Dienstbeginn 6.45 Uhr. Marion Frank ist die frühe Stunde nicht anzumerken. Die Pflegeleiterin der transplantationschirurgischen Intensivstation in Innsbruck ist bereits geschäftig und versucht, sich einen Überblick zu verschaffen. Wie lief die Nacht für die diensthabenden Kolleginnen und Kollegen, was wird der Tag bringen?

Frank und ihr Team betreuen hier eigentlich "chirurgisches Patientengut", wie es im Fachjargon heißt. Trotz Intensivstation "eine schöne Aufgabe", wie sie erklärt. Schwerkranke erhalten ein neues Organ und somit die Chance auf ein neues Leben. Drei bis fünf Tage verbringen solche Patienten in der Regel auf Station 3 Süd in der Obhut von Franks Team.

Plötzlich an der Covid-Front

Seit zwei Jahren ist alles anders. Aus der Transplant- wurde pandemiebedingt eine Covid-Intensivstation. Die Bettenkapazität wuchs von acht auf zehn, beschreibt der leitende Oberarzt Robert Breitkopf die Herausforderung: "Das heißt, wir agieren derzeit mit 125 Prozent unserer Stationsleistung."

Und die Situation spitzt sich weiter zu. Breitkopf erfährt kurz vor dem Gespräch am Dienstag vergangener Woche, dass er bis zum Wochenende ein elftes Bett auf seine Station schaffen muss. "Jetzt müssen wir schauen, wie wir das geräte- und personaltechnisch realisieren können", sagt der Mediziner. Und er schickt mantraartig nach: "Wir werden es schaffen!"

Die Covid-Patienten bedeuten für Ärzteschaft und Pflegepersonal enormen Mehraufwand. Das beginnt bei der Infektionsgefahr. Auf Station 3 Süd wurden die Patientenzimmer zu Isolationszonen. Um sie zu betreten und die Patienten zu versorgen, muss sich das Personal "einschleusen".

Darunter versteht man den aufwendigen Prozess des Anlegens der Schutzkleidung, der in genau vorgegebener Reihenfolge passieren muss, um keine Infektion zu riskieren. "Mittlerweile sind wir durch die Impfung zu einem gewissen Grad geschützt, aber zu Beginn der Pandemie war auch bei uns die Angst vor einer Ansteckung groß", erzählt Lisa Feuersinger, die seit sieben Jahren als Intensivschwester arbeitet.

Längere Aufenthaltsdauer

Auch die Aufenthaltsdauer der Covid-Patienten ist deutlich länger. Sie liegen im Durchschnitt vier bis sieben Wochen auf der Intensivstation. Und viele davon sterben, was das Personal zusätzlich belastet. "Wir freuen uns so sehr über jeden, den wir wieder verlegen können", beschreibt Intensivschwester Iris Seifert die Emotionen. Ein Patient blieb sogar neun Monate auf Station 3 Süd – von der dritten bis zur vierten Corona-Welle.

Die Belegschaft wurde nicht gefragt, ob sie auf einer Covid-Station arbeiten will, sie wurde mit Tatsachen konfrontiert. Egal, in diesem Job ist man es gewohnt, in Ausnahmesituationen zu funktionieren. "Da beißen wir durch", lautete die Devise in der ersten Welle, sagt Frank. "Nun haben wir die vierte, und von uns wird immer noch erwartet, zu springen", sagt sie. Ihr Frust ist hörbar. Sofort schickt die erfahrene Stationsschwester nach: "Wir wollen sicher nicht jammern. Aber meine Leute sind einfach müde."

Alleingelassen

Was dem Personal zu schaffen macht, ist das Gefühl, alleingelassen zu werden: "Ist der Politik eigentlich klar, was wir hier kompensieren?" Nach bald zwei Jahren Pandemie müssten sie immer noch die Planlosigkeit der Verantwortungsträger ausbaden. Viele sagen, sie fühlten sich wie Spielfiguren, die nach Belieben verschoben werden, um diese Defizite auszugleichen. "Aber so funktioniert das nicht", sagt Oberarzt Breitkopf. Intensivmedizin ist ein hochspezialisiertes Fach. Ärzteschaft und Pflegepersonal sind Experten auf ihrem Gebiet. Nicht jeder und jede ist hier einfach einsetzbar.

Trotzdem gibt das Team alles, um die Covid-Patienten bestmöglich zu betreuen. Die meisten sind intubiert und im künstlichen Tiefschlaf. Vom Stress und Druck der Situation ist in den Zimmern nichts zu spüren. "So, Fredi, jetzt putzen wir einmal die Zähne, und dann drehen wir dich auf den Bauch. Dann tust dir leichter mit Schnaufen", sagt Intensivschwester Seifert. Sie erklärt ihrem Schützling jeden Handgriff vorab. Ihre sanfte Stimme wird unterlegt vom Piepsen und Zischen der vielen Gerätschaften, die an Fredis wie leblos daliegenden Körper angeschlossen sind.

In der Nacht davor musste der Mann Ende 40 intubiert werden, weil sich sein Zustand rapide verschlechtert hatte. Ob er geimpft war oder nicht? Diese Frage stellt sich für die Profis auf Station 3 Süd nicht. Sie behandeln jeden gleich professionell. Als sie noch Transplantationspatienten zu betreuen hatten, wurde schließlich auch nicht gefragt, ob die neue Lunge einem Raucher gegeben wurde oder die neue Leber einem Trinker.

Mit Impfung vermeidbare Verläufe

Und doch ist die Diskussion um das Impfen auch hier Thema. Wenn wieder ein Patient mit angsterfüllten Augen daliege, kurz bevor er intubiert werden muss, dann setze oft die Reue ein, erzählt Seifert: "Aber dann ist es zu spät, dann hilft die Impfung auch nimmer." Ärzteschaft und Pflegenden geht das Leid ihrer Schützlinge nahe: "Weil es vermeidbar gewesen wäre mit der Impfung".

Oberarzt Breitkopf bemüht sich, die Verunsicherung zu verstehen, die noch immer so viele Menschen davon abhält, sich zu schützen: "Das entsteht aus der Emotion und Furcht heraus. So, wie sich die Pandemie entwickelt hat, war das anfangs auch nachvollziehbar." Aber mittlerweile ist Covid-19 eine der am besten erforschten Krankheiten.

Die Faktenlage dazu sei klar, und es gebe einen großen wissenschaftlichen Konsens, sagt Breitkopf. Die vierte Welle, die nun über ihn sein Team hereinbricht, wäre vermeidbar gewesen, ist der Arzt überzeugt: "Es trifft uns sehr hart, so etwas habe ich noch nie erlebt."

Durchhalten

Während Demonstrierende brüllend durch die Straßen ziehen, Politiker einander Anschuldigungen an den Kopf werfen, finden jene, die an vorderster Front gegen die Pandemie kämpfen, kein Gehör. In den vergangenen Monaten hat das Pflegepersonal immer wieder versucht, auf die prekären Verhältnisse aufmerksam zu machen, unter denen es Schwerstarbeit leistet. Doch diese Stimmen gingen im Gebrüll der Empörten unter. "Wie laut muss man selbst schreien, um gehört zu werden?", fragt Seifert entmutigt.

Trotzdem bleiben sie auf Station 3 Süd Profis und halten durch. Frust und Ärger gelangen nie in die Patientenzimmer. Das Team von Stationsschwester Frank und Oberarzt Breitkopf leistet weiter Tag für Tag Zwölf-Stunden-Schichten, schwitzend in Plastikmäntel verpackt. Es gilt, die Perfusoren zu kontrollieren, die Unmengen an Medikamenten nachzufüllen, die diese Schwerstkranken benötigen.

Um Druckstellen zu vermeiden und um bleibenden Schäden durch die lange Zeit der künstlichen Beatmung vorzubeugen, werden die Patienten zweimal täglich umgelagert. Sogar Physiotherapie erhalten die Sedierten. Ihnen wird der Brustkorb massiert, damit ihre Atemfähigkeit möglichst erhalten bleibt. Sollten sie je wieder aufwachen.

Auf Station 3 Süd hoffen alle, bald aus diesem Albtraum zu erwachen. Laut Prognosen wird die Zahl der Intensivpatienten in Tirol im Dezember weiter ansteigen. (Steffen Arora, 4.12.2021)