Demonstranten ziehen am Ring entlang.

Foto: Christian Fischer

Bei Wien Mitte kommt es zu Zusammenstößen.

Foto: Christian Fischer
Foto: Christian Fischer

Die linke Gegendemo forderte einen solidarischen Weg in der Pandemiebekämpfung.

Foto: Christian Fischer
Foto: APA

"Na, die Behörden müssen ja auch was zu tun haben", sagt der Mann und grinst, während er dem Polizist seinen Personalausweis aushändigt. Obwohl der Mann in einer U-Bahn-Station ist, weigert er sich, eine Maske aufzusetzen. Er ist einer von vielen, die Samstag hier am Karlsplatz maskenlos aussteigen. Ihn hat die Exekutive aber rausgefischt. Ein Servicemitarbeiter der Wiener Linien steht neben den Rolltreppen und schüttelt den Kopf. Jeden Tag müsse er Diskussionen über die Maskenpflicht führen, sagt er. Ob er auch manchmal beschimpft werde? "Heute noch nicht."

Bereits um die Mittagszeit sind hier viele Gruppen mit Schildern unterwegs. Auf ihnen stehen Sprüche wie "Friede, Freiheit, keine Diktatur" oder "Lasst unsere Kinder in Ruhe" neben einer durchgestrichenen Spritze. Sie sind auf dem Weg zu einer der zahlreichen Kundgebungen, die an diesem Samstag in Wien stattfinden, bevor die gemeinsame Demonstration gegen "Gesundheitsfaschismus", wie der Versammlungstitel laut Anmelder offiziell lautet, über die Bühne geht. Zehntausende werden daran teilnehmen.

Schlager und Impfung

Unweit des Karlsplatzes versammelt sich am frühen Nachmittag die MFG – jene Partei, die kürzlich bei der Wahl in Oberösterreich über sechs Prozent erreichte und mit drei Abgeordneten in den Landtag einzog. Es läuft Schlagermusik am Schwarzenbergplatz, eine Frau singt: "Ich tanze aus der Reihe!". Einige Demonstranten haben Kuhglocken mitgebracht, mit denen sie bimmeln, als per Durchsage auf die FFP2-Maskenpflicht aufmerksam gemacht wird. Als die Polizei anfangs die Maskenpflicht kontrolliert, kommt es mitunter zu Beschimpfungen seitens der Demonstranten.

Der Platz ist zwar nicht voll, aber dennoch ganz gut gefüllt, als Bundesparteiobmann Michael Brunner seine Rede hält und zu einem Rundumschlag gegen die Regierung ausholt. Im Vorfeld sei ihm ein Bibelzitat eingefallen: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen". Und die Früchte dieser Regierung seien "Spuren der Verwüstung, der Nötigung, des Zwangs". Schließlich kommt er auf jenes Thema zu sprechen, das die Demonstrantinnen und Demonstranten derzeit mit Abstand am meisten emotionalisiert: Die Impfung gegen Corona.

Anfechtungen

In den vergangenen Wochen bemühte sich die Partei hie und da, den Begriff der "Impfgegner" von sich zu weisen. Doch Brunner zeigt bei seiner Rede eindeutig, was er von der Impfung hält. Man werde nicht zulassen, dass man zu einer "Injektion einer genbasierten, nur bedingt zugelassenen Substanz" gezwungen werde. Zudem gebe es vermutlich hunderttausende Todesfälle nach Impfungen. Es sind irreführende Aussagen: Denn der Zulassungsprozess der Impfung wurde zwar effizienter gestaltet, jedoch nach den geltenden Kriterien abgewickelt und für die Behauptung von Impftodesfällen gibt es schlicht keine Belege. "Wir leben in keinem Rechtsstaat mehr", konstatiert der Parteiobmann und Rechtsanwalt und kündigt – wohl in Hinblick auf künftige Gesetze und Verordnungen – an: "Wir werden alles anfechten, was anfechtbar ist". Das quittiert das Publikum mit großem Applaus.

Gleich viel Stimmung kam zuvor nur auf, als eine Gruppe mit einem Transparent mit der Aufschrift "Es reicht. Wir gemeinsam mit euch, Polizisten für Grund- und Freiheitsrechte" durch die Menge marschierte. Auf Nachfrage heißt es Samstagabend bei der Wiener Landespolizeidirektion (LPD Wien), dass man am Sonntag den Einsatz evaluieren und eruieren werde, um wen es sich hier gehandelt habe. Nach der Corona-Demonstration vor zwei Wochen sprach der Wiener Landesvizepolizeipräsident Franz Eigner davon, dass es sich offenbar um deutsche Staatsbürger handle. Es werde aber noch intern ermittelt, hieß es.

FPÖ-Reden

Währenddessen sammeln sich bereits mehrere tausend Demonstranten im Bereich des Heldenplatzes. Verschiedene Szenengrößen halten Reden, darunter etwa Monika Donner, die kürzlich ihren Job im Verteidigungsministerium verlor. Sie teilen sich die Bühne mit zwei Vertreterinnen der FPÖ: Verfassungssprecherin Susanne Fürst und Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch. Letztere spricht davon, dass in den Krankenhäusern "ganz viele Geimpfte aufgrund eines Impfschadens" behandelt werden müssten. Offiziell hatte die FPÖ an diesem Demotag keine Versammlung angemeldet. Doch sie bewarb die Proteste und übertrug live auf Youtube.

Kurze Zeit später setzt sich ein großer Demozug in Bewegung, an dessen Spitze sich eine Gruppe von Personen mit Räucherstäbchen setzt. Sie trommeln und singen "Heja heja heja hejaho". Direkt dahinter geht ein Block aus Rechtsextremen rund um die Identitären, auf einem Banner steht "Wir sind das Volk", was auch immer wieder gerufen wird. Ebenso zu sehen ist ein Plakat der Freiheitlichen Jugend. Die Hauptparole lautet "Widerstand!"

Als die Demo die Urania erreicht, ist für kurze Zeit die linke Gegendemonstration in Sichtweite. Dazwischen hat die Polizei eine Pufferzone eingerichtet. Etwa 1.500 Personen demonstrieren "gegen Antisemitismus und Faschismus, solidarisch gegen die Pandemie", wie es im Aufruftext hieß. Unterstützt wurde die Demonstration von antifaschistischen Gruppen, der Sozialistischen Jugend, der Jüdischen HochschülerInnenschaft und dem KZ-Verband. Auch die ehemalige grüne Vizebürgermeisterin Wiens, Birgit Hebein, rief dazu auf. Die Gruppe wird kurzzeitig am Schwedenplatz von der Exekutive angehalten.

Währenddessen setzt sich auf der anderen Seite der von den Identitären angeführte Block ab, durchbricht eine dünne Polizeikette und läuft für einige Zeit unkontrolliert am Donaukanal Richtung dritten Bezirk. Im Getümmel ist auch Identitären-Anführer Martin Sellner zu sehen. Bei Wien Mitte kommt es schließlich zu Zusammenstößen mit der Polizei, es wird Pfefferspray eingesetzt. Es kommt zu aggressiven Beschimpfungen gegen Journalisten.

Unübersichtliche Situation

Die Situation in der Innenstadt wird unübersichtlich, schließlich trifft der Block wieder auf die große Demonstration, die weiterhin am Ring marschiert. Die Stimmung wird aggressiver, vereinzelt fliegen Flaschen Richtung Exekutive, Böller werden gezündet. Die Exekutive ist mit der Hundestaffel präsent und wird zum Teil von Demonstranten umringt. Schließlich stoppt die Polizei den Demozug ein paar Meter weiter vorne für etwa zwanzig Minuten. Am Rande der Demo entspinnt sich eine kurze Konversation zwischen einem Teilnehmer und einem Polizisten. Ersterer beschwert sich über die Polizeisperre, woraufhin der Beamte entgegnet: "Schauen Sie sich einmal an, mit wem Sie da gemeinsam marschieren!"

Man bekommt den Eindruck, dass die Veranstalter Mühe haben, den vorderen Teil der Demonstranten unter Kontrolle zu behalten. Mehrmals wird darum gebeten, friedlich zu bleiben. Mehrere Personen halten ein Transparent in Richtung der Demonstranten, auf dem zu lesen ist: "Es ist wirklich Zeit, danke zu sagen. Ohne Polizei ist niemand frei". Die Menge skandiert unterdessen "Lasst uns durch". Masken trägt zu diesem Zeitpunkt fast niemand mehr. Schließlich gibt die Polizei die Route wieder frei. Die Demo sei aufgrund des Bewurfs mit Pyrotechnik angehalten worden, heißt es von der LPD Wien. Man habe mit dem Veranstalter deshalb zu diesem Zeitpunkt Kontakt aufgenommen.

Daraufhin zieht die Demo weiter ohne gröbere Zwischenfälle ihre Runde, bis sie wieder am Heldenplatz anlangt. Auf den letzten Metern ergreift Rechtsaußen-Aktivistin Jennifer Klauninger das Mikro und teilt jubelnd mit, dass man es heute geschafft habe, mehrere Polizeiketten zu durchbrechen.

Um etwa 16 Uhr kam der Demozug am Wiener Schwedenplatz vorbei
DER STANDARD

Die Bilanz der Polizei

Am Sonntag gab der designierte Kanzler und Noch-Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die Einsatzbilanz bekannt. Es wurden 67 Anzeigen nach dem Strafgesetzbuch erstattet, die Gründe dafür waren Widerstand gegen die Staatsgewalt, tätliche Angriffe, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Es gab mehr als 620 Verwaltungs-Anzeigen, fast alle davon aufgrund Verstößen gegen die Covid-Maßnahmen, zum Beispiel die Maskenpflicht. Fünf Polizisten wurden verletzt, es gab fünf Festnahmen nach der Strafprozessordnung.

Nehammer kritisierte die Corona-Demonstrationen erneut scharf: "Die große Zahl an Strafrechtsanzeigen zeigt klar das demokratiefeindliche und unsolidarische Verhalten einzelner Teilnehmer, das hier gegenüber der Polizei und der Gesellschaft an den Tag gelegt wird". Attacken auf Polizisten seien "demokratiepolitisch inakzeptabel und mit unseren Werten als Gesellschaft unvereinbar".

Lob von Kickl

Noch am Samstagnachmittag wurde die Teilnehmeranzahl auf 10.000 Personen geschätzt, abends lautete die Angabe 42.000 Demonstranten. Es handle sich zu diesem Zeitpunkt aber lediglich um eine Schätzung, wurde betont. Der Heldenplatz wirkt an diesem Samstag deutlich schwächer besucht als vor zwei Wochen, als 40.000 Personen auf die Straße gingen. Am frühen Nachmittag seien es zwar erst wenige Tausend gewesen, doch es habe steten Zulauf gegeben, heißt es seitens der LPD Wien.

Die große Menge zerstreut sich nach offiziellem Demoschluss relativ rasch. Ein paar tausend ziehen jedoch weiter vor das Bundeskanzleramt, wo der Busunternehmer und Aktivist Alexander Ehrlich eine Rede hält. Darin fordert er etwa Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf, der Coronapolitik ein Ende zu setzen. Und er kommt auch auf das Thema Immunisierung zu sprechen und kritisiert, dass die "natürliche Immunisierung" – wohl in Kontrast zur Impfung – kein Thema mehr sei. Denn das ganze Leben hätte man gelernt, dass man eine Krankheit durchmachen könne: "Und wenn man sie überlebt, dann ist man immunisiert."

Von FPÖ-Chef Herbert Kickl gab es nach der Demo Lob: "Auch heute gelang es wieder gemeinsam mit zigtausenden Menschen ein friedliches aber sehr lautes und enorm starkes Zeichen gegen den bevorstehenden Impfzwang zu setzen", postete er auf Facebook. Für kommende Woche ist erneut eine Demonstration in der Bundeshauptstadt angesagt. Die FPÖ kündigte bereits eine "Großkundgebung" an. (Vanessa Gaigg, 4.12.2021)

Update am Sonntag um 11:51 Uhr: Die Einsatzbilanz der Polizei wurde eingefügt.