Im Land geht es rund im Moment. Bundeskanzler und Minister wechseln schneller, als man einen Blogbeitrag füllen kann. Nichts ist so, wie es vor einem Monat noch war. Da ist es doch gut, wenn Manches so bleibt, wie es immer schon war: Tradition, Bewährtes, Bekanntes. Dass dies gerade ausgerechnet von den Jüngsten in der Regierung proklamiert wird, erstaunt doch. Die frisch gewählte Jugend-Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Claudia Plakolm, hat es mit ihren jungen 26 Jahren auf den Punkt gebracht: Erwachsen sei, so die Jungpolitikerin, wer bis 30 ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut und einen Baum gepflanzt hat. Ich denke, sie hat sich in der (katholischen) Reihenfolge vertan. Denn wo, wenn nicht in dem gemeinsamen Haus, sollte denn das Kind gezeugt worden sein? Immer schön der Reihe nach.

Katholische Landschaften verzeihen Bausünden

Würde der große Architekturtheoretiker Jan Tabor noch leben, könnte ich ihn bitten, hier einen Exkurs über den Unterschied zwischen der katholischen und der protestantischen Landschaft einfließen zu lassen. Leider ist Tabor vor kurzem gestorben. Es war sein Steckenpferd, Landschaften entlang einer Grenze (Österreich-Tschechien, Österreich-Deutschland) zu beobachten, zu erwandern und zu interpretieren. Die katholische Landschaft hat es, so meine Interpretation, insofern leichter, als sie nicht so funktionalisiert ist wie die protestantische. Sie ist idyllisch, bukolisch und oft fast paradiesisch, verzeiht aber auch Sünden, so wie die katholische Kirche das eben auch tut. Ein Missgeschick oder -griff ist passiert? Macht nichts, wir beten und büßen, das wird schon wieder. So also ist auch das Zitat der Jungpolitikerin zu verstehen. Die Heimatlandschaft ist begrenzt und muss geschützt werden? Ja eh, aber ein bisserl verschandeln dürfen wir sie schon mit Häusern. Wir pflanzen als Abbitte auch einen Baum, damit es ein wieder ein bisserl grüner aussieht.

Eigene Häuser sind meist zu groß, selten teilbar und so gut wie nie barrierefrei.
Foto: istockphoto.com/de/portfolio/MartinaBirnbaum

Zurückgeworfen auf Haus und Haushalt

Das Statement der Politik ist fatal. Es wirft nicht nur die Baukultur zurück in den Status der 1970er-Jahre, als Straßen gebaut wurden, wo immer es gerade passte, quer durch Landschaften und über Städte hinweg, um auch noch das letzte Stück Land zu erschließen für ein Haus mit Garten. Es formuliert auch ein verheerendes Bild einer zukünftigen Gesellschaft, die sich ebenfalls zurückgeworfen sieht auf die Nachkriegsjahrzehnte und das Hausideal, in dem zumindest ein Teil eines Paares (na wer wohl?) mehr oder weniger zu Hause bleibt, zumindest für ein paar Jahre.

Nicht einmal mehr gemeinsames Fernsehen

Wohnen hat mit Gewohnheiten und Traditionen zu tun, aber so unverändert bleibt die Praktik des Wohnens nun doch nicht. Heutiges Leben in Wohnungen und Häusern sieht anders aus als vor noch einer Generation. Während gemeinsames Fernsehen auf der Couch im Wohnzimmer bis in die 1990er-Jahren noch als familiäre Praxis galt, oft kombiniert mit einem gemeinsamen Essen (beim Fernsehen muss man nicht reden), gibt es diese Praktik heute selten. Medien werden auf dezentralisierten Tablets, Iphones und Laptops konsumiert, meist individuell im eigenen Zimmer. Das Fertighaus mit integriertem Fernseher, wie es etwa in den Siedlungen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg zehntausendfach verkauft wurde, wäre heute kein Schlager mehr. Wir wohnen, also kochen, essen und vergnügen uns heute anders. Die Digitalisierung hat uns alle erfasst, und die Pandemie hat uns diesbezüglich den letzten Rest gegeben. Was sollen wir nun bitte mit einem Haus, das wir als Unter-30-Jährige bauen sollen? Als ob wir selbst jemals noch Ziegeln aufeinander schlichten würden. Wer garantiert denn den Job neben dem Haus? Ist die Politikerin von der Raiffeisenkassa gesponsert oder was?

Hier passt kein Haus mehr hinein. Graz geht aber ohnehin politisch nun andere Wege.
Foto: Sabine Pollak

Architektur ist immer ein Gesellschaftsmodell

Vom fatalen Flächenverbrauch in Österreich wurde schon genug geschrieben, er ist allseits bekannt, und doch wird nicht wirklich etwas dagegen unternommen. Die Forderung der Jungpolitikerin ist so weit entfernt von jeglicher Realität in Städten, an Stadträndern und in Gemeinden, dass es schon fast weh tut. Jede und jeder sollte ein Anrecht haben auf eine bezahlbare und öffentlich erreichbare Wohnung, auf jeden Fall, aber doch nicht auf ein Haus. Was sollen wir alle mit diesen Häusern einmal zukünftig tun? Aufstocken? Geht meist statisch nicht. Zusammenbauen? Erlaubt die Flächenwidmung nicht. Teilen? Hätte man früher überlegen sollen. Müssen wir wirklich bis an unser Lebensende mit dem unter 30 gewählten Partner oder der Partnerin glücklich zusammenleben? Und wenn es nicht klappt? Architektur verkörpert immer auch ein Gesellschaftsmodell, so sehr können wir uns als Architektinnen und Architekten gar nicht zurücknehmen, dass dies nicht der Fall wäre. Also bauen wir zum Beispiel lieber keine Einfamilienhäuser.

Typologien für die Generationen Y und Z

Der vielleicht eh nur schnell daher gesprochene Slogan der Jungpolitikerin ärgert mich, verlangt aber vor allem nach Gegenslogans. Ich möchte daher alle Unter 30-jährigen zu Forderungen animieren, die das Heile-Welt-Ambiente mit Thujenhecke unterwandern. Gefordert werden sollten supergünstige und coole Wohnungen in jeder Gemeinde, neue Wohntypologien, die sich ebenso eignen für Wohngemeinschaften wie abgewohnte Gründerzeitwohnungen, leere konstruktive Gerüste, die in Selbstausbau gefüllt werden können, gestapelte Minihäuser mit in der Höhe ausbaubaren Einheiten und vieles, vieles mehr. Unter-30-jährige auf Haus, Kind und Baum zu reduzieren ist so beschränkt, das würde ich als Generation Y oder Z nicht auf mir sitzen lassen. Vielleicht werden solche Forderungen ja als erstes in Graz formuliert. Da unten läuft ja alles grad ein wenig anders, vor allem das Wohnbauresort. Wohnen und Wohnraum kann so experimentell, ungewöhnlich und fantasievoll sein. Es geht aber nicht um ein Bild, sondern um Inhalte. Und die brauchen mehr Konzept als Haus, Kind und Baum. Sorry, aber so wird das nichts, Jungpolitikerin, zurück zum Start! (Sabine Pollak, 10.12.2021)

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