Für Omikron wird wohl ein angepasster Impfstoff nötig werden. Bis dahin schützt der Booster aber sehr gut vor schwerem Verlauf.

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Omikron ist das neue Delta – so viel scheint inzwischen klar zu sein. In Südafrika hat die Variante innerhalb weniger Wochen die Vorherrschaft übernommen, mittlerweile sind 75 Prozent der Infektionen dort auf die Omikron-Variante zurückzuführen. In Dänemark hat sich innerhalb von zwei Tagen die Zahl der Neuinfektionen verdreifacht – auf niedrigem Niveau zwar, und das könnte auch auf Cluster zurückzuführen sein, aber es zeigt, wie infektiös diese neue Mutation sein dürfte.

Als Folge werden in Dänemark die Maßnahmen bereits wieder verschärft. Es gibt zwar keinen neuen Lockdown, aber die Schüler werden bereits ab dem 15. Dezember in die Weihnachtsferien geschickt.

In Österreich sind erst wenige Fälle bestätigt, einer ist am Donnerstag in Niederösterreich dazugekommen. Dass es noch keine weiteren gibt, liegt wohl daran, dass wieder einmal die Daten dazu fehlen. Daten aus Großbritannien und Dänemark, wo die Variantenüberwachung sehr gut ist, deuten nämlich definitiv darauf hin, dass Omikron sich sehr rasch durchsetzen und auch für höhere Infektionszahlen sorgen wird: "Es ist sicherlich kein Zufall, dass derzeit die einzigen beiden europäischen Länder mit guter Überwachung der Varianten de facto ein exponentielles Wachstum von Omikron sehen mit sehr kurzen Verdopplungszeiten, nämlich zwei bis drei Tage. Das ist vergleichbar mit den Zahlen aus Südafrika", meint der Genetiker Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Reduzierter Immunschutz – Untersuchungsüberblick

Was bedeutet das nun für den Immunschutz? Mittlerweise gibt es mehrere Analysen dazu. Sie alle zeigen nach verschiedenen Kombinationen von Impfungen und natürlicher Infektion eine stark reduzierte neutralisierende Wirkung der Antikörper, die das Virus binden und eine Infektion verhindern können. Der Schutz ist etwa um den Faktor 40 vermindert. Omikron hat damit das Potenzial, der Immunantwort des Körpers zum Teil zu entgehen. Ergebnisse zur Schutzwirkung der zellulären Bestandteile des Immunsystems, wie B- und vor allem T-Zellen, vor einer schweren Covid-19-Erkrankung fehlen aber noch.

Erste Labordaten gibt es aktuell aus Deutschland, vom Team aus Forschenden rund um Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt. Sie isolierten das Virus aus Proben einer Person mit Omikron-Infektion, die sehr früh am Frankfurter Flughafen entdeckt worden war, und züchteten es an. Die Ergebnisse sind in einer vorläufigen Publikation auf der Preprint-Plattform medrxiv verfügbar. Sie zeigen eine bis zu 37-fach reduzierte neutralisierende Wirkung der Antikörper im Vergleich zur Delta-Variante. Die Daten deuten allerdings auch daraufhin, dass Auffrischungsimpfungen oder eine zweifache Impfung plus Durchbruchsinfektion eine stärkere Wirkung gegen die Variante entfalten können als die Immunantwort zweifach geimpfter Menschen.

Auf besseren Schutz nach durchgemachter Infektion plus zweifacher Impfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer deuten weitere Ergebnisse aus einem Labor in Durban in Südafrika hin. Die Forschenden teilten ebenfalls erste Ergebnisse aus Neutralisationsversuchen in Lebendkulturen des Virus in einem vorläufigen Manuskript. Zwar fanden auch sie eine deutliche Reduktion der neutralisierenden Wirkung der Antikörper, nämlich um das circa 41-Fache nach einer doppelten Impfung – allerdings zeigte sich ein deutlich positiveres Bild bei der Immunantwort von zuvor infizierten Personen mit doppelter Impfung.

Und auch Forscher aus Südafrika und Schweden haben eine weniger stark abnehmende neutralisierende Wirkung festgestellt. Allerdings wurden diese Versuche mit einer künstlich hergestellten Form des Virus, einem Pseudovirus, durchgeführt, die Forschenden unterschieden ihre Daten nicht nach dem Impfstatus der Probanden.

Erste Ergebnisse zur Wirkung bei Omikron gibt es auch von den Pharmaunternehmen Pfizer und Biontech. Demnach sind nach einer dritten Dosis des firmeneigenen Impfstoffs Comirnaty die neutralisierenden Antikörpertiter im Vergleich zu zwei Dosen gegen die Omikron-Variante um das 25-Fache erhöht. Die Neutralisationswirkung nach der Auffrischungsdosis sei vergleichbar mit jener nach zwei Dosen gegen das Wildtyp-Virus. Eine dritte Dosis erhöht den Daten zufolge auch stark die Spiegel der sogenannten CD8+ T-Zellen gegen mehrere Strukturen des Spike-Proteins, was für einen Schutz vor schwerer Krankheit sprechen würde. Auch Pfizer/Biontech führten ihre Tests mit einem Pseudovirus durch.

Immune-Escape-Variante

Was inzwischen gesichert sein dürfte: Omikron ist eine sogenannte Immune-Escape-Variante, das heißt, sie kann den bisher aufgebauten Immunschutz, durch Impfung und/oder durch Infektion, besser umgehen als andere Varianten. Doch die Impfung sollte weiterhin schützen, wie Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie an der TU Dortmund, betont: "Die jetzt vorliegenden Ergebnisse zeigen ganz klar, dass auch die neutralisierenden Antikörper von Geimpften in der Lage sind, Omikron zu binden und zu neutralisieren. Die Impfungen sind also nicht nutzlos."

Allerdings zeichnet sich deutlich ab, dass sechs Monate nach der zweiten Impfung nur noch unzureichende neutralisierende Antikörper gegen die Omikron-Variante vorliegen. Mit einer Boosterimpfung kann allerdings eine deutliche Verbesserung der Antikörperneutralisation erreicht werden.

Denn, so der Experte: Man braucht deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren – ungefähr 40-fach mehr. "Das ist ein großer Unterschied – der größte Unterschied, den wir je bei einer Variante beobachtet haben. Die Daten zeigen, dass selbst zweifach Geimpfte oft nicht genügend Antikörper haben, um Omikron zu neutralisieren. Erst nach einem Booster oder nach der Kombination aus Infektion plus zweifacher Impfung sind genügend Antikörper vorhanden. Das bedeutet, dass wir mit Omikron noch mehr Durchbruchsinfektionen sehen werden. Die Inzidenzen könnten daher noch einmal deutlich steigen."

Kein Abwarten mehr

Deshalb sollte man auch keinesfalls mit dem Drittstich warten – oder überhaupt einen Totimpfstoff abwarten. Davor warnt Florian Krammer, Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine in New York, denn: "Die Impfstoffe, um die ich mir im Moment Sorgen mache, sind jene, die nur einmal verabreicht werden und inaktivierte Impfstoffe (vielfach auch als Totimpfstoffe bezeichnet; Anm. d. Red.). Denn die rufen nicht unbedingt eine gute T-Zell-Antwort hervor und können nur niedrige neutralisierende Antikörpertiter induzieren. Ich würde annehmen, dass die Wirksamkeit der Immunantwort durch die Impfung bei ihnen am stärksten abnimmt." Bei Impfstoffen, die eine gute T-Zell-Reaktion hervorrufen oder sehr hohe neutralisierende Antikörpertiter induzieren, ist er weniger besorgt.

Und Krammer weiter: "Wir müssen uns auf weitere Sicherheitsnetze unseres Immunsystems verlassen können, wie T-Zell-Antworten, nicht neutralisierende Antikörperantworten oder Gedächtnisreaktionen des B-Zell-Kompartiments. Aber je niedriger der Ausgangsstatus ist – also je weniger Antikörper und je weniger T-Zell-Antwort man hat –, desto leichter wird es für eine starke Escape-Variante wie Omikron sein, eine Krankheit auszulösen. Und wir müssen ehrlich sein: Nicht alle Impfstoffe sind gleich, wir sehen durchaus Unterschiede. Und inaktivierte Impfstoffe sind in der Regel nicht gut geeignet, um eine T-Zell-Antwort auszulösen."

Angepasste Impfstoffe wohl nötig

Für die mRNA-Impfstoffe bedeutet das, dass eine Anpassung wahrscheinlich nötig sein wird. Zumindest Immunologe Watzl sieht das so: "Ein Booster mit einem angepassten Impfstoff würde genau die Gedächtniszellen stimulieren, die Antikörper produzieren, die auch Omikron neutralisieren können." Da diese angepassten Impfstoffe frühestens nächsten Februar oder März kommen werden, sollte man aber nicht darauf warten, sondern sich jetzt impfen oder boostern lassen.

Die gute Nachricht: Die aktuelle Impfung sollte trotz allem vor schwerem Verlauf gut schützen, vor allem nach dem dritten Stich. Eindeutige Daten zu solchen Durchbruchsinfektionen fehlen zwar noch, aber Watzl meint: "Da der Schutz vor schwerer Erkrankung nicht nur auf den Antikörpern beruht, gehe ich aktuell davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch ist."

Das bestätigt auch Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf: "Da es noch andere Komponenten des Immunsystems gibt, bin ich trotzdem optimistisch, dass durch die Immunität eine gute Schutzwirkung vor schweren Verläufen bestehen bleibt. Eine Boosterimpfung ist aktuell umso wichtiger, da dadurch auch die zelluläre Immunität geboostert wird, was sicher gegen Omikron wichtig ist." Bei der Anpassung der Impfstoffe sollte aus seiner Sicht außerdem überlegt werden, ob das Spike-Protein als Ziel-Antigen ausreichend ist oder ob die Immunität durch Hinzunahme weiterer Virusproteine breiter aufgestellt werden kann.

Die Impfstoffentwickler arbeiten jedenfalls schon an einem angepassten Vakzin. Albert Bourla, CEO von Pfizer, teilte mit, dass man bereits Ende November mit der Entwicklung eines Vakzins, das speziell die Omikron-Variante anvisiert, begonnen habe. Dieses könne man, falls es wirklich benötigt werde, innerhalb von 95 Tagen in großen Mengen produzieren. Auch Moderna arbeitet bereits an einem angepassten Impfserum.

Nicht so gut sieht es dagegen für Ungeimpfte aus. Sie werden gegenüber Omikron noch weniger geschützt sein. Die Experten gehen deshalb davon aus, dass mit steigenden Inzidenzen auch mehr schwere Fälle und damit eine zusätzliche Belastung des Gesundheitssystems einhergehen werden. (Pia Kruckenhauser, 9.12.2021)