Die Klagen von Kickl, Scheuch und den Kärntner Freiheitlichen beziehen sich auf – sehr kritische – Postings aus den Jahren 2011 bis 2013.

Screenshot: STANDARD

Straßburg/Wien – Muss der STANDARD die Identität von drei Userinnen oder Usern preisgeben, deren Postings Herbert Kickl (FPÖ) und Uwe Scheuch (BZÖ/FPK) sowie die Kärntner Freiheitlichen zu Klagen veranlasst haben? Kommenden Dienstag will der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Beschwerde des STANDARD dagegen entscheiden.

Die Klagen von Kickl, Scheuch und den Kärntner Freiheitlichen beziehen sich auf – sehr kritische – Postings aus den Jahren 2011 bis 2013.

Der Oberste Gerichtshof hat 2014 rechtskräftig geurteilt, dass der STANDARD die Userdaten wegen der Postings herausgeben muss. Dagegen hat der STANDARD im Sommer 2015 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingelegt, vertreten von der Wiener Medienanwältin Maria Windhager.

Sie argumentiert: Alle drei Postings seien zulässige, kritische Werturteile im politischen Zusammenhang. Die Postings enthielten keinen in Bezug auf die Kläger beziehbaren – rechtlich unzulässigen – "Wertungsexzess", sondern basierten in wesentlichen Punkten auf Tatsachen, über die der STANDARD den Wahrheitsbeweis antreten wollte. Die Verurteilung zur Herausgabe dieser Userdaten verletze nicht nur die durch die Menschenrechtskonvention geschützte Meinungs- und Informationsfreiheit, sondern auch das Redaktionsgeheimnis.

Was Laien schwer ausschließen können

Österreichische Gerichte verlangen die Herausgabe von Userdaten, wenn nach einer groben Prüfung der strittigen Postings eine Verurteilung wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung (Paragraf 1330 ABGB) nicht auszuschließen ist – und zwar aus der Sicht eines juristischen Laien.

Windhager: "In der Praxis wird ein juristischer Laie in Bezug auf die Postings, gegen die ein Betroffener nicht völlig unbegründete Ansprüche geltend macht, nie – oder nur in den seltensten Fällen – zu dem Schluss kommen, dass eine Verurteilung nicht 'gänzlich auszuschließen' ist. Also müssten die Daten praktisch immer herausgegeben werden."

Das widerspreche der Meinungsfreiheit, aber auch dem Datenschutz; der Zwang könnte Betreiber von Onlineforen außerdem dazu bringen, Diskussionsmöglichkeiten vorsorglich einzuschränken oder abzuschaffen.

"Redaktionsgeheimnis von fundamentaler Bedeutung"

Nach ständiger Rechtsprechung dürften Medien nicht gezwungen werden, Daten etwa eines Leserbriefschreibers bekanntzugeben. Nichts anderes könne dann aber auch für die Userdaten eines Postings auf der Webseite einer Tageszeitung gelten, argumentiert die Anwältin. Medien und ihre Mitarbeiter müssen solche Angaben in begründeten Fällen verweigern können. Die Herausgabeverpflichtung sei daher zu weitgehend.

"Für die Funktionsfähigkeit der Medien ist das Redaktionsgeheimnis von fundamentaler Bedeutung", verweist Windhager auf deren Schutz durch die Menschenrechtskonvention. Es soll den Zugang von Medien zu möglichst vielen Informationen sichern, um ihre Informations- und Kontrollfunktion zu gewährleisten. Diese umfasse auch den Schutz von Userdaten, um einen freien Meinungsaustausch zu ermöglichen, argumentiert Windhager. (fid, 6.12.2021)