Porträts und Posen: Zanele Muhole verhandelt Repräsentationsfragen.

Foto: Muholi

Es ist jeweils nur das halbe Bild, das Zanele Muholi zeigt. Die Köpfe sind auf manchen Fotos abgeschnitten, Gliedmaßen fehlen. Auf einem Bild bandagiert sich eine der Porträtierten die Brüste ab, wohl um sich selbst zu schützen. Der Körper ist in den im Berliner Gropius-Bau ausgestellten Werkserien von Muholi zu einem Spielball gesellschaftlicher Mächte geworden. Die südafrikanische Fotografin zeigt ihn aber auch als Hort des Stolzes und des Widerstands.

Die Post-Apartheid-Verfassung von Südafrika war 1996 die erste weltweit, die Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung verbot. Gewaltverbrechen gegen die LGBTQIA+-Community und Diskriminierung von Menschen, die nicht der Norm entsprechen, stehen dennoch bis heute an der Tagesordnung. Mit der Serie Only Half the Picture, die zu Beginn der Karriere der 1972 geborenen Künstlerin und Aktivistin entstand, fing Muholi die körperlichen Zurichtungen der schwarzen queeren Community ein. In einer Vitrine liest man in Gerichtsdokumenten oder queeren Magazinen die Geschichten hinter den Körpernähten und schwarzen Flecken, die Muholi mit der Kamera dokumentiert.

Muholi dokumentiert Gewaltverbrechen gegen die LGBtQIA+-Community
Foto: Muholi

Die Documenta- und Biennale-Teilnehmerin ist eine der prominentesten südafrikanischen Kämpferinnen für LGBTQIA+-Rechte. Was Anfang des Jahrtausends an einer Fotoschule zur Unterstützung schwarzer Fotografinnen und Fotografen begann, ist längst zu einem visuellen Archiv und beeindruckenden fotografischen Statement ihrer eigenen Community geworden. Nach der Tate Modern würdigt man jetzt auch in Berlin mit einer großen Personale die Sichtbarmachung und Selbstbehauptung von Menschen, die den Blick in die Kamera größtenteils scheuen.

"Homophobie ist der neue Rassismus", sagt eine der acht Aktivistinnen in einem Video, das Muholi flankierend zu ihrer berühmtesten Serie Faces and Phases zeigt. Über 500 Personen aus der schwulen, lesbischen, trans und nichtbinären Community hat sie in den vergangenen 20 Jahren aufgenommen. Die Fotos sind in Schwarz-Weiß, die Porträtierten schauen direkt in die Kamera, mal trotzig, mal scheu, mal selbstbewusst.

Bis heute ist diese erstmals 2012 auf der Documenta gezeigte Serie in Kassel zu sehen, und man kann auch in Berlin ob ihrer Wucht gut nachvollziehen, warum. Künstlerisch komplexer wird es allerdings einige Räume weiter, wo Muholis jüngste Reihe Somnyama Ngonyama ausgestellt ist. Geschult an Cindy Sherman schlüpft die Künstlerin in ganz unterschiedliche Posen, Charaktere und Archetypen, um Repräsentationsfragen zu verhandeln. Sind es bei Sherman weibliche Stereotypen, so sind diese bei Muholi vor der Folie ihrer eigenen Hautfarbe zu sehen. Alltägliche, mit der Lebenswelt von Schwarzen verbundene Materialien wie Latexhandschuhe oder Kabelbinder verwandelt sie in politisch aufgeladene Requisiten. Aus Stroh werden etwa Frisuren geformt, Sicherheitsnadeln dienen als Kopf- und Halsschmuck.

Werktitel in isiZulu

Einige der Porträts sind nach Muholis Mutter Nester benannt, die 42 Jahre lang für Weiße arbeitete; die Werktitel sind in isiZulu gehalten, der Muttersprache Muholis. Wie in ihren Arbeiten, in denen queere Menschen im Mittelpunkt stehen, geht es Muholi auch in dieser Serie darum, Unsichtbarkeiten aufzubrechen. Muholi verstärkt den Kontrast der Fotos bis auf ein Maximum, ihre eigene schwarze Hausfarbe wird dadurch betont, körperliche Details unterstrichen. Auf rassistische Stigmata antwortet Muholi mit deren Verstärkung, statt Scham zeigt sie Stolz.

In der Serie Brave Beauties gelingt ihr dies besonders eindrucksvoll. Nichtbinäre Menschen und trans Frauen unterwandern normierte Geschlechtervorstellungen. Schönheit wird hier mit ganz anderen Kategorien gefasst, als man dies gemeinhin gewohnt ist. Muholi hat daran keinen kleinen Anteil. (Stephan Hilpold aus Berlin, 3.12.2021)