Am Planen und Bauen, an Architektur, Städtebau und Freiraumplanung entscheidet sich die Zukunft des Planeten. Geht’s ein bisschen kleiner? Nö." So schrieb vor wenigen Wochen der Architekturredakteur der Süddeutschen Zeitung, Gerhard Matzig, anlässlich der deutschen Koalitionsverhandlungen zur Debatte über ein eigenes Bautenministerium.

To-do für die
Ampel: Bodenversiegelung stoppen.
Foto: ÖAV

In Deutschland gab es immerhin stets Bundesverantwortung fürs Bauen, auch wenn die immer nur irgendwo mitgemeint war: einmal bei der Umwelt, dann beim Verkehr, zuletzt beim Innenministerium unter dem Titel "Heimat". In Österreich gibt es seit Ende der 1980er-Jahre keine solche Bundesverantwortung mehr, vom Bautenministerium blieb die Bundes immobiliengesellschaft übrig, eine qualitätsorientierte Immobilienentwicklerin und -verwalterin, die tolle Schulen, Universitäten und Amtsgebäude baut, aber kein Ersatz für politisches Handeln ist.

Auch wenn in Österreich viele Kompetenzen fürs Bauen bei den Bundesländern und Gemeinden liegen, sind die auf Bundesebene brachliegenden Aufgaben ungezählt: Rahmen für Raumordnung, Flächenverbrauch, Städtebauförderung, Sanierung und Lebenszykluskosten, Mietrecht, Wohnungsgemeinnützigkeit, Qualitätsorientierung im Vergaberecht, you name it.

Dabei ist das Bauen der weltweit größte Treibhausgasemittent (40 Prozent am Gesamtausstoß), acht Prozent verursacht allein die Zementindustrie. Und es erzeugt enorme Müllmengen, 55 Prozent des Abfalls in Deutschland. Aber das ist nicht alles: Der Bodenverbrauch will nicht abnehmen, es wird viel zu wenig saniert, Innenstädte und Dorfkerne verwaisen, während Einfamilienhäuser und Gewerbegebiete auf der grünen Wiese nur so sprießen und immer mehr Verkehr erzeugen.

Umso wichtiger war deshalb die Frage, was sich die neue Ampelkoalition in Deutschland vornehmen würde. Fix ist: Es gibt nun wieder ein eigenes Bundesministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und ländliche Räume. Aber was sieht der neue Koalitionsvertrag als Arbeitsprogramm vor?

Quantität und Qualität

Ein großer Schritt ist die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit. In Deutschland wurde sie 1988 nach dem Skandal um den Bauträger Neue Heimat abgeschafft. Während in Österreich bis heute Jahr für Jahr tausende Wohnungen von Gemeinnützigen gebaut werden, die über unbegrenzte Zeit niedrige, gebundene Mieten bieten, fallen in Deutschland alle geförderten Wohnungen nach einiger Zeit, oft schon nach 15 Jahren, aus der Preisbindung. In Österreich gibt es also jedes Jahr mehr preisgebundene Wohnungen, in Deutschland jedes Jahr weniger, obwohl der Bedarf enorm ist.

Gemeinnütziger Wohnbau ist nicht immer nachhaltig. Bikes & Rails (Architekt Georg Reinberg) in Wien ist ein positives Beispiel.
Foto: Rupert Steiner

Seit langem wird darüber diskutiert, dieses Modell zwischen Markt und Staat wiedereinzuführen. Nun scheint es so weit zu sein, inklusive einer Erhöhung der Wohnbaufördermittel – zukünftig sollen 100.000 geförderte Wohnungen pro Jahr gebaut werden, etwa viermal so viele wie zuletzt. Aber es geht natürlich nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität: Diese Wohnungen sollen "bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ und mit lebendigen öffentlichen Räumen" gestaltet werden.

Ein Wermutstropfen ist es, dass nach wie vor auf die Eigenheimförderung gesetzt wird. Der Vorteil der hohen Mietquote in Deutschland (wie auch Österreich) wird als Nachteil gesehen und zur Behebung auch noch öffentliches Geld ausgegeben, was in großen Städten mit hohem Nachfragedruck kontraproduktiv ist, weil die Preise dadurch weiter angeheizt werden. Genauso setzt übrigens die aktuelle österreichische Koalition auf mehr Eigentumsbildung.

Ein zentrales Thema ist der Flächenverbrauch, in Deutschland zuletzt 52 Hektar pro Tag (in Österreich zwölf Hektar). Die brandneue EU-Bodenstrategie sieht null Verbrauch bis 2050 vor. Das Ziel in Deutschland sind 30 Hektar bis 2030 (Österreich: 2,5 Hektar), nachdem das gleiche Ziel 2020 verpasst wurde. Natürlich kann man sich fragen, warum es jetzt klappen sollte. Allerdings stehen im Koalitionsvertrag schon ein paar gute Ansätze, auch wenn "konkrete Maß nahmen" erst in Aussicht gestellt werden: In Deutschland gibt es, im Unterschied zu Österreich, ein bundesweites Baugesetzbuch (BauGB). Für dieses soll das neue Instrument der "Innenentwicklungsmaßnahme" geprüft werden, mit dem man unwillige Eigentümer von Grundstücken aktivieren oder, wenn das nichts nützt, auch enteignen kann.

Innovativen Wohnbau gibt es in Deutschland, mit der
Gemeinnützigkeit ließe er sich vervielfachen und preiswerter machen: das "Integrative Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt" in Berlin, Arge Ifau / Heide & von Beckerath.
Foto: Andrew Alberts

Bauforschung und Betongold

Generell soll das BauGB unkomplizierter, klimafreundlicher und gemeinwohlorientierter werden. Flächen, die die Bahn nicht mehr braucht, sollen an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergeben und nach wohnungspolitischen und ökologischen Zielen entwickelt werden – ein enormer Fortschritt, stand bei Bahnimmobilien doch bisher der Profit im Vordergrund. Ähnliches ist in Österreich geplant, aber nicht umgesetzt. Die Städtebauförderung (auch die gibt es in Österreich nicht) wird erhöht. Günstige Mieten und Klimaschutz werden heute von gestiegenen Baukosten beeinträchtigt. Die Koalition will durch serielles Bauen, Digitalisierung, Standardisierung, Typengenehmigungen fürs Sanieren und Verbesserungen in der Normung die Baukosten senken und in die Bauforschung investieren. All das wird aber wenig helfen, solange das Betongold Anleger lockt.

Doch wie steht es mit dem Klima? Dieses soll Querschnittsaufgabe für alle Ressorts werden, somit auch fürs Wohnen und Bauen. Die Wohnbauförderung wird auf Treibhausgasemissionen fokussieren. Zukünftig soll es stärker um graue Energie, also jene Energie, die für das Bauen eingesetzt wird, und um Lebenszykluskosten gehen, also um den Aufwand für die gesamte Betriebsdauer eines Gebäudes. Beides soll durch einen digitalen Gebäuderessourcenpass sichtbar werden. Holzbau und Leichtbau sollen gestärkt werden. Ein wichtiger Punkt ist das sogenannte Mieter-Vermieter-Dilemma: Investitionen in energetische Maßnahmen kommen vorrangig den Mietern zugute, müssen aber von Vermietern finanziert werden. Deshalb prüft die Koalition die "Teilwarmmiete": Heizenergie würde Teil des Mietpreises werden, ein Anreiz für Vermieter, ins Energiesparen zu investieren.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Ein großer Wurf sieht anders aus, wenn man vom Thema Gemeinnützigkeit absieht. Aber letztlich geht es weniger um große Ankündigungen, sondern darum, das Pariser Übereinkommen zu erfüllen. Wenn man aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließt, muss man da pessimistisch sein. Aber vielleicht schaffen SPD, Grüne und FDP nun etwas, das in Deutschland (und Österreich) bisher nicht möglich schien. (Robert Temel, 04.12.2021)