Viele wundern sich über diese banale Frage nach gutem Sex, wenn ich sie in meiner Praxis stelle. Was soll diese Frage, ist ja doch klar, was Sex ist, oder? Denn beim Sex tun wir oft ohne zu überlegen, oder überlegen erst, wenn uns der Sex Probleme macht.

Sex zu haben ist ja recht einfach. Auch über Sex generell zu reden ist für die meisten einfach. Jedoch über persönlichen Sex zu reden, noch dazu mit jemandem, mit dem wir Sex haben wollen und womöglich nicht das bekommen, was wir wollen, das kann oft herausfordernd sein. Ja, klar, reden ist beim Sex ja ganz sicher nicht alles – aber manchmal braucht es gute Gespräche, um wieder aufeinander zu fliegen und genießen zu können.

Zu mir kommen meistens heterosexuelle Menschen, und da kann es schon mal sein, dass sie auf die simple Frage "Was ist guter Sex?" selbstverständlich sinngemäß antwortet: "Wenn die Stimmung passt und ich entspannt bin", und er antwortet: "Na klar, Geschlechtsverkehr, was sonst!?".

Klischee? Ja. Real? Auch Ja

Solche oder ähnliche Antworten habe ich nicht selten erlebt. Manchmal auch von Paaren, die schon einige Jahre zusammen Sex hatten – aber keine gemeinsame Vorstellung davon. Schade, oder?

Was also ist denn eigentlich guter Sex – oder überhaupt alles Sex? Muss es ein Geschlechtsverkehr sein?

Was ist für Sie guter Sex, und was gehört da alles dazu?
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Ganz oft wird mit Sex der Geschlechtsverkehr gemeint. Nicht ganz so oft wird ein Orgasmus damit assoziiert – zumindest nicht von Frauen. Das mag am derzeit öfter besprochenen Orgasmus-Gap liegen. Studien, beispielsweise der Chapman University in Kalifornien, haben herausgefunden, dass rund 95 Prozent der heterosexuellen Männer beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus haben, jedoch nur rund 65 Prozent der heterosexuellen Frauen. Lesbische Frauen übrigens zu rund 86 Prozent. Das liegt einerseits daran, dass viele Männer tatsächlich bei der Penetration zum Orgasmus kommen, während Frau doch überwiegend durch klitorale Stimulation, ob oral oder manuell, zu einem Höhepunkt kommen können. Im Prinzip oft eine schlichte Frage des Wissens, Wollens und des Timings.

Ich möchte, dass Sie Sex ein bisschen breiter denken, ein bisschen vielfältiger gestalten und, ja, auch darüber reden. Ob der Orgasmus-Gap daran liegt, dass viele Frauen ihr eigenes Vergnügen hinter jenes des Mannes reihen, sie also gar nicht so selbstverständlich zeigen – oder auch wissen –, was sie erregt, oder dass es doch leider immer noch zu viele Männer gibt, die zu unsicher in ihrem sexuellen Erforschen und Handeln sind oder sehr auf ihre eigene Erregung konzentriert sind – das ist eigentlich nicht das Thema.

Sex lässt sich ein Leben lang lustvoll gestalten

Miteinander genießen statt einer stummen "Täglich grüßt das Murmeltier"- Nummer. Klingt hart? Ja, klar, ich weiß, es gibt Menschen, die wissen, was sie wollen, und können gut über Sex und ihre Lüste, ihre Fetische in aller Aufgeschlossenheit reden – aber die Mehrheit der Menschen betrifft das nicht. Deshalb – ich möchte Sie sehr ermutigen, auch allein oder miteinander neugierig Ihre eigene Sexualität und die der Partner und Partnerinnen zu erforschen – denn der Körper und unser Sex ändern sich ein Leben lang. So wie Sie mit Bewegung Ihren Körper formen können, gelingt es mit Bewusstsein und Genuss, manchmal auch mit Hilfsmitteln, Sexualität ein Leben lang zu genießen.

Intimität und Nähe statt Höchstleistung

Viele Menschen erzählen vom schönsten Sex, egal in welchem Alter, welchen Geschlechts et cetera, wenn es tatsächlich um sie persönlich gegangen ist, um sexuelle Resonanz. Also nicht um Sex des Sex willen. Wenn Raum, Zeit, Aufmerksamkeit und Möglichkeiten geschaffen waren, die Nähe, Intimität und Genuss für beide möglich machten, auf den Wegen zu Erregung und Höhepunkten. Gönnen Sie sich das? (Nicole Siller, 10.12.2021)