Müssen Menschen, die wählen, verstehen, worum es bei den Wahlen geht?

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Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, was das wohl für Menschen sind, die keine Ahnung von Politik haben, aber begeistert eine Partei mit attraktiven Kandidaten oder eingängigen Wahlslogans wählen? Und: Sollte man bei solchen Leuten nicht erst einmal prüfen, ob sie verstanden haben, worum es bei Wahlen geht?

Eine Market-Umfrage im Auftrag des STANDARD legt nahe, dass immerhin jeder siebente österreichische Wahlberechtigte meint, dass man "österreichische Staatsbürger, die sich bei Politik nicht auskennen", vom aktiven Wahlrecht ausschließen sollte. Ebenso viele würden Staatsbürgern mit hohen Steuerschulden das Wahlrecht aberkennen. Und erst die Verschwörungstheoretiker! Die würden 43 Prozent von Wahlen fernhalten wollen – und erst recht die Staatsverweigerer!

Weit weg von unserem Demokratieverständnis

Klingt nachvollziehbar. Ist aber weit weg von unserem Demokratieverständnis. Und würde zudem der politischen Willkür Tür und Tor öffnen: Wer sollte denn darüber befinden, ob ein Wahlberechtigter die nötige politische Reife oder die richtige Haltung zu unserer staatlichen Ordnung mit in die Wahlzelle bringt? Ähnlich problematisch ist die seit Jahrzehnten immer wieder aufbrechende Diskussion darüber, ob Menschen am Ende ihres Lebenslaufs denn noch darüber bestimmen sollen, wie die Zukunft Österreichs aussehen soll – obwohl sie diese Zukunft wahrscheinlich gar nicht mehr erleben werden. Nehmen nicht manche Parteien besonders viel Rücksicht auf die Pensionisten? Oder auf Dummköpfe?

Weitere Menschen einschließen

Mag sein. Aber es widerspricht eben dem allgemeinen gleichen Wahlrecht, Menschen wegen ihres Alters oder mangelnder Bildung zu diskriminieren. Dieses Wahlrecht wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts – gegen zähen Widerstand der politischen und ökonomischen Eliten – erkämpft. Damals war klar, wer zum Staatsvolk gehört: wer hier lebt und die österreichische Staatsbürgerschaft hat. Vor 30 Jahren erst wurde das erweitert auf alle Staatsbürger, also auch auf jene Auslandsösterreicher, die eben nicht hier leben.

Inzwischen hat sich viel getan: Es leben eineinhalb Millionen ausländische Staatsbürger in Österreich. Davon stammt mehr als die Hälfte aus einem EU-Land und dürfte daher eigentlich im Wahlrecht ebenso wenig diskriminiert werden wie die Senioren. Es geht daher nicht darum, Menschen von Wahlen auszuschließen, sondern weitere einzuschließen. (Conrad Seidl, 8.12.2021)