Für kommenden Samstag ist eine "Megademo" angekündigt, am Sonntag, dem 12. Dezember, soll gar ein "Generalstreik" folgen: Seit die Regierung die Einführung der Impfpflicht angekündigt hat, gehen vehemente Gegnerinnen und Gegner der Corona-Maßnahmen auf der Straße – zuletzt am Mittwoch. Ein Blick in einschlägige Gruppen des Messengerdiensts Telegram zeigt, dass sie das ganze Land mit Demonstrationen, Kundgebungen und "Streiks" überziehen wollen.

Hinter den Protesten steckt oftmals auch die FPÖ. Parteichef Herbert Kickl hat angekündigt, mit "allen Mitteln" gegen den "Corona-Faschismus" anzutreten.

Angeführt von Jennifer Klauninger, die vor Jahren bei einer rechtsextremen Kleinstpartei und danach bei der FPÖ aktiv war, zogen rund 1.500 Personen über die Ringstraße in Wien. Mit dabei auch Rechtsextreme wie Identitären-Anführer Martin Sellner. Die Demonstrierenden wollen den Druck auf die Regierung erhöhen und die Impfpflicht verhindern.
Foto: Markus Sulzbacher

Unterstützt von der FPÖ, verspüren auch jene Aktivistinnen und Aktivisten Morgenluft, die seit über einem Jahr regelmäßig mit Demonstrationen und Halb- und Falschnachrichten in sozialen Medien Stimmung gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie machen. Die wohl bekanntesten sind Martin Rutter und seine ehemalige Verbündete Jennifer Klauninger sowie der Einpeitscher Alexander Ehrlich. Sie alle wurden durch die Demonstration am 20. November in Wien beflügelt, bei der rund 40.000 Personen einem Aufruf Kickls folgten und durch Wien zogen.

Dabei war beachtlich, dass die FPÖ die Aktivistinnen und Aktivisten als gleichberechtigte Partner ansah; so teilten sich der FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz und Rutter die Rednerbühne. Schnedlitz gab während der Großdemonstration im November auch dem rechtsextremen Medium "Info Direkt" ein Interview. Darin sagte er, er sei lieber bei den Leuten auf der Straße als bei "Volksverrätern im Plenarsaal". Es sei nun "Zeit für außerparlamentarische Aktivitäten".

Michael Schnedlitz im Gespräch mit "Info Direkt"-Chef Michael Scharfmüller. Im Jahr 2019 mussten FPÖ-Mitarbeiter ihre "Info Direkt"-Anteile abgeben, nachdem das Blatt Identitären-Chef Martin Sellner verteidigt hatte.

Mit ihren Reden bedienten Rutter und Schnedlitz ein Publikum, das hauptsächlich aus Anthroposophinnen und Anthroposophen, Verwirrten, christlichen Eiferern, "Blut und Boden"-Grünen, Esoterikerinnen und Esoterikern und fanatisierten Impfgegnerinnen und Impfgegnern bestand.

Bei der Demonstration am 20. November kam es zu Angriffen auf die Polizei und Journalisten und Journalistinnen.

Das "sind Personen, die kein Problem damit haben, sich mit dem rechten Rand gemein zu machen", sagt Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien. Der Wissenschafter beschäftigt sich im Rahmen des Austrian Corona Panel Project auch mit den Menschen, die auf Corona-Demonstrationen gehen. Im April veröffentlichten Eberl und seine Kollegin Noëlle S. Lebernegg die Ergebnisse einer Umfrage unter Demonstrierenden. Demnach treiben Demonstrantinnen und Demonstranten weniger "wirtschaftliche Sorgen" an, sondern ihr Glaube an Verschwörungstheorien und Coronavirus-verharmlosende Tendenzen.

Impfgegnerschaft und antisemitische Verschwörungsideologien

Der Journalist Werner Reisinger, der sich mit dem Milieu der Corona-Demonstrationen beschäftigt, betont, dass sich die Menschen, die in den vergangenen Tagen "auf die Straße gegangen sind, in einem Radikalisierungsprozess befinden. Ihre gemeinsame Klammer sind die Impfgegnerschaft und antisemitische Verschwörungsideologien." Darüber solle man sich im Klaren sein.

Befeuert wird die Stimmung von Onlinemedien, die sich als Stimme jener etabliert haben, die politisch weit rechts stehen und hinter dem Coronavirus eine Verschwörung wittern. Sie liefern, was das Publikum lesen will. Hervorzuheben ist etwa "Auf 1", ein Onlinesender, der von Stefan Magnet geleitet wird, der sich in Jugendjahren in der oberösterreichischen Neonaziszene bewegte. Bevor er "Auf 1"-Chefredakteur wurde, war er unter anderem für die FPÖ und das reichweitenstarke Medium "Wochenblick" tätig, vor dessen "irreführender Berichterstattung" der Österreichische Presserat warnt.

Ideologiebildung via Telegram

Mit "Auf 1" gelingt es Magnet, Themen im Milieu der Corona-"Rebellen" vorzugeben und zu verstärken. Für die zunehmende Radikalisierung sorgt hingegen der rechtsextreme Influencer Martin Sellner. Der Identitären-Chef kreuzte schon bei der ersten Corona-Demonstration im Frühjahr 2020 auf und sieht die Proteste als Möglichkeit, sein Aktionsfeld auszuweiten. Mit Beiträgen auf seinem reichweitenstarken Telegram-Channel, die unter anderem von Rutter geteilt werden, gelingt es ihm teilweise, Ideologiebildung zu betreiben und feindliche Haltungen gegenüber Demokratie, Wissenschaft, Medien und benachteiligten Personengruppen zu verfestigen.

Eine Sonderrolle in den Reihen der Maßnahmenkritiker nimmt Servus TV ein. Die wöchentlichen Beiträge von Ferdinand Wegscheider, dem Chef der Anstalt, werden als Bestätigung und Unterstützung gesehen.

Wie andere organisierte Rechtsextreme treten auch die Identitären in Wien und der Steiermark bei Corona-Demonstrationen verstärkt in Erscheinung. Dabei versuchen sie sich als Speerspitze der Proteste zu präsentieren. So führten die Identitären den Demonstrationszug am 20. November in Wien an.

Identitäre führten am 20. November die Demonstration in Wien an.
Foto: Markus Sulzbacher

Mit diesem Auftreten sollen neue Anhängerinnen und Anhänger und finanzielle Unterstützerinnen und Unterstützer gewonnen werden.

Bisher konnten die Identitären zahlenmäßig kaum wachsen. Es fällt auf, dass in ihren Reihen fast überhaupt keine Frauen mehr zu sehen sind. Allerdings sind ihre Social-Media-Kanäle ein wesentlicher Pfeiler der Corona-Proteste. Den Rechtsextremen ist es in den vergangenen Monaten gelungen, sich enger mit dem Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) zu verbinden. Gleich mehrere Funktionäre der FPÖ-Jugendorganisation treten bei Kundgebungen gemeinsam mit den Identitären auf, die vom Verfassungsschutz und dem Abwehramt des Bundesheers überwacht werden.

"Jahrhundertchance" und große Bedrohung

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach am Dienstag bei einer Pressekonferenz davon, dass die Szene die Corona-Demonstrationen als "Jahrhundertchance" sieht, um ihre Basis zu erweitern. Der Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), die das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ersetzt, bezeichnete die rechtsextreme Szene im Umfeld der Corona-Maßnahmen-Demos als die "aktuell größte Sicherheitsbedrohung" – neben islamistisch-extremistischen Einzeltätern. Geordnete Proteste seien zwar legitim, doch der Radikalisierung gewaltbereiter Maßnahmengegner werde der Staatsschutz "entschieden entgegentreten", sagte DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner bei der Vorstellung des DSN am Dienstag.

Innenminister Nehammer legte bei der Pressekonferenz nach: Die Masse der Demonstrierenden sei zwar friedlich gesinnt, gefährliche Umtriebe von "Altneonazis wie Gottfried Küssel und neuen Rechtsextremen wie den Identitären" werde die Polizei aber konsequent verfolgen. Nach den Erfahrungen mit antisemitischen Botschaften bei den Demos sagte Nehammer: "Wir werden nicht zusehen, wenn Judensterne getragen werden und der Holocaust verharmlost wird."

Neben den Identitären tauchen auch bekannte Neonazis bei den Protesten auf. Einige scharen sich um Gottfried Küssel, der als Säulenheiliger der Szene gilt. Die Neonazis haben ihre Chance genutzt und konnten aus dem Schatten treten – sie werden bei Corona-Demonstrationen als Teil des Protests akzeptiert. Küssel, der in der "Corona-Querfront" aktiv ist, konnte eine Demonstration in Wien zeitweise anführen. Ein Erfolg, der wohl vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre.

Neben diesen organisierten Gruppen treten auch Hooligans in Erscheinung sowie weitere Personen, die sich teilweise bei vergangenen Demonstrationen kennengelernt haben. Sie sind zur Stelle, wenn es zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstrantinnen und -demonstranten und der Polizei kommt, oder sind bei Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten dabei.

Diese Gruppen haben bei vergangenen Demonstrationen Erfahrungen sammeln können und treten mittlerweile viel selbstbewusster und militanter auf. Ihre Vorhaben sprechen sie bei den Kundgebungen ab. Bei der Demonstration am 20. November wurde etwa darüber geredet, das Bundeskanzleramt zu stürmen. (Markus Sulzbacher, 2.12.2021)