Der FPÖ-Abgeordnete zum Bundesrat Andreas Spanring hielt am 23. November folgende polemische Rede zur Impfpflicht: "Schicken Sie mir dann die geheime Impfpolizei nach Hause? Treten mir die dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Tür ein und zerren mich aus dem Bett? Bringen die mich raus, und hauen sie mich nieder und drücken mir die Spritze rein, die ich nicht will? Und rufen sie dann vielleicht zum Abschluss ‚Impf Heil‘?"

Hier wurden von einem freiheitlichen Hinterbänkler in einer Mischung aus Infamie und Geschichtsvergessenheit Schlüsselbegriffe des NS-Horrors verballhornt: "Geheime Staatspolizei" (Gestapo) oder "Nacht-und-Nebel-Aktion" (Verschwindenlassen von Regimegegnern laut "Führerbefehl").

Appell im KZ Mauthausen: "Wir standen auf diesem riesigen Platz ... Bei minus 15 Grad von fünf Uhr früh bis fünf Uhr abends ..."
Foto: Deutsches Historisches Museum

Was die furchtbare Realität wirklich war, kann man nun in zwei dicken Bänden über das Konzentrationslager Mauthausen nachlesen und eingeordnet bekommen. Unter anderem in den Erzählungen von 859 Überlebenden, aber auch mit neuem Fokus auf die Gesamtrolle von Mauthausen im System der NS-Unterwerfungspolitik im größten Teil Europas: wie Unschuldige nicht nur aus dem damaligen Deutschen Reich, "Ostmark" inklusive, sondern aus ganz Europa, buchstäblich vom tiefsten Russland bis nach Spanisch-Marokko (!) von der Gestapo und anderen verhaftet, nach Mauthausen verfrachtet und dort gequält und getötet wurden. Wie vor allem die Außenlager immer wichtiger für die Aufrechterhaltung der Kriegsproduktion des Dritten Reiches wurden.

"Das schlimmste Lager"

Mauthausen ging ein furchtbarer Ruf voraus. Der slowakische Ex-Häftling Jan Sagat erzählte, wie in Melk ein zwölf- oder dreizehnjähriger tschechischer Bursch auf seine Gruppe im "Transport" zukam und sagte: "Burschen, ihr fahrt in das schlimmste Lager ..." Ein anderer Slowake, Otto Wagner, berichtet: "Schlimmer als der Hunger war diese Kälte. Stellen Sie sich vor – wir standen auf diesem riesigen Platz, es war Februar, es hatte zwölf, manchmal fünfzehn Grad minus, in leinenen Uniformen, die nackten Füße in Holzpantoffeln und das von fünf Uhr morgens bis fünf Uhr abends. Die Glücklichen, die in der Mitte der Menge zu stehen kamen, ich war einer davon, haben irgendwie überlebt."

Vor dem Tod kam die Qual. Zum Beispiel beim Felsbrockenschleppen auf der "Todesstiege" im Steinbruch von Mauthausen. Aber auch das "Totbaden", die Ermordung durch eiskaltes Wasser. Das Ziel war aber auch, "einen möglichst viel zu erniedrigen, so dass man sich nicht mehr als Mensch fühlt", berichtet eine niederländische Inhaftierte aus Mauthausen.

Es gibt viel Literatur über Mauthausen, Erlebnisberichte und wissenschaftlich-historische Aufarbeitung. Was nun vorliegt, sind die beiden ersten Bände des auf vier Bände ausgelegten, genau dokumentierten Monumentalwerks Europa in Mauthausen.

Interviews mit 859 Überlebenden

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Die "Todesstiege" im Steinbruch von Mauthausen: Das Motto hieß "Vernichtung durch Arbeit".
Foto: Picturedesk.com / Interfoto / awkz

Unter der Leitung des Zeitgeschichtlers Gerhard Botz von der Universität Wien und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Konfliktforschung und dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, finanziert vom Innenministerium, entstand das Mauthausen Survivors Documentation Project (MSDP), das die erwähnten 859 Interviews schon 2002/03 aufgenommen hat.

Auf der Basis dieser Primärquellen entstand zunächst der 400 Seiten starke Einführungsband Mauthausen und die nationalsozialistische Expansions- und Verfolgungspolitik.

Dem folgte der 700-seitige Band Deportiert nach Mauthausen, in dem die Wege der Angehörigen von zig europäischen Völkern und Nationen – in insgesamt 16 Sprachen – nachgezeichnet wurden. Ein "nahezu unglaubliches, monumentales Editionsprojekt", wie die Neue Zürcher Zeitung schreibt.

Vierzig Außenlager

Mauthausen war zunächst ein Lager für politische Feinde, sonstige unliebsame Personen und rassisch Verfolgte aus dem sogenannten "Reich". Mit dem Krieg und der deutschen Eroberung und Besetzung eines Großteils von Europa kamen tschechische, deutsche, polnische, slowakische, ruthenische, ukrainische, slowenische, russische, serbische, ungarische, griechische, italienische, spanische, niederländische, belgische, französische, dänische, norwegische etc. Häftlinge dazu – überwiegend Männer, aber auch tausende Frauen.

Nach Mauthausen und in seine über vierzig (!) Außenlager wurden zwischen 1938 und 1945 aus ganz Europa ungefähr 190.000 Häftlinge deportiert. Nur etwa 95.000 bis 97.000, also rund die Hälfte, überlebten. Das Durchschnittsalter der Häftlinge war 31,7 Jahre. Das oberösterreichische Lager war im deutschen KZ-Archipel das einzige mit der "Lagerstufe III", der mit den härtesten Haftbedingungen – wenn man von Vernichtungslagern wie Auschwitz absieht.

Es gab eine Gaskammer, aber keine fabriksmäßige Tötung wie in Auschwitz-Birkenau, Belzec, Sobibor oder Treblinka. Die Devise lautete allerdings im offiziellen NS-Sprech "Vernichtung durch Arbeit" , durch entsetzliche Schinderei, fürchterliche Lebensbedingungen und Erschießung vor allem für die sogenannten "NN" – "Nacht und Nebel"-Häftlinge.

Die tschechische Überlebende Eva Selucka berichtet von den Worten eines SS-Bewachers: "‚Ja, wir werden nach Mauthausen fahren‘, sagt der Herr Waffen-SS (macht ihn nach), ‚und das nennt man Mordhausen. Denn dort also ... wie dort holländische Juden geschickt wurden, die waren innerhalb von 14 Tagen tot ... (macht ihn nach), und dort wird im Großen gemordet.‘"

"Wenn ich nur nicht auffalle!"

Gerhard Botz, Alexander Prenninger, Regina Fritz, Heinrich Berger (Hg.), "Mauthausen und die nationalsozialistische Expansions- und Verfolgungspolitik" (Europa in Mauthausen Band 1). Böhlau
Cover: Böhlau

Trotz mancher Solidarität gab es auch unter den Häftlingen eine Hierarchie der Überlebenschancen. Die Tötungsenergie der SS konzentrierte sich eher auf Neuankömmlinge. Der Überlebende Erwin Gostner: "In den Augen der SS-Blockführer bin ich jetzt ein alter Lagerhase. Ich bin verhältnismäßig sicher vor ihnen. Wenn ich nur nicht auffalle!"

Besonders in der Schlussphase des Krieges wurden in Transportzügen, aber auch in Todesmärschen zu Fuß Häftlinge aus anderen, schon von den Alliierten bedrohten KZs in einer Wahnsinnsaktion ins relativ "sichere" Mauthausen gebracht, um nur ja bis zum allerletzten Moment die Opfer nicht aus den Klauen des Regimes zu lassen.

Besonders in den letzten Wochen und Tagen des Krieges kam es auf österreichischem Boden zu sogenannten "Endphasenverbrechen", in denen – oft unter Beteiligung der Bevölkerung – noch Massenmorde an denen verübt wurden, die sich da elend dahinschleppten.

"Die deutsche Organisation"

Alexander Prenninger, Regina Fritz, Gerhard Botz, Melanie Dejnega (Hg.), "Deportiert nach Mauhausen" (Europa in Mauthausen Band 2). Böhlau
Cover: Böhlau

Die französische Widerstandskämpferin Gisèle Guillemot wurde vom KZ Ravensbrück nach Mauthausen verlegt: "Wie wir auch sehr rasch erfahren haben, dass die Gruppe von Frauen, die am 2. März (1945) zum Aufbruch versammelt waren, man wusste nicht wohin, dass es ein sogenannter schwarzer Konvoi war, das heißt ein zur Vernichtung bestimmter Konvoi ... Wer weiß, warum sie uns nach Mauthausen geschickt haben. Das gehörte zu den großen Geheimnissen der deutschen Organisation, das heißt eher Desorganisation ... Also, warum mussten sie uns, um uns zu vernichten, fünf Tage und fünf Nächte in Viehzügen durch die Gegend schicken? ... Niemand wusste, dass es ein Lager in Mauthausen gab, abgesehen davon, dass wir uns bei dem Geruch sehr rasch gesagt haben: ‚Hier gibt es ein Lager‘, denn das Lager, das hatte einen besonderen Geruch, einen Geruch nach verbranntem Fleisch, ein undefinierbarer Geruch, jedes Mal, wenn man bei einem Lager ankam, wusste man, dass das ein Lager war." (Hans Rauscher, 4.12.2021)