Die publizistische Begleitmusik zum Aufstieg und Sturz eines außergewöhnlichen Kommunikationstalents und enorm erfolgreichen Netzwerkers bestätigt das, was Arthur Schnitzler in seinem Tagebuch am 3. Jänner 1915 notiert hat: "Je älter man wird, umso mehr erkennt man, dass es kein phantastischeres Element gibt als die Politik." Dies gilt auch für die Karriere von Sebastian Kurz, der nach der "Unterwerfungsorgie" (Anneliese Rohrer) die "Neue Volkspartei" mit seiner jungen Clique 2017 und 2019 in lichte Höhen geführt hat. Mit 24 Jahren Staatssekretär, mit 27 jüngster Außenminister und mit 31 jüngster Regierungschef der Welt, war das eine beispiellose Karriere in der Geschichte der Zweiten Republik.

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in Brüssel.
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Kein Wunder, dass er noch im August beim ÖVP-Parteitag als ein Heiliger mit einem 99,4-Prozent-Votum gefeiert wurde. Die Chefredakteurin des Kurier würdigte jetzt in einem tränenreichen politischen Nekrolog auf der "Haben-Seite der Kurz-Kanzlerschaft ein neues, selbstbewussteres Auftreten Österreichs in der EU und vernünftige Allianzen". Auch ein Leitartikler der Presse bedauerte, dass "das Land wieder aus dem Fokus der internationalen Medien verschwinden wird". Kurz "galt als Role-Model … und stärkte Österreich als kleinen Machtfaktor".

Die Zeiten, als die Bild-Zeitung, deren leitender Redakteur eine begeisterte Biografie von Bundeskanzler Kurz verfasst hatte, in einer Schlagzeile "So einen brauchen wir auch" schrieb und wie viele in der bayerischen CSU für den in den deutschen Talkshows glänzenden Jungstar schwärmte, sind längst vorbei.

Freundschaftsbekundungen

Die bedeutenden europäischen Zeitungen vertreten eher die Meinung Cathrin Kahlweits, der Wiener Korrespondentin der Süddeutschen: "Kurz stand, neben Viktor Orbán in Ungarn und dem Polen Jarosław Kaczyński, früh für den Kurs europäischer Desintegration und gesellschaftlicher Härte gegen Schwache und Fremde." Zu Recht stellten auch die Salzburger Nachrichten fest, "Kurz rückte Österreich nach Osten, die verlässliche Westbindung wurde brüchig. Die Nationalpopulisten Andrej Babiš in Prag, Viktor Orbán in Budapest, Janez Janša in Ljubljana und der türkise Konservative Sebastian Kurz in Wien fanden gut zueinander."

Ob aus Überzeugung oder aus Taktik, um den Freiheitlichen Stimmen abzunehmen, hat Kurz wiederholt den Konflikt um die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte zwischen der EU und den autoritären Regierungschefs verharmlost.

Die Fotos von Kurz und Janša bei gemeinsamen Bergtouren in Slowenien, die Lobgesänge Orbáns auf "das österreichische Modell der türkis-blauen Regierungskoalition als ein Beispiel für Europa" anlässlich eines Besuchs des Vizekanzlers Strache in Budapest" (elf Tage vor dem Ibiza-Video!) zusammen mit Freundschaftsbekundungen von Kurz gegenüber solchen Figuren wie dem autoritären serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und seine Anbiederung an Moskau haben die gedrängte demokratische Opposition in diesen Staaten zutiefst enttäuscht und Österreichs Ruf (nicht nur dort) ramponiert. (Paul Lendvai, 7.12.2021)