Mit dem Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik und der kommende Woche folgenden Ablöse Angela Merkels im Berliner Kanzleramt endet auch eine jahrelange politische Zusammenarbeit.

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Der junge Mann aus Österreich und die ältere Frau aus Deutschland – bis zuletzt ein ungleiches Paar. Ex-Minister und -Ministerinnen geben sich am Abend in Berlin die Ehre, um dort mit dem Großen Zapfenstreich die deutsche Kanzlerin offiziell zu verabschieden. Tagelang hatte das Stabsmusikkorps der Bundeswehr Merkels Musikwünsche geprobt: Hildegard Knefs Für mich soll’s rote Rosen regnen ebenso wie Du hast den Farbfilm vergessen von Ex-DDR-Punkröhre Nina Hagen und das Kirchenlied Großer Gott, wir loben Dich.

Kurz hingegen stand beim endgültigen Abschied ganz allein da. Niemand war gekommen, um ihn zu würdigen und ihm zu huldigen.

Noch vor einigen Monaten hatte die Sache, zumindest aus Sicht des Kanzlers, anders ausgesehen. Merkel war Regierungschefin auf Abruf – er hingegen glaubte, eine glänzende Zukunft vor sich zu haben. Ende August reiste Kurz ein letztes Mal nach Berlin, um Merkel zu treffen. Er kam oft in die deutsche Hauptstadt, wohingegen es Merkel weniger nach Wien zog.

Doch Kurz betonte immer, dass man ja regelmäßig telefoniere und sich auch bei EU-Gipfeln sehe. Zum Abschied brachte er ihr ein lebenslanges Abo für die Salzburger Festspiele mit. Warme Worte für die "liebe Angela" gab es vom "lieben Sebastian" (Merkel über ihn) auch.

"Erfahrungsschatz"

In seiner Beziehung zu Merkel betonte Kurz gern den "besonderen Erfahrungsschatz", von dem er lernen könne. "Was ich immer an solchen Regierungschefs interessant finde, ist, was sie alles erlebt und wie sie es bewältigt haben", wurde Kurz nach seinem Abschiedsbesuch zitiert.

Hellhörige meinten dabei, auch eine Betonung auf sein eigenes jugendliches und agiles Image in Abgrenzung zu Merkels Nimbus als hölzerne und unbewegliche Schweigekanzlerin mitschwingen zu hören. Ihr Bemühen um Ausgleich auf europäischer Ebene habe den Machertyp Kurz an den Rand der Ungeduld gebracht, sagen Beobachter. "Klartextkanzler" versus "Narkoseärztin" – so brachten es deutsche Kolumnisten auf den Punkt.

Es liegt auf der Hand, dass beide unterschiedlichen politischen Generationen angehören. Als Angela Merkel 2000 CDU-Vorsitzende wurde, stand Kurz gerade einmal am Anfang seiner Pubertät. Der große Altersunterschied zwischen den beiden dürfte Angela Merkel zu Beginn eher irritiert als beeindruckt haben.

Auch war sie von österreichischen Politikern gewohnt, dass diese sich am Brüsseler Parkett dem großen Bruder Deutschland unterordneten. Spätestens seit der Migrationskrise 2015 kam diese langerprobte Tradition in die Schieflage.

Gegen "Willkommenspolitik"

Kurz – damals noch Außenminister – widersprach Merkel und ihrer "Willkommenspolitik" offen und gerne auch in diversen deutschen Leitmedien. Als er 2016 unter Ausschluss der Deutschen auf die Sperrung der Balkanroute setzte, hieß es hinter vorgehaltener Hand, Merkel müsse Kurz dankbar sein.

Seither wurde er nicht müde, die unterschiedlichen Ansätze in der Asyl- und Migrationspolitik zu betonen – auch als Merkel längst auf einen strikteren Kurs eingeschwenkt war. Dann war zu hören: "Wir werden dem deutschen Weg nicht folgen." Österreichs Ansatz, "Hilfe vor Ort" zu leisten statt Menschen aus Afghanistan aufzunehmen, betonte Kurz auch im Sommer beim "Abschiedsbesuch" in Berlin.

Der Neid der "Bild"-Zeitung

"So einen brauchen wir auch", titelte die Bild verzückt, als Kurz zu Beginn der Corona-Pandemie mit harten Maßnahmen reagierte, während sich Merkel mit den Ministerpräsidenten herumschlug.

Es ist ja nicht so, dass Merkel den jungen Konservativen partout nicht leiden konnte. Aber es passte ihr nicht, dass viele Junge in der Union ihre Verehrung für Kurz wie einen Orden vor sich hertrugen.

Der Streit um die Pkw-Maut (die dann ja nie kam) und der Widerstand des "frugalen" Kurz gegen den EU-Wiederaufbaufonds von Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron schlugen ebenfalls zu Buche.

Merkel ließ Kurz auch spüren, was sie von seiner Koalition mit der FPÖ hielt. Man werde die Regierung "an ihren Taten messen", beschied sie bei Kurz’ erstem Berlin-Besuch.

Aber jetzt ist all das Geschichte. Beide gehen ihrer Wege. Vielleicht treffen sie sich ja mal privat irgendwo, bei den Salzburger Festspielen zum Beispiel. Da würde man natürlich sehr gern wissen, was sie sich zu erzählen haben. Und vor allem, was sie übereinander denken. (Manuela Honsig-Erlenburg, Birgit Baumann, 3.12.2021)