Im Schach-Aquarium von Dubai konnten Weltmeister Magnus Carlsen (links) und Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi noch nicht überzeugen.

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Ein Carlsen.

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Zwei Nepomnjaschtschis.

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Magnus Carlsen würde gerne wieder eine Schachpartie gewinnen. Man merkt es dem Weltmeister an, der in den Pressekonferenzen zuweilen einen fahrigen Eindruck macht, wenn er erklären soll, warum wieder nur ein Remis herausgeschaut hat, und ob das ein Problem sei – für das klassische Schach im Allgemeinen, für ihn, den Champion, im Speziellen.

Normalerweise fällt dem Norweger das Siegen nicht schwer. Carlsen, der bei der WM in Dubai vor wenigen Tagen seinen 31. Geburtstag feierte, ist seit einem Jahrzehnt bei jedem Turnier, bei dem er antritt, hoher Favorit. Deshalb führt er auch ebenso lange die Weltrangliste an. 2856 Elo-Punkte erreicht nur, wer die Konkurrenz dominiert, und das tut Carlsen in aller Regel. Nur bei Weltmeisterschaften, da läuft es nun schon seit Jahren einfach nicht nach Plan.

Die Durststrecke

19 Partien, so lange dauert Carlsens Remisserie bei WM-Duellen jetzt schon an. Bis zum Match gegen den Russen Sergei Karjakin in New York muss man zurückblättern, genauer, bis zum 24. November 2016, um einen Sieg des Weltmeisters in einer WM-Partie mit langer Bedenkzeit aufzuspüren. Und auch damals schon lief es für den Mann aus Tonsberg nicht rund. Sieben Remis zu Beginn des Matches folgte eine Weißniederlage. Erst durch einen Zittersieg in Partie zehn schaffte Carlsen den Ausgleich und rettete sich ins Schnellschach-Tiebreak.

Dass Magnus Carlsen auch fünf Jahre später noch Weltmeister ist, hat er vor allem seiner Stärke im Spiel mit verkürzter Bedenkzeit zu verdanken. Denn steht es nach dem klassischen Teil einer WM unentschieden, dann muss die Entscheidung im Schnellschach oder gar Blitzschach fallen. Und in den Partien mit 25 Minuten Bedenkzeit pro Spieler machte der Titelverteidiger zweimal kurzen Prozess mit seinen Herausforderern. Weder Karjakin 2016 noch Fabiano Caruana zwei jahre später hatte in dieser Disziplin den Hauch einer Chance gegen Carlsen, der in den Tiebreaks befreit aufspielte.

Muss es in Dubai ein weiteres Mal so weit kommen? Nach fünf von 14 Partien stehen fünf Remis zwischen Carlsen und seinem russischen Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi zu Buche. Der ist eigentlich für riskantes Angriffsschach bekannt, viele Experten hatten erwartet, dass er Carlsen scharf angehen wird. Aber Nepomnjaschtschi hat seinen Stil den Erfordernissen angepasst. Mit Schwarz nimmt der 30-Jährige plötzlich keinerlei Risiko mehr, sondern setzt auf staubtrockene Ausgleichsvarianten.

Karjakins Einfluss

Nepomnjaschtschi wolle Carlsen aus der Reserve locken, ihn durch die Remisserie frustrieren, mutmaßt Vizeweltmeister Caruana. Dieselbe Strategie hätte für Karjakin 2016 beinahe Früchte getragen. Und ebendieser Karjakin ist dem Vernehmen nach in Nepomnjaschtschis Sekundantenstab.

Allerdings hat das auf Remis eingestellte Mindset des Herausforderers auch seine Nachteile. Als Carlsen in Partie zwei mit Weiß ein grober Schnitzer unterlief, hatte Nepomnjaschtschi die bisher beste Chance auf einen vollen Punkt. Statt selbst auf Sieg zu spielen, war der Russe nur darauf aus, seinem Gegner keine Gewinnchancen zuzugestehen. Ein Remis war die logische Folge. Auch in der ersten und fünften Partie stand Nepomnjaschtschi ausgangs der Eröffnung besser, ging aber dann zu zaghaft zu Werke, um dem Favoriten ernsthafte Probleme zu bereiten.

Der magische Punkt

Carlsen selbst wiederum konnte bei dieser WM bisher einzig in der Defensive überzeugen. Nach vorne ging beim so sehr ans Siegen gewohnten einstigen Wunderkind noch gar nichts. In der Pressekonferenz nach der fünften Partie sprach er überraschend von einem "magischen Punkt", an dem das Remis sich bei Weltmeisterschaften von einem normalen Resultat zu einem Problem wandle. Diese Grenze ist laut Carlsen noch nicht erreicht.

In den kommenden neun Partien haben die Kontrahenten noch genügend Gelegenheit, zählbare Resultate zu produzieren. Sollten Carlsen und Nepomnjaschtschi ihre Safety-first-Strategie jedoch bis zum Ende erfolgreich durchziehen, dann müsste am 15. Dezember beim Stand von 7:7 wieder einmal ein Tiebreak entscheiden. Dem habituell schnell spielenden Nepomnjaschtschi wären dann allerdings bessere Chancen einzuräumen als Carlsens früheren Herausforderern. (Anatol Vitouch, 3.12.2021)