Nikolo Eduard Riedl kommt ...

Foto: Regine Hendrich

... in die Kirche Maria Anzbach.

Foto: Regine Hendrich

Der Bart ist ein wenig lästig – aber das ist es wert. Eduard Riedel, 74 und vor der Pensionierung Geschäftsführer eines Kolpinghauses in Wien, besucht als Nikolo Familien in der Umgebung. Aus purer Freude an der Sache.

STANDARD: Wie geht es dem Nikolo eigentlich so im Lockdown?

Nikolo: Gut. Ich besuche "meine" Familien ja trotzdem. Wenn es sein muss, auch per Whatsapp-Telefonat. Aber die meisten haben das Angebot angenommen, dass ich zum Gartentor komme oder auf die Terrasse: Ich bin dreimal geimpft, lasse mich selbstverständlich regelmäßig testen und werde an diesem Tag frisch getestet sein.

STANDARD: Der Nikolo kommt online?

Nikolo: Ja, aber das wollte heuer bisher erst eine Familie. Überall anders komme ich sehr wohl persönlich! Das sind derzeit immerhin 15 Familien mit etlichen Kindern.

STANDARD: Wieso ist es wichtig, dass der Nikolo nicht ausfällt?

Nikolo: Erstens ist es eine christliche Tradition, und die trägt zur Freude der Kinder bei. Kinder brauchen schöne Momente – gerade in Zeiten wie diesen. Deshalb bin ich auch so froh, dass es heuer wieder geht. Voriges Jahr ist der Nikolo in der Kirche ausgefallen, aber dieses Jahr wird es wieder eine Feier geben. Einfach, aber doch: Es gibt halt keine Fotos mit dem Nikolo, aber immerhin ist er für die Kinder auch in der Kirche da: Sie bekommen einen Schokonikolo – und während ich den überreiche, werde ich eine Maske tragen.

STANDARD: Ist das rechtlich abgesichert? Immerhin haben wir Lockdown.

Nikolo: Das ist ausdrücklich erlaubt: Das ist Religions- und Berufsausübung. Der Krampus kommt in den Verordnungstexten übrigens nicht vor. Aber das ist eh gut: Ich lehne den Krampus ab. Ganz grundsätzlich.

STANDARD: Nikolo ist tatsächlich ein Beruf? Und Voraussetzung ist der Bart?

Nikolo: Vielleicht eher Berufung. Aber der Bart ist wichtig. Den lasse ich ab September wachsen. Das entstellt mich zwar ein bisserl, und meine Frau ist wenig begeistert, weil ein Bart älter macht. Aber das nehme ich sehr gerne auf mich. Jedes Jahr, seit über 18 Jahren. Unser Pfarrer sagt immer: "Das ist der echte Nikolaus, denn er hat einen echten Bart."

Der Bart wird ab September nicht mehr rasiert.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Und wie hat die Nikololaufbahn begonnen?

Nikolo: Mein Vorgänger hat aufgehört oder wollte nicht mehr. Da habe ich das zuerst nur in der Kirche übernommen. Und auch im Altenheim. Dort gab es immer sehr berührende Momente. Als es noch möglich war, bin ich in die Zimmer gegangen und habe eigens gebackene Lebkuchennikolos mitgebracht. Mit einem Foto drauf: "Ein Gruß aus der Pfarre". Es ist schwer zu beschreiben, wie sich Menschen in Heimen über solche Kleinigkeiten freuen. Wie sie dann strahlen. Das ist – oder war – auch für mich immer sehr berührend. Das fällt heuer leider weg. Es gibt im Altenheim nur eine kleine Feier bei der Messe. In die Zimmer kann ich nicht: Es ist leider nicht erlaubt.

STANDARD: Ein Nikolo mit einem lachenden und einem weinenden Auge also?

Nikolo: Ja, aber das lachende Auge überwiegt – weil es zumindest eine kleine Variante gibt. Weil manches geht, manches nicht.

STANDARD: … und manches will der Nikolo nicht: den Krampus zum Beispiel.

Nikolo: Man darf Kindern keine Angst machen! Schon in normalen Zeiten nicht – jetzt noch weniger. Ich habe das als Kind selbst so erlebt: Der Nikolaus bringt Freude und ermutigende Nachrichten. Das sage ich auch den Eltern. Der Krampus mit Ketten und Drohungen in meinem Gefolge? Nein, das lehne ich ab!

STANDARD: Der heilige Nikolaus, der Bischof von Myra, ist der Schutzheilige der Kinder. Der Patron der Seefahrer – und ein Nothelfer. Ist er nur für Christen da?

Nikolo: Er ist für alle da. Das ist wichtig. Als 2015 in der Gemeinde in einem Hotel eine Flüchtlingsunterkunft war, habe ich auch den Kindern dort etwas gebracht. Alle haben sich gefreut: Mein Foto ging in der arabischen Welt wohl lange umher … Wir hatten in Maria Anzbach auch später noch muslimische Flüchtlingsfamilien, syrische Flüchtlinge – auch bei denen war ich. Der christliche Ursprung ist mir wichtig – aber die Botschaft geht darüber hinaus: Es geht darum, insbesondere Kindern zu zeigen, dass jemand für sie da ist.

STANDARD: Aber ist das nicht auch stressig?

Nikolo: Ja, natürlich muss ich planen. Schließlich will ich niemandem absagen. Ich bin von Neulengbach über Purkersdorf bis Anzbach unterwegs – da muss man organisiert sein, damit sich das ausgeht.

Seit 18 Jahren ist Eduard Riedl zwischen Maria Anzbach und Purkersdorf als Nikolo unterwegs.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Aber es gibt auch Agenturnikolos. Macht es einen Unterschied, ob ein Nikolo "kommerziell" unterwegs ist?

Nikolo: Die haben halt angeklebte Bärte – und verdienen damit ihr Geld. Ich mache es, weil es mir Freude macht. Was die Eltern spenden, teile ich zwischen Caritas und Pfarre auf.

STANDARD: Aber was ist der Benefit, sich ab September einen Bart wachsen zu lassen und der Nikolo zu sein?

Nikolo: Der Kontakt mit den Kindern und die Reaktionen der alten Leute im Altenheim gehen nicht spurlos an mir vorüber. Es ist sehr berührend, das zu erleben – und schön, diese Gefühle auslösen zu können. Ich kenne nur ein einziges Kind, das mich als Nikolo ablehnt: meine Enkeltochter. Sie ist neun Jahre alt und will ihren Opa – aber mit dieser "Ablehnung" kann ich gut leben. (INTERVIEW: Tom Rottenberg, 5.12.2021)

Bis zum nächsten Jahr!
Foto: Regine Hendrich