"In Wien wird weiter Mozart gefeiert. Das hängt einem allmählich zum Halse heraus", notierte Joseph Goebbels am 6. Dezember 1941 zum Abschluss des Mozartfests in sein Tagebuch. Dabei hatte Goebbels noch am selben Tag die Aufführung von Mozarts Requiem im Wiener Musikverein besucht und war von der Interpretation durch die Wiener Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler "wie benommen".

Bild nicht mehr verfügbar.

Richard Strauss leitete 1941 beim Mozartfest den "Idomeneo", ohne Lothar Wallerstein, den Bearbeiter des deutschen Textes, zu nennen, der jüdischer Herkunft war.
Foto: Picturedesk.com / Ullstein Bild / Laszlo Willinge

Trotzdem verbot er die Übertragung des Requiems im Radio, weil er befürchtete, dass Mozarts Totenmusik wegen der wenig erfreulichen Nachrichten von der Ostfront auf die Zuhörer "niederschmetternd" wirken könnte.

Nach außen hin vertrat Goebbels in seiner Funktion als "Minister für Volksaufklärung und Propaganda" natürlich eine ganz andere Position, wie seine Rede aus Anlass der Eröffnung des Mozartfests in Wien am 28. November 1941 zeigt. Darin heißt es: "Die größte musikalische Huldigung, die je einem Genius ehrend dargebracht wurde, vollzieht sich im Kriegsjahr 1941 in Wien. Während Europa sich anschickt, eine neue politische Gestalt anzunehmen, und die Grundlagen der Zukunft durch die Waffen erkämpft werden, huldigen die deutsche Nation und die ihr befreundeten Völker einem der Größten aller Nationen und Menschen, die die Welt je hervorgebracht hat. Die Zukunft unseres Volkes und Europas insgesamt soll mit im Zeichen dieses großen deutschen Tonschöpfers stehen."

Propagandaveranstaltung

Zu diesem Zeitpunkt wusste Goebbels allerdings bereits, dass die Schlagzeile des Völkischen Beobachters, "Der Feldzug im Osten ist entschieden", reines Wunschdenken war und der Krieg gegen die Sowjetunion länger dauern würde, als von Hitler prophezeit. Der Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien, Baldur von Schirach, gehörte allerdings zu denen, die vom baldigen Endsieg überzeugt waren, weshalb er das Mozartfest in Wien als großangelegte Propagandaveranstaltung und Siegesfeier für das "neue Europa" unter deutscher Führung inszenierte.

Aus diesem Grund wurden auch zahlreiche Ehrengäste und Journalisten aus dem Ausland eingeladen, um zu demonstrieren, dass der neue Staat auch ohne Juden in der Lage war, höchste kulturelle Leistungen zu erbringen. Darüber hinaus sollte mit diesem Fest unter Berufung auf Mozart der Anspruch des Deutschen Reichs auf "die Übernahme der Führung der abendländischen Kultur" untermauert werden.

Flankenschutz durch Prominenz

Nachdem von Schirach in seiner "Goethe-Rede" bereits 1937 den Dichter zum Antisemiten, Nationalisten und Kriegsbefürworter stilisiert hatte, nahm er Mozarts 150. Todestag zum Anlass, auch diesen Komponisten für die Zwecke der Nationalsozialisten zu missbrauchen. Zur Legitimation seiner Thesen, die von den namhaftesten Musikwissenschaftern bereitwillig unterstützt wurden, legte von Schirach größten Wert darauf, dass ihm beim Mozartfest möglichst viele prominente Dirigenten, Komponisten, Regisseure und Sänger Flankenschutz gaben.

Hans Knappertsbusch, Clemens Krauss und Wilhelm Furtwängler dirigierten die Wiener Philharmoniker, Richard Strauss leitete eine Aufführung des Idomeneo in der Staatsoper, ohne freilich den Bearbeiter des deutschen Textes, Lothar Wallerstein, zu nennen, weil er jüdischer Herkunft war.

Die Gunst der Stunde

Ähnlich verfuhr bekanntlich auch einer von Hitlers Lieblingskomponisten, Franz Lehár, der das "Pech" hatte, dass zahlreiche seiner Librettisten Juden waren, deren Namen während der Nazizeit dann ebenfalls von den Besetzungszetteln verschwanden. Dafür durfte Lehár im Mai 1940 ein "Kraft durch Freude-Konzert" der Wiener Philharmoniker im Konzerthaus leiten. Neben dem Idomeneo wurde während des Mozartfests in Wien auch Gustaf Gründgens’ Berliner Inszenierung der Zauberflöte gezeigt, der Goebbels wenig abgewinnen konnte, die aber unangreifbar war, weil sie ja Hitlers begeisterte Zustimmung gefunden hatte.

Auch wenn das Mozartfest 1941 "in Zusammenarbeit mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und dem Reichsstatthalter in Wien" stattfand, nutzte Baldur von Schirach die Gunst der Stunde, um zum Auftakt dieses Festes – sehr zum Missfallen Joseph Goebbels’ – den "unaufhaltsamen künstlerischen Wiederaufstieg Wiens" zu propagieren.

Mozarts Geist für den Krieg

In seiner Eröffnungsrede entwarf er seine Vision von einem "neuen Europa" mit Mozart als Zentrum, wobei er sich wegen der anwesenden internationalen Gäste mit antisemitischen Ausfällen zurückhielt.

Stattdessen würdigte er "die hohe Eigenschaft des europäischen Genies Mozart, anderen etwas von der eigenen sittlichen Kraft mitzuteilen", um gleichzeitig aber keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass das Mozartfest auch eine "Feier der Front" sei: "Im Kriege aber bedeutet die Beschwörung von Mozarts Geist eine Handlung im Sinne der kämpfenden Soldaten: Denn wer für Deutschland das Schwert zieht, der zieht es auch für ihn! Unsere Kunst war nie gültig, wenn sie nicht zu allen Zeiten gültig wäre. Das gerade ist die Bedeutung Mozarts für die Kämpfer des Krieges, dass er ein Teil der Kraft ist, aus der heraus wir Kriege führen können."

Von Schirach schloss seine Rede mit den martialischen Worten: "Heute erklingt hier ein Name, aber er spricht für Deutschland und bedeutet ein Glück für die ganze Welt: Wolfgang Amadeus Mozart. Zu seinem Gedächtnis haben wir uns versammelt. In seinem Zeichen rufen wir die Jugend Europas zum Krieg für ihre Kunst."

"Törichte" Feier

Als der Reichsstatthalter von Wien diese Rede am 28. November 1941 hielt, konnte er nicht ahnen, dass sich zur selben Zeit an der Ostfront die Kräfteverhältnisse zugunsten der Sowjetunion zu verschieben begannen, womit der Anfang vom Ende Nazideutschlands eingeläutet wurde.

Goebbels, der daran zweifelte, dass es in Deutschland ein Weihnachten mit den heimgekehrten Soldaten geben würde, empfand die Monumentalität des Mozartfests mit seinen Festakten, Kranzniederlegungen und Kongressen sowie den mehr als sechzig Konzerten und Opernaufführungen als "töricht".

Als "Minister für Volksaufklärung und Propaganda" war er zwar auch vom deutschen Endsieg überzeugt, allerdings kam seiner Meinung nach die Siegesfeier in Wien zu früh, und seine Bedenken sollten sich bald bestätigen, denn bereits einen Tag nach dem Ende des Fests griff Japan Pearl Harbour an, und vier Tage später erklärte Deutschland den USA den Krieg. Die Idee vom "neuen Europa" unter deutscher Führung musste also notgedrungen anderen Zielen untergeordnet werden.

Perfide, menschenverachtend

Wie perfide und menschenverachtend aber Baldur von Schirachs "Kulturverständnis" war, zeigt sich auch darin, dass er im September 1942 die Deportation und Ermordung von 65.000 Wiener Juden als kulturellen Beitrag bezeichnete: "Wenn man mir den Vorwurf machen wollte, dass ich aus dieser Stadt Aberzehntausende ins östliche Ghetto abgeschoben habe, muss ich antworten: Ich sehe darin einen aktiven Beitrag zur europäischen Kultur." Dass von Schirach im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess nur zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde, ist angesichts dieser Verbrechen schwer nachvollziehbar.

Im Kontext des Mozartfests 1941 muss freilich auch an die Mitwirkung und Unterstützung jener linientreuen Musikschaffenden, Schriftsteller und Wissenschafter erinnert werden, die wesentlich zum Gelingen dieser Propagandaveranstaltung beigetragen haben.

Neben den bereits Erwähnten waren das zum Beispiel der Dirigent Karl Böhm, die Komponisten Werner Egk und Rudolf Wagner-Regeny, der Schriftsteller und fanatische Antisemit Josef Weinheber, nach dem auf der Westautobahn bei Kilometer 44 übrigens immer noch eine Brücke benannt ist, und die Mozartforscher Ludwig Schiedermair und Erich Schenk.

Beste deutsche Stammesart

Letzterem blieb es vorbehalten, aus Mozart einen lupenreinen Arier zu machen, dessen "stammesbedingte Ahnenerbe die schicksalhafte Grundlage seiner Persönlichkeitsprägung" bildete. Dem Sprachgebrauch der nationalsozialistischen Rassenforschung entsprechend wurde Mozart zur "Synthese bester deutscher Stammesbegabung und Stammesart" erklärt.

Von Mozart über Goethe zu Hitler, das war im Verständnis des nationalsozialistischen Rassenwahns jene natürliche Entwicklung, die nicht nur den Krieg, sondern letztendlich auch die Konzentrationslager rechtfertigte.

Nicht einmal vier Jahre nach dem Mozartfest, am 1. Mai 1945, spielte die Wiener Staatsoper in ihrem Ausweichquartier, der Volksoper, als Eröffnungspremiere Die Hochzeit des Figaro. Am selben Tag beging Joseph Goebbels in Berlin Selbstmord. und das "neue Europa" lag in Schutt und Asche. (Kurt Palm, 5.12.2021)