Sebastian Kurz vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – da hatte das Unheil längst seinen Lauf genommen.

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Es war am 20. Jänner 2020, ein Hintergrundgespräch im Springer-Schlössl in Wien-Meidling, in dem die "Akademie" der ÖVP untergebracht ist. Sebastian Kurz hat Innenpolitik-Journalisten zu einem vertraulichen Termin geladen, nicht das erste Mal. Etwa 15 bis 20 Medienvertreter sind anwesend, hauptsächlich Journalistinnen von Tageszeitungen, aber auch Kolleginnen vom ORF. DER STANDARD ist auch vertreten. Kurz gibt einen sehr allgemeinen Rückblick auf die Regierungsbildung mit den Grünen und skizziert in einem gemütlichen Rahmen die aktuellen Themen in der Regierung. Er selbst kommt auf die Justiz zu sprechen, es geht vor allem um die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen den früheren Finanzminister Hartwig Löger und andere ÖVP-nahe Persönlichkeiten in der Causa Casinos.

Kurz spricht sinngemäß, aber nicht wortwörtlich von einem roten Netzwerk in der Staatsanwaltschaft. Es würden gezielt Informationen und Aktenteile aus der Staatsanwaltschaft rausgespielt, um der ÖVP und letztendlich ihm zu schaden.

Gezielte Angriffe

Ein kleines Buffet ist aufgebaut, im Anschluss an den offiziellen Teil, der von Kurz und seinen Medienleuten allerdings dezidiert als "off-off", also nicht zitierbar und reiner Hintergrund, eingestuft wurde, kommt Kurz an den Stehtischen mit den Journalisten ins Gespräch. Es geht auch um sein Verhältnis zur Justiz. Es wird klar, dass Kurz die Ermittlungen gegen Löger, den er in die Politik geholt hat und der zu diesem Zeitpunkt von den Ermittlungen offenbar sehr angegriffen war, persönlich nimmt. Die Staatsanwaltschaft habe hier eine Agenda, sie füttere Medien gezielt mit Material. Der implizierte Vorwurf: Die Medien würden dadurch manipuliert, und sie würden wiederum gezielt gegen Kurz und sein Umfeld schreiben. Kollegen weisen das noch an Ort und Stelle zurück, Kurz wird mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Akten vor allem durch die Akteneinsicht durch die Anwälte an die Medien geraten und nicht direkt von der Korruptionsstaatsanwaltschaft weitergereicht würden.

Kurz bleibt dabei: Die WKStA gehe gezielt und aus politischen Gründen gegen ihn vor. In den nächsten Tagen taucht ein uraltes Papier wieder auf, dieses würde belegen, wie die SPÖ Einfluss in der Justiz nehme. Es geht um eine Besprechung in einer Rechtsanwaltskanzlei im Jahr 1997, bei dem sich auch SPÖ-Vertreter darüber beraten, wie man mehr SPÖ-loyales Personal im Justizapparat etablieren könne. Kurier und Presse berichten Anfang Februar 2020 darüber, Kurz selbst ruft am Wochenende jene Medien, die das nicht aufgegriffen haben, durch und verweist nachdrücklich auf diese Geschichte. Ein ganz ähnlich lautender Artikel in einer früheren Fassung wurde von einer angeblich involvierten Person allerdings geklagt, der Kurier wurde dafür verurteilt.

Bestätigte Vorbehalte

Ein paar Tage später gibt es einen runden Tisch mit Vertretern der Justiz. Es soll eine Art Aussprache sein, genutzt hat das offenbar nicht viel. Zumindest Kurz sieht sich in seinen Vorbehalten bestätigt: Nach dem Termin tritt Kurz vor die Presse und erklärt unter anderem, "hochrangige Journalisten" hätten ihm gegenüber bestätigt, Akten aus der Staatsanwaltschaft erhalten zu haben. Es folgt deswegen eine Anzeige der Neos, Kurz wird von einem Staatsanwalt einvernommen; der Inhalt dieser Aussage ist bis heute nicht bekannt.

Die WKStA lässt sich jedenfalls nicht beirren. Vor allem die tausenden Nachrichten, die auf dem Handy von Thomas Schmid sichergestellt wurden, bringen Kurz immer mehr in Bedrängnis. Die Einschläge rücken immer näher an Kurz heran: Nun taucht er selbst in peinlichen Chatnachrichten auf. In Anordnungen der WKStA wird er nun ganz offiziell zur zentralen Figur. Etwa im Februar 2021, als erstmals in der Geschichte der Republik eine Hausdurchsuchung bei einem Finanzminister durchgeführt wurde. Gernot Blümel, seit Jahren einer der engsten Vertrauten Kurz’, wird vorgeworfen, ein korruptes Angebot der Novomatic an den damaligen Außenminister weitergetragen zu haben. Die ÖVP beginnt als Reaktion darauf, ihre Angriffe auf die WKStA zu intensivieren. Der Kanzler persönlich wirft den Ermittlern "viele Verfehlungen" vor.

Es ist wohl auch ein Vorbau für den Moment, in dem Kurz selbst zum Beschuldigten werden würde. Erwartet wurde schon im Frühjahr eine Großaktion der WKStA samt schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen. Doch die bleibt vorerst aus: Stattdessen wirft die Staatsanwaltschaft dem Kanzler vor, den Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch informiert zu haben. Politisch hätte Kurz das überleben können: Gerade bei dem Delikt der Falschaussage lässt sich die Erzählung aufbauen, Kurz habe nicht absichtlich gelogen oder sei falsch verstanden worden.

Etliche Hausdurchsuchungen

Spätestens ab September ist jedoch spürbar, dass da noch mehr gegen Kurz kommen würde. Nervös veranstaltet die ÖVP zwei bizarre Pressekonferenzen, in denen über bevorstehende Hausdurchsuchungen gemutmaßt wird. Am 6. Oktober ist es dann so weit: In einer Großaktion durchsuchen Ermittler auf Anordnung der WKStA mehr als zwanzig Orte, darunter die ÖVP-Zentrale und das Bundeskanzleramt. Dem damaligen Kanzler bleibt eine Razzia wohl nur deshalb erspart, weil sein Personenschutz – der vorgewarnt werden müsste – die Angelegenheit verkompliziert hätte.

Die WKStA wirft engen Beratern und Kurz selbst vor, einen korrupten Deal mit einer Meinungsforscherin und den Fellner-Brüdern abgeschlossen zu haben. Dabei geht es um beeinflussbare Berichterstattung, Inserate, manipulierte Umfragen und Scheinrechnungen, die dem Finanzministerium gestellt wurden. Alle Beteiligten bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Doch abseits der strafrechtlichen Vorwürfe sind die Chatnachrichten, die im Durchsuchungsbefehl angeführt wurden, politisch zu brisant und die Vorwürfe gegen Kurz – nämlich Anstiftung zu Bestechlichkeit und Untreue – zu schwerwiegend, um politisch folgenlos zu bleiben. Mit all ihrem politischen Gewicht zwingen die Grünen den Kanzler zum Rücktritt. Für ihn ist es vorläufig nur ein "Schritt zur Seite", nämlich in den ÖVP-Parlamentsklub, dem er als Obmann vorsteht. Parteichef bleibt er vorerst.

Schmutzkampagnen

In den folgenden Wochen versucht die ÖVP intensiv, den Altkanzler durch sogenannte Litigation-PR reinzuwaschen: durch bezahlte Gutachten, Hintergrundgespräche und Schmutzkampagnen gegen investigative Journalisten sowie die WKStA. Noch am Montag ruft Kurz bei Redakteuren an, um seine Sicht auf die Einvernahme von Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) darzulegen. Am Donnerstag schließlich wendet sich Kurz zuerst an die Kronen Zeitung, dann beruft er eine Pressekonferenz ein und verkündet seinen Rückzug aus der Politik. (Fabian Schmid, Michael Völker, 3.12.2021)