Kurz und Nehammer am 3. November im Bundeskanzleramt.

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Die Farbe bleibt vorerst gleich. Der Rest des türkisen Systems des ehemaligen ÖVP-Parteichefs und Altkanzlers Sebastian Kurz begann mit dessen Rücktritt von allen Funktionen gewaltig zu bröckeln, und das in einer Rasanz, die noch nach ihresgleichen sucht.

Als Erstes machte Bundeskanzler Alexander Schallenberg Platz: Wenige Stunden nach dem Abgang von Kurz erklärte er, es sei nie sein Ziel gewesen, die Funktion des Bundesparteiobmanns der Volkspartei zu übernehmen. Trotzdem sei er "der festen Ansicht", dass beide Ämter – Regierungschef und ÖVP-Parteiobmann – "wieder vereint sein sollten". Zu diesem Zeitpunkt, am Donnerstagabend, galt der bisherige Innenminister Karl Nehammer bereits als neuer Kanzler gesetzt.

Sebastian Kurz erklärte am Donnerstag seinen Rücktritt von allen Funktionen.

Am Freitag verkündete Nehammer im Meidlinger Springerschlössl – exakt dort, wo tags zuvor Kurz seinen Abschied bekanntgab – seine frohe Botschaft: Er sei einstimmig vom ÖVP-Parteivorstand zum geschäftsführenden Bundesparteichef bestellt worden. Zu seinem Vorgänger in dieser Funktion erklärte Nehammer: "Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Sebastian Kurz, der den Weg für mich als neuen Obmann freigemacht hat."

Demnächst soll Nehammer auch von der Herrengasse in das Kanzleramt am Ballhausplatz wechseln. Am Montag sollen er und sein neues Team von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg angelobt werden. In seiner Rolle als künftiger Regierungschef startete Nehammer einen größeren Umbau seines türkisen Regierungsteams.

Schließlich kam ihm noch am Donnerstagabend mit Gernot Blümel der Finanzminister abhanden. In einem Facebookvideo verkündete Blümel seinen Rücktritt. Die Begründung des ehemals engsten Kurz-Vertrauten schlug in dieselbe Kerbe wie jene des Altkanzlers. Blümel will sich – wie Kurz – auf seine Familie konzentrieren.

Mahrer wird Wien-Chef

Zwar soll Blümel bereits seit längerer Zeit unglücklich in seiner Rolle gewesen sein. Aber er wäre auch aus Sicht mancher ÖVP-Funktionäre wohl schlicht auch eine Belastung geblieben: Als Beschuldigter in der Casinos-Affäre ist Blümel ein potenzielles Thema im nächsten Untersuchungsausschuss, der sich weiterhin besonders türkisen Causen widmen soll.

Das können Nehammer und die ÖVP bei einem Neustart gar nicht gebrauchen. Auch die – zumeist schwarzen – Landesorganisationen sollen hier ein gehöriges Wort mitgesprochen haben. Magnus Brunner soll Blümel ins Finanzministerium nachfolgen – er war bisher Staatssekretär im Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne).

Aber auch ein weiterer Posten musste von der ÖVP nach Blümels Ausscheiden besetzt werden: jener des Wiener ÖVP-Chefs. Am Freitagabend lud die Landesorganisation zu den türkisen Parteigremien, um dort den Nationalratsabgeordneten Karl Mahrer zu ihrem geschäftsführenden Obmann zu küren. Der ehemalige Landespolizeikommandant soll zu einem späteren Zeitpunkt auf einem Parteitag dann auch offiziell zum Parteichef gewählt werden.

Er sei einstimmig vom ÖVP-Parteivorstand zum geschäftsführenden Bundesparteichef bestellt worden, verkündete Karl Nehammer am Freitag.
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Nach Blümel ging als nächster Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann. Aus freien Stücken, heißt es aus der ÖVP. Der ehemalige Vizerektor der Universität Wien wurde 2017 von Kurz als Quereinsteiger ins Bildungsministerium geholt.

Mit den Ländern war Faßmann in gutem Einvernehmen, wenn auch nicht immer auf einer Linie – zuletzt etwa in puncto Pandemiebekämpfung. Während Oberösterreichs Thomas Stelzer und Salzburgs Wilfried Haslauer im Lockdown auch die Schulen schließen wollten, bestand er auf Präsenzunterricht statt Distance-Learning.

Er schließe ab, "ohne Wehmut und Groll", sagte Faßmann am Freitag. Mit "viel Freude" habe er das Bildungssystem gestaltet, und er hätte dem Vernehmen nach gerne weitergemacht. Aber er habe es dem neuen Kanzler "freigestellt, sich sein Team zusammenzustellen" – und die ÖVP entschied sich gegen ihn.

Mann aus der Wissenschaft

Er akzeptiere die Ergebnisse der ÖVP-internen Beratungen, betonte Faßmann in einer Erklärung am frühen Nachmittag, und verwies darauf, dass er als parteifreier Minister weder in den Bünden noch Landesorganisationen verankert sei. Er blicke positiv auf die Implementierung der Bildungsreform zurück, und er erwähnte dabei konkret seine Sommerschule: "Das Schließen der Bildungsschere war mir immer ein Anliegen."

Nach Faßmann soll nun ein weiterer Mann aus der Wissenschaft das Bildungsministerium leiten. Auf den ehemaligen Vizerektor folgt aber diesmal ein Rektor – jener der Universität Graz. Dass Martin Polaschek ein Steirer ist, dürfte ihm geholfen haben – seit dem Rücktritt der ehemaligen Arbeitsministerin Christine Aschbacher saß niemand aus der Landesorganisation von Hermann Schützenhöfer auf der Regierungsbank der ÖVP. Bezeichnend war es auch, dass gerade Schützenhöfer es war, der die Personalrochade noch vor Nehammer bestätigte.

Der dritte Mann, der unter Kanzler Nehammer nun das Ministeramt verlässt, tat dieses jedenfalls nicht freiwillig. Der ehemalige Botschafter Michael Linhart war gerade erst von Paris nach Wien gezogen und hatte es sich im Außenministerium eingerichtet, da muss er den Posten schon wieder für seinen Vorgänger räumen.

Schallenberg kehrt nach seinem kurzen Ausflug an die Regierungsspitze zurück ins Außenamt. Linhart muss gehen. Und das dürfte einigermaßen überraschend für ihn gekommen sein. So erklärte er noch Freitagfrüh, dass er davon ausgehe, auch in Zukunft Außenminister zu bleiben. Linhart wolle Österreich dienen, das habe er immer getan, betonte der Vorarlberger.

Kürzeste Kanzlerzeit

Was mit Linhart passiert, ist noch offen. Schallenberg sei in Absprache mit Linhart, erklärte Nehammer zu dieser Frage. Es werde bestimmt eine gute Lösung gefunden. Es sei zudem gut, das Team dort, wo es sich anbietet, neu aufzustellen.

Schallenberg, dem man nachsagt, dass er das Amt nie angestrebt haben soll, geht mit nur 52 Tagen Amtszeit als der am kürzesten dienende Kanzler der Zweiten Republik in die Geschichte ein – aber auch als ein zwischenzeitlicher Regierungschef, der speziell zu Beginn kein Fettnäpfchen auszulassen schien.

Schon bei einem seinem Antritt stellte sich Schallenberg in recht fragwürdiger Weise hinter Sebastian Kurz. Die Vorwürfe in der türkisen Inseratenaffäre gegen den Altkanzler bezeichnete er vehement als "falsch". Dass Schallenberg die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft einfach abkanzelte, wurde von allen Seiten heftig kritisiert.

Macht der Bilder

Auch die Macht der Bilder bekam Schallenberg schmerzlich zu spüren. Im Nationalrat legte ihm Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger die Ermittlungsakten zur Inseratenaffäre mit der Forderung "Lesen Sie sich das durch" auf den Tisch. Schallenberg aber nahm den Akt und legte ihn einfach hinter sich auf dem Boden ab. Das entging den mitlaufenden Kameras nicht. Auch mit dieser Szene sammelte der adelige Politiker keine Sympathiepunkte.

Nicht zuletzt machte Schallenberg gemeinsam mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) auch im Management der Corona-Pandemie keine besonders gute Figur. Lange wehrten sich er und die ÖVP gegen einen Lockdown für Geimpfte, obwohl dieses Szenario längst absehbar war und schlussendlich auch eintrat.

Da wurde auch klar, dass Schallenberg kein Machtfaktor in der ÖVP ist. Den neuen Corona-Plan machten sich die schwarzen Landeshauptleute mit jenen der SPÖ letztlich untereinander aus – und entschieden gegen die Vorstellungen des baldigen Altkanzlers.

Grüne Routine

Den Juniorpartner der ÖVP, die Grünen, beeinflusst der Kanzlerwechsel zumindest personell nicht. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler erklärte am Freitag, er habe bereits mit Nehammer Gespräche zur Umbildung bei der ÖVP geführt. Man wolle "schnell mal wieder voll arbeitsfähig sein" mit den neuen Regierungsmitgliedern und "aus Verantwortung für Stabilität und Fortschritt rasch die Arbeit beginnen", auch wenn die Regierung laut Kogler "in wesentlichen Bereichen" immer handlungsfähig gewesen war.

Mittlerweile habe man in der Regierung aber eine "gewisse Routine", was Ministerwechsel betrifft. Mit Nehammer könne er gut, betonte Kogler: "Es gibt viele Gründe, mit Nehammer entgegen dem Ruf, der ihm vorauseilt, eine gute Zusammenarbeitsbasis zu haben."

Personalrochaden: Wer macht jetzt was in der Regierung?
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Auf diese setzten wohl auch die ÖVP-Landeschefs. Zwar kündigte Nehammer an, es werde keine Statutenänderungen geben – Kurz hatte bei seinem Antritt weitreichende Entscheidungsgewalten an sich gezogen – an Macht dürften diese aber wieder gewonnen haben. Nachdem sich Niederösterreichs Chefin Johanna Mikl-Leitner für Nehammer als Chef starkgemacht hatte, erhielten er und sein Team auch durchwegs Zuspruch aus den schwarzen Ländern. (Oona Kroisleitner, Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 4.12.2021)