Um die 20.000 Schritte legt der Paketzusteller Michael Bayer pro Dienst zurück. Sein Arbeitstag beginnt an diesem Dienstag eine Stunde früher als sonst, bereits um kurz nach fünf Uhr fängt er an, die Pakete aus dem Metallcontainer in seinen Post-Wagen einzuladen. Fast zwölf Stunden später wird er noch unterwegs sein, bis das letzte Packerl in seinem Zustellbezirk ausgeliefert wurde.

Zweieinhalb Stunden vor Sonnenaufgang beginnt der Arbeitstag von Paketzusteller Michael Bayer (51).
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Ein normaler Acht-Stunden-Arbeitstag sei mit 120 Paketen bemessen – vom Einladen bis zum Ausliefern. Als der 51-Jährige kurz nach Sonnenaufgang um halb acht Uhr mit seinem Wagen die Zustellbasis in Wien-Donaustadt verlässt, hat er 303 Pakete im Gepäck. Lange Arbeitstage gehören für ihn und seine Kollegen in der Vorweihnachtszeit dazu, sagt er.

Allein bei der Post sei das Aufkommen an Sendungen im Lockdown um rund zehn Prozent gestiegen. Bei täglich 800.000 Packerln Ende November entspricht das einem Zuwachs von 80.000 Paketen. Zum Vergleich: Unter dem Jahr werden täglich zwischen 500.000 und 700.000 Packerln zugestellt. Die Post sei aber auch für größere Mengen gut gerüstet, sagt Post-Chef Georg Pölzl vergangene Woche im Ö1-Radio. Letztes Jahr zu Weihnachten waren es in der Spitze bis zu 1,3 Millionen Pakete pro Tag. Heuer rechne man mit ähnlichen Mengen.

Hohe Belastung

Die Gewerkschaft schlägt unterdessen wegen der hohen Belastung der Beschäftigten Alarm. "Permanent" würden Überstunden gemacht, kritisiert Postgewerkschaftschef Richard Köhler. Bei einem Krisengipfel Anfang November habe das Management zugesagt, 1500 neue Mitarbeiter einzustellen. Dies müsse laut Köhler so schnell wie möglich passieren.

Auch Michael Bayer stellt sich die Frage nach dem Wann: "Bis die Stellen besetzt und die neuen Kollegen eingeschult sind, dauert es ja auch", sagt er, während er die erste Ladung Pakete aus seinem Wagen auslädt und auf seinem Transportkarren nach Türnummern sortiert.

Die Post hat bereits im zweiten Quartal 56 Prozent aller Pakete im Inland zugestellt und ein Viertel der Sendungen, die von Österreich aus ins Ausland gingen, abgewickelt. Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres nach Angaben der Regulierungsbehörde RTR 150 Millionen Pakete zugestellt – das waren um 34 Millionen mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres.

40.000 Pakete kamen diese Woche täglich in der Zustellbasis Wien-Donaustadt an – und es werden noch mehr. Anfang Oktober waren es noch rund 22.000 Sendungen pro Tag.
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Einkauf per Mausklick

Um das enorme Pensum zu bewältigen, vergeben große Logistikkonzerne Aufträge an kleinere Frächter und Ein-Personen-Firmen, sogenannte Subunternehmen. Die Post würde vor allem in der Hauptsaison zu Weihnachten verstärkt mit Frächter zusammenarbeiten, heißt es dazu auf Anfrage von einer Post-Sprecherin. Insgesamt werden bis zu 25 Prozent der Paketmengen im Jahresdurchschnitt über Subunternehmen zugestellt.

"Der gesamte Onlinehandel lebt von einem Geflecht an Subsubsubfirmen, in dem die Verantwortung meist an das schwächste Glied – die Fahrer – abgegeben wird", kritisiert Vida-Gewerkschafter Karl Delfs. Unter ihnen gebe es ein hohes Maß an Scheinselbstständigen, die unter prekärsten Arbeitsbedingungen Lieferungen zustellen würden. Betroffen seien häufig Asylwerber, die ohne Arbeitserlaubnis nur selbstständig erwerbstätig sein könnten. Um die Einhaltung des Arbeitsrechts bei den Subunternehmen sicherzustellen, brauche es seiner Einschätzung nach die Umsetzung eines Lieferkettengesetzes – also eine Haftung der Unternehmen, die sich über die ganze Lieferkette erstreckt. Die Politik würde jedoch seit Jahren wegschauen, sagt Delfs.

Ein Anstieg des Paketaufkommens ist nämlich nicht erst seit der Pandemie zu beobachten. Die Österreicherinnen und Österreicher erledigen seit Jahren immer mehr Einkäufe per Mausklick oder App.

Die Online-Aktionstage, der Lockdown und das Weihnachtsgeschäft kommen derzeit bei der Post voll zum Tragen.
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Große Packerln

Das merkt auch Michael Bayer in seiner täglichen Arbeit. Obwohl sein Rayon, so werden die Zustellbezirke genannt, erst im April verkleinert wurde, gebe es immer mehr und größere Packerln – auch Tiernahrung, Küchengeräte und Möbelstücke stelle er zu. Der Druck sei deshalb schon in den letzten Jahren gestiegen. Zeit für eine Pause oder ein kurzes Gespräch mit seinen Kunden habe er mittlerweile kaum. Dabei sei gerade das ein Grund, warum er den Job so gerne mache: der Kontakt zu den Leuten.

Seinen Zustellbezirk und die Anwohnerinnen und Anwohner kennt der 51-Jährige wie kein anderer. Er weiß genau, wo welche Türnummer ist, bei wem er wann läuten muss und wer Pakete für Nachbarn annimmt. Das sei seiner Meinung nach auch wichtig, um den Job als Zusteller zu machen. Wer seine Tour nicht gut kenne, könne die Arbeit – verständlicherweise – nicht so schnell und gewissenhaft erledigen.

Dieses Problem spricht auch Postgewerkschafter Richard Köhler an: "Durch die hohe Fluktuation bei den neuen Mitarbeitern sowie den Einsatz von Frächtern kann eine Kenntnis von Ort und Menschen gar nicht entstehen." Eine wichtige Stellschraube, um die Beschäftigten länger zu halten, sei eine bessere Bezahlung. Das Gehalt als Zusteller liegt derzeit laut Stellenanzeigen bei "durchschnittlich 1800 Euro brutto pro Monat". Aber auch die Arbeitsbelastung müsse laut Köhler gemindert werden.

Viele Wohnungstüren, an denen Michael Bayer läutet, sind bereits weihnachtlich dekoriert. Kommt denn bei ihm Weihnachtsstimmung auf, trotz all des Stresses? "Die meisten freuen sich ja, wenn ich mit dem Packerl komme", sagt er. Mit Freude blicke er außerdem auf den Feierabend am 24. Dezember – danach habe er erst einmal ein paar Tage frei. (Anika Dang, 4.12.2021)