Cancún ist auf Massentourismus am Sandstrand ausgerichtet. Das Tourismuskonzept belastet nicht nur die Umwelt, es interessiert auch immer weniger Reisende.

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Das wahre Mexiko schmeckt rauchig, nussig-scharf und nach Zitrone und Koriander. Wer es aufspüren will, der sollte sich auf den Weg machen, heraus aus den All-inclusive-Bettenburgen an Mexikos Karibikküste, rein in den Dschungel der Halbinsel Yucatán. Beispielsweise zu Alejandra Treviño und ihrer Zauberküche "Mexico Lindo Cooking". Die Chefköchin aus Mexiko hat gut zwei Stunden Fahrtzeit von der Tourismushochburg Cancún entfernt ihren Lebenstraum verwirklicht: eine Kochschule für Touristen mit einem eigenen Obst- und Gemüsegarten.

Besucher erwartet ein fünfstündiger Rausch der Sinne: Küchenhelfer in Mayatracht befeuern auf der Terrasse mit Holz eine kleine Kochstelle, auf der die traditionellen Maistortillas gebacken werden, derweil die Kochschüler einen mit Rohrzucker, Zimt, Nelke, Pfeffer und Orangenschale gewürzten Kaffee als Begrüßungstrunk genießen. In der bunt gekachelten Küche brodelt es schon in Kupferkesseln auf dem Gasherd. Dazwischen jongliert Treviño temperamentvoll mit Mixern und Mörsern, zeigt, wie man professionell Zwiebeln schneidet und erklärt, mit welcher Chilisorte (Jalapeño) Anfänger nichts falsch machen. Dann müssen die Besucher selbst schnippeln und mixen, rühren und abschmecken.

Die Liebe für ein Land geht durch den Magen, ist die 43-Jährige überzeugt. Dass die meisten Touristen an der Karibikküste so wenig von der wirklichen Kultur Mexikos kennenlernen, bedauerte sie. Auf sie zielt sie ab mit ihren Tages- oder Wochenkursen für kleine Gruppen. Es geht dabei nicht nur um Rezepte, sondern um mexikanischen Lebensstil. Nach getaner Arbeit genießen die Teilnehmer an einem großen Tisch gemeinsam auf der Terrasse ihr eigenhändig gefertigtes Menü zum Schnalzen der Geckos und Zwitschern der Vögel. Angestoßen wird mit einem Tequila, der in Mexiko vorzugsweise pur und in kleinen Schlucken getrunken wird.

Tragödie für Kleinbetriebe

Die Pandemie war für die Branche eine Tragödie, besonders aber für Kleinunternehmer wie Treviño. Zwar schloss Mexiko seine Grenzen nie, aber trotzdem kamen 2020 rund 50 Prozent weniger Besucher ins Land. Hunderttausende Arbeitsplätze gingen verloren, hunderte Unternehmen kämpften ums Überleben: Der Tourismus macht in Mexiko 8,7 Prozent des Wirtschaftsaufkommens aus. Über die Durststrecke geholfen hat Treviño eine Covid-Soforthilfe des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für innovative Tourismusunternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Mit den 9.000 Euro konnte Treviño ihre sieben Angestellten weiter bezahlen. Sie selbst nahm an den Online-Fortbildungskursen des Programms teil. "Ich habe dann meine Webseite und mein digitales Marketing verbessert, Solarpaneele und eine Biokläranlage installiert und neue Geschäftskontakte geknüpft", sagt sie. Aus der Chefköchin wurde eine Managerin. Denn gerade an den Managementqualitäten scheitern Kleinunternehmer aus Schwellenländern oft schon in den Anfangsjahren.

Sechsmonatiges Programm

104 kleine und mittlere Tourismusunternehmen haben in Mexiko von dem sechsmonatigen Programm profitiert. Weitere 311 waren es in Kenia, Ägypten, Südafrika und Tunesien. Die Palette ist breit und reicht von einer Tauchschule, die sich um die Pflege von Korallenriffen kümmert, über kleine Dschungel-Lodges, ein Textilmuseum, das indigenen Weberinnen eine Verkaufs- und Werbeplattform bietet, bis zu Reiseveranstaltern, die sich auf Nischen wie Vogelbeobachtung spezialisiert haben.

Ausgewählt und betreut wurden die Teilnehmer von der Tui Care Foundation und der Berliner NGO Enpact, die sich auf die Unterstützung von Start-ups und Mentoring-Programme spezialisiert hat. "Damit helfen wir, Strukturen zu erhalten, die auch für den internationalen Tourismus essenziell sind", sagt Thomas Ellerbeck, Vorsitzender der Tui Care Foundation.

Retortenstadt

Doch es geht nicht nur um den Erhalt einer Branche, sondern auch um Strukturwandel. "Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie krisenanfällig und wenig nachhaltig der Massentourismus ist", sagt Michael Hallé, ein kanadischer Tourismusberater in Mexiko. Ein Beispiel ist Cancún, die Retortenstadt, in der jährlich 13 Millionen Urlauber ankommen und in All-inclusive-Hotels mit bis zu 3.000 Betten untergebracht sind. Das in den 1960er-Jahren hochgezogene Cancún war im internationalen Tourismus eine beispiellose Erfolgsgeschichte, stößt jedoch mittlerweile an seine ökologischen und sozialen Grenzen: Probleme mit Müll und Abwasser, Gewaltkriminalität, Artensterben.

Diese Art von Massentourismus hat Hallé zufolge in der Nach-Pandemie-Ära wenig Zukunft. Ziele wie Cancún müssen sich neu erfinden. Doch gerade in ihnen hatten kleinere Anbieter bislang einen schweren Stand. Ihre Angebote gingen unter im Marketing der dominanten Reiseveranstalter. Bei der unterbezahlten lokalen Bevölkerung blieb wenig hängen; das Landesinnere ist weiterhin strukturschwach.

Weichen stellen für nachhaltigeres Reisen

Das soll sich nun ändern. Mexikos Regierung baut einen Zug, der die Küste mit Kolonialstädten und Mayaruinen im Landesinneren verbindet. Sie will damit Weichen stellen für ein naturnahes, nachhaltigeres und individuelleres Reisen.

Glaubt man Trendforschern, sieht so der Tourismus der Post-Millennials-Generation aus. An ihre Bedürfnisse werden mittelfristig auch die großen Reiseveranstalter ihre Angebote anpassen müssen. Mehrfachverwendung von Handtüchern und Biomüsli am Frühstücksbuffet dürften nicht mehr ausreichen, um die Gäste zufriedenzustellen. Die Generation Greta schaut genauer hin bei Emissionsreduzierung, Kreislaufwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit. Für diese Ära im Tourismus stehen die Teilnehmer am Covid-Programm in den Startlöchern. (Sandra Weiss aus Cancún, 9.12.2021)