Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler kündigt seinen Ausstieg bei der in die Kritik geratenen Inseraten-Agentur Mediateam an.

Foto: Wirtschaftsbund

Bregenz – Die Chefredaktion der "Vorarlberger Nachrichten" geht nach einem Ö1-Bericht auf Distanz zu dem Meinungsforschungsinstitut Dr. Berndt, das sowohl für die "VN" als auch für die ÖVP gearbeitet hat. Die Redaktion veröffentlichte am Donnerstag in einem Brief an die Leser eine Klarstellung des Instituts über die Zusammenarbeit, demnach sind keine Auskünfte über "VN"-Umfragen an die ÖVP gegangen. Die "VN"-Redaktion betonte ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler kündigte zudem seinen Ausstieg bei der in die Kritik geratenen Inseraten-Agentur Mediateam an.

"VN"-Chefredakteur Gerold Riedmann.

Auslöser der Diskussion war ein Bericht des Ö1-Medienmagazins "#Doublecheck". Dieses hatte unter anderem berichtet, dass Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler Anteile an der Kommunikationsberatungsfirma Mediateam hält, an der auch die Russmedia Verlags GmbH zu 40 Prozent beteiligt ist – der STANDARD berichtete ebenfalls über die Causa. Diese Werbeagentur wickelt das Anzeigengeschäft für die Zeitung der vom Wirtschaftsbund dominierten Vorarlberger Wirtschaftskammer ab.

Kessler steigt aus

Kessler, bisher auf Tauchstation, kündigte am Donnerstag per Aussendung seinen Ausstieg als Gesellschafter an. Er hält über die 3L Consult GmbH 49,9 Prozent an Mediateam. Er habe von Beginn an transparent offengelegt, "dass meine Rolle bei Mediateam die eines reinen Gesellschafters ist – ohne operative Funktionen", erklärte er. Er wolle nun seine Anteile abgeben, um möglichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Mediateam-Geschäftsführer Markus Steurer, der selbst zehn Prozent hält, erklärte, man bespreche die Übergabe im Kreis der Gesellschafter. Nach der zuletzt öffentlichen Diskussion konzentriere man sich als Unternehmen nun auf das operative Geschäft.

Zudem arbeiteten sowohl die "Vorarlberger Nachrichten" als auch die Vorarlberger ÖVP laut dem Bericht mit dem Meinungsforschungsinstitut Dr. Berndt zusammen. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, dass Aufträge von Zeitung und Partei ineinanderfließen, erklärte Firmengründer Edwin Berndt gegenüber Ö1: "Die ÖVP erkundigt sich schon immer wieder, ob für die 'VN' was ansteht. Und dann sprechen wir das ab, Doppelgleisigkeiten gibt es keine. Nur halt bei der Sonntagsfrage." Eine Unvereinbarkeit sah Berndt, der die Geschäftsführung vor Jahren an seinen Sohn abgegeben hat, nicht.

Die Chefredaktion der "Vorarlberger Nachrichten" betonte nun in einem auf der Leserbriefseite veröffentlichten Schreiben an die Leser: "Die 'VN'-Redaktion bekennt sich zu redaktioneller Unabhängigkeit und handelt auch danach." Die "Vorarlberger Nachrichten" forderten eine Klarstellung des Instituts und wollten wissen, wie die im Interview getätigten Aussagen zu verstehen seien, welche Auskünfte über "VN"-Aufträge an politische Parteien gegeben wurden und ob von der Zeitung in Auftrag gegebene Umfragen vorab Parteien zur Verfügung gestellt wurden bzw. ob Werte von Umfragen, die die Zeitung unabhängig in Auftrag gegeben hatte, nach "Absprachen" mit Parteien verändert wurden.

Institut: ÖVP hat nie Ergebnisse der "VN" bekommen

Das Institut hat dies in der Stellungnahme verneint. Man habe "nie Inhalte einer 'VN'-Erhebung an Dritte weitergegeben". "Die ÖVP hat nie Ergebnisse der 'VN' bekommen", hieß es. Von Absprachen könne nicht die Rede sein. Auch die Sonntagsfrage sei "immer separat – unabhängig voneinander – erhoben worden", so das Institut. Die "Vorarlberger Nachrichten" erklärten, mit Dr. Berndt habe man seit 1972 zusammengearbeitet, "es besteht jedoch aktuell kein Vertragsverhältnis mehr". Schon bisher hätten die "VN" zu allen Meinungsumfragen Transparenzkriterien wie Auftraggeber, Samplegröße und Umfragemethoden veröffentlicht. Man werde weiterhin Positionen einnehmen, Artikel und Meinungsbeiträge veröffentlichen, die politischen Parteien nicht gefallen. "Äquidistanz lautet unser Ziel", betonte die Chefredaktion. Verpflichtet fühle sich die Redaktion allein ihren Leserinnen und Lesern.

Russmedia verweist auf Ausschreibung

Zu der seit 2013 bestehenden Beteiligung an der Werbeagentur hatte Russmedia-Geschäftsführer Markus Raith in den "Vorarlberger Nachrichten" erklärt, dass die "Anzeigenvermarktung von verschiedensten Medien zu einem der Geschäftsbereiche von Russmedia" gehöre. Zudem habe Mediateam den "Vermarktungsauftrag für die Medien der Wirtschaftskammer über eine EU-weite öffentliche Ausschreibung gewonnen".

Die Causa hat auch in der Vorarlberger Landespolitik hohe Wellen geschlagen. So kritisierte die Opposition die Geschäftspraktiken und ortete Klärungsbedarf. SPÖ, Neos und FPÖ hinterfragten – wie berichtet – in Anfragen an Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) die Konstruktion. Im Raum steht der Vorwurf der indirekten Parteienfinanzierung. Wallner kündigte eine Prüfung an. (APA, 2.12.2021)