissen nicht, welche langfristigen Folgen das für die Korallen haben wird. Aber es könnte die Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Riffe beeinträchtigen." Mikroplastik dürfte demnach eine zusätzliche Bedrohung für die ohnehin durch den Klimawandel massiv gefährdeten Korallenriffe der Welt darstellen.

Steinkorallen leben in Symbiose mit photosynthetisch aktiven Algen, die diese besiedeln. Zwischen den Arten findet ein Nährstoffaustausch statt, die Algen sind auch für die Farbenpracht der Korallen verantwortlich. Bei zu hohen Wassertemperaturen stoßen die Korallen ihre Mitbewohner allerdings ab, verblassen – und sterben in der Folge an Nährstoffmangel.

Image vor Schutzstatus

Durch steigende Wassertemperaturen wurde die Korallenbleiche in den vergangenen Jahrzehnten zu einem verheerenden Problem. Besonders eindrücklich zeigt sich das Ausmaß am Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens, das seit 1981 zum Unesco-Weltnaturerbe zählt: Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat die größte Riffansammlung der Welt mehr als die Hälfte ihrer Korallen verloren, die verbliebenen sind akut gefährdet.

Aller Evidenz zum Trotz wehrt sich Australien bisher vehement gegen eine Einstufung des Riffs als gefährdet: Canberra fürchtet einen schweren Imageverlust, wenn das Great Barrier Reef auf der Rote Liste der Unesco steht. (David Rennert, 2.12.2021)