Heiter in den Untergang: Don Giovanni (Kyle Ketelsen) und Leporello (Philippe Sly).

Pöhn

Noch vor Ende der recht flott erweckten Ouvertüre, in der sich schon Don Giovannis Ende in düsteren Akkorden ankündigt, blickt Philippe Jordan, Musikchef des Hauses am Ring, auf eine archaische Felsenlandschaft. Es ist ein Niemandsland zwischen Tag und Nacht, vielleicht eine antike Fantasie des Regisseurs Barrie Kosky, in der bald Elektra oder Orest aus einer Höhle kriechen. Womöglich wartet Leporello auf seinen Meister aber auch in einer zu Stein erstarrten Landschaft der Urgefühle (Bühne und Kostüme: Katrin Lea Tag), die sich – von Ethik und Moral noch unbelästigt – entfalten konnte.

Nackte Räume

Man wird es nicht erfahren. Kosky will den Assoziationen Flügel verleihen, indem er alles Konkrete wegräumt. Seine Inszenierung will den Mythos entschlacken, von Bedeutungsschwere und von Ideenverzierungen befreien. Solch Askese erinnert an Lars von Triers Dogville mit seinen nackten Räumen, während Kosky selbst auf das Finale von Pasolinis Film Teorema verweist. Diese Landschaft habe ihn inspiriert. In diesem surrealen Naturalismus gibt es jedenfalls keine Materialschlacht mit herabsausenden und zerschellenden Klavieren wie bei Romeo Castellucci. Es fallen auch keine Autos vom Himmel wie bei den Salzburger Festspielen. Effektfrei zielt Kosky auf Beziehungen, will offenbar zum Zentrum der Emotionen.

Zu viel Freiheit

Dort, wo er die Szenen präzise choreografiert, die Figuren ineinander verkeilt, wird ein subtiles Kammerspiel evident, das die Geschichte – ohne zu blödeln – mal poetisch, dann wieder drastisch als emotionalen Infight erzählt, ohne jedoch ins Derbe abzugleiten. Zur Schwäche der Arbeit wird allerdings die allzu große Freiheit, welche den Sängern und Sängerinnen bisweilen gegeben wird. Da durchweht die Inszenierung oft etwas Beiläufiges, allzu Unbeschwertes, das sich im Herumstolzieren der Protagonisten manifestiert, die gerne an der Rampe Klischeegestik vermitteln – statt psychologische Details.

Der schließlich blutüberströmte Komtur (solide: Ain Anger) ist eher trivial ausgeleuchtet. Von Giovanni erschlagen, geht er ab wie ein Schlafwandler und kommt am Schluss, ident zum letzten Handschlag mit Giovanni, die Steinlandschaft herab. Sein Gehabe hat mehr das Indifferente eines am Geschehen Unbeteiligten und weniger die gefährliche Aura einer Richterfigur, welche der Geschichte den entscheidenden Dreh verleiht.

Reine Maskerade

Da hat sogar Masetto (prägnant: Peter Kellner) mehr szenisches Profil. Und wenn wir schon dabei sind: Blass bleibt auch die Figur der Donna Anna (etwas zu druckvoll: Hanna-Elisabeth Müller), wie auch jene von Don Ottavio (klangschön: Stanislas de Barbeyrac, aber mit gewissen Problemen). Daran ändert auch nichts, dass er – wie auch Masetto – Leporello einmal k. o. schlagen darf. Zur Rettung des ambivalenten Abends wird das Duo.

Giovanni ist ein Rampenstar, ein einsamer Narziss, der mit seinem Ständchen Steine ansingt. Giovanni ist der Manipulator, der seine Fantasien vom moralfreien Rausch an der Rampe zelebriert. Seine Gefühlsausbrüche sind reine Maskerade. Ganz schnell kann er von zärtlichen Momenten mit Zerlina (großartig: Patricia Nolz) zur Eiseskälte umschalten. Nicht weniger strategisch sind Giovannis "Emotionen" bei Donna Anna und bei pseudoliebevollen Umarmungen mit Donna Elvira (sehr edle Performance, zum Schluss hin aber mit Schwierigkeiten: Kate Lindsey).

Authentisch wirkt Giovanni nur bei Leporello. Er behandelt seinen Diener wie einen Buben, watscht ihn ab, hätschelt oder reitet ihn wie einen Esel. Leporello ist jedoch kein Langohr mit Bonsaihirn. Er ist der neurotisch Abhängige, der seinem Meister bei Eroberungen hilft, indem er fies und gefinkelt für Ablenkung sorgt, um die amourösen Zwangshandlungen seines Übervaters von Hindernissen zu befreien.

Feige ist er nicht

Geht es dem Ende zu, werden die beiden in einem See planschen und sich hysterisch-humorgrell am nahenden Komtur abarbeiten, indem sie einen Stein ansingen. Giovanni reicht schließlich – feige wirkt er nicht – dem Komtur die Hand und verliert seine Kraft. Der Popstar des Gewissenlosen liegt dann da, steht schließlich aber auf, um jenen Weg zu gehen, den der Komtur ging, als ihn Giovanni erschlug.

Eine solide Lösung ohne Extraesprit und irgendwie erwartbar. Das Schlawiner-Duo ist aber das muntre Zentrum dieser Inszenierung. Regelrecht akrobatisch im Verspielten wirkt Philippe Sly (als Leporello); als differenziert und vital in der Pose des triebgesteuerten Gefühlsdiebes wird Kyle Ketelsen erlebt (als Don Giovanni). Vokal ist man auf hohem Niveau, genauer: Die zwei bewegen sich im Mittelfeld der ersten Sangesliga. Die Achillesferse bei Kosky: Wer so radikal aufs Äußerliche verzichtet, müsste das Innere der Figuren noch genauer ausgestalten.

Zart und subtil und dramatisch

Überzeugend Dirigent Philippe Jordan. Er nimmt den edlen Klang des schlank besetzten Staatsopernorchesters auf, um melancholische Grundstimmung zu erzeugen. Auch bei Rezitativen legt er es vom Hammerklavier aus zart-subtil an. Ohne auf Prägnanz zu verzichten, lässt er die innige Leichtigkeit, die Mozart innewohnt, erstrahlen. Nach und nach wird es dramatischer, klanglich schärfer, drängender. Hier findet ein Dirigent also auf Basis historischer Informiertheit in der leeren Staatsoper zu Transparenz, Dinglichkeit und Poesie.

(Ljubiša Tošić, 6.12.2021)