Instagram-CEO Adam Mosseri stellte sich den Fragen im US-Kongress.

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Tag der Abrechnung im US-Senat. Es ist die Konfrontation, auf die man in Washington lange gewartet hatte. Facebook soll endlich Farbe bekennen und den Abgeordneten Rede und Antwort stehen, für all die Halbwahrheiten und Lügen, die ihnen hier im US-Kapitol über all die Jahre hinweg aufgetischt worden waren.

Bislang mussten sich die Ausschussmitglieder von den Tech-Bossen aus Kalifornien immer wieder mit Zahlen und Behauptungen abspeisen lassen, die am Ende niemand überprüfen konnte. Doch seit diesem Herbst hat sich der Wind gedreht. Zum ersten Mal sieht es so aus, als habe die Politik ihre Handlungshoheit zurückgewonnen.

Whistleblowerin als Wendepunkt

Möglich geworden ist das durch die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen, die sich als Whistleblowerin an den US-Kongress wandte und die Abgeordneten mit einer Flut an geheimen Firmendokumenten ausstattete. Bei den Unterlagen handelte es sich um Produktstudien, Strategiepapiere und interne Diskussionen, die zum ersten Mal schwarz auf weiß belegten, was ohnehin schon alle ahnten: Facebook schert sich einen Dreck um das Wohl seiner Nutzer und stellt im Zweifel Profit sogar über Menschenleben.

Die Enthüllungen von Haugen gingen um die Welt und sorgten nicht nur in den USA für einen Sturm der Entrüstung. Sicherlich nicht ganz zufällig hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg seinen Konzern kurz darauf in Meta umbenannt – zum einen sicherlich, um von dem PR-Super-GAU abzulenken, zum anderen aber auch, um einen zusätzlichen Verteidigungsring um sich herum zu ziehen.

Wenn in Zukunft neue Skandale über Facebook oder das zum Konzern zugehörige Bildernetzwerk Instagram publik werden, ist er, Zuckerberg, nicht mehr zuständig, sondern seine jeweiligen Produktchefs. Das verschafft dem Firmengründer, der über die Mehrheit der stimmberechtigten Aktien am Unternehmen verfügt, den nötigen Freiraum, sich seinem neuesten Steckenpferd zu widmen, dem sogenannnten "Metaverse".

Selbstmordwünsche und Instagram-Konsum

Auf der Anklagebank des Senatsausschusses saß nun also nicht der Oberboss, sondern nur einer seiner Schergen: Adam Mosseri, 38 Jahre, seit 13 Jahren in unterschiedlichen Funktionen bei Facebook tätig. Als es vor drei Jahren zum Zerwürfnis zwischen Zuckerberg und den beiden Instagram-Gründern kam, bekam Mosseri die Leitung der Bilderplattform übertragen. Unter seiner Führung wurde Instagram von Update zu Update zur Videoplattform ausgebaut, mit der man heute unter anderem auch shoppen und livestreamen kann.

Es ist die fünfte Sitzung des Unterausschusses mit dem Titel "Kinder online schützen". Im Zentrum dabei stehen Facebook-interne Unterlagen, aus denen hervorgeht, wie Facebook explizit Kinder und Jugendliche umwirbt und schon in jungen Jahren an seine Plattformen binden will. Aus einer anderen geheimen Studie geht hervor, dass viele Jugendliche ihre Selbstmordwünsche auf ihren hohen Instagram-Konsum zurückführen.

"Das Vertrauen ist weg"

"Wir befinden uns in einer mentalen Gesundheitskrise", kommt der Ausschussvorsitzende Richard Blumenthal gleich zur Sache. Big Tech beute die Verwundbarkeit von Kindern aus, um sich dadurch zu bereichern. Die Zeit der Eigenkontrolle sei vorbei: "Selbstregulierung setzt Vertrauen voraus. Das Vertrauen ist weg."

Mosseri, der am Tag zuvor noch im trendigen Strickpulli auf Instagram neue Sicherheitsfeatures angekündigt hatte, trägt einen marinefarbenen Businessanzug, weißes Hemd mit Krawatte. Er spricht vorsichtig und bedächtig. Immer wieder rückt er seine dunkle Designerbrille zurecht, entschuldigt sich höflich, wenn er aus Versehen ans Mikrofon stößt oder eine Frage nicht richtig versteht. Inhaltlich wird er selten konkret. Wie lange speichert Instagram Daten? – Weiß er nicht. Erhalten Nutzer ihre kompletten Daten, wenn sie diese anfordern? Da ist er sich nicht sicher.

Flucht in Floskeln

Schwer vorstellbar, dass ein Topmanager, der lange Zeit für das Herzstück von Facebook, den Newsfeed, verantwortlich war, ein Mann, der Zuckerberg zur Not sogar als CEO beerben könnte, solche grundlegenden Fragen nicht beantworten kann. Die schriftlichen Antworten, die von Facebook in früheren Ausschüssen immer wieder versprochen worden waren, ließen oft Monate auf sich warten, wenn sie denn überhaupt kamen.

Im Verlauf des zweistündigen Verhörs flüchtet sich Mosseri immer wieder in Floskeln, die wie auswendig gelernt klingen. Man investiere mehr in Sicherheit als die meisten anderen Tech-Unternehmen. Man beschäftige 40.000 Menschen für die Sicherheit der Plattform. Topmanager aus dem Silicon Valley werden Wochen vor wichtigen Auftritten von Kommunikationstrainern geschult. Sie bekommen eine Briefing-Mappe mit Statements, die PR-Strategen und Juristen zuvor ausgearbeitet haben.

"Wir reden hier über Menschen, nicht über Zahlen", setzt der Instagram-Chef gerade wieder an, um einer Frage auszuweichen. – "Lassen Sie uns doch einen Moment über Zahlen reden", fährt ihm Senator Ted Cruz in die Parade: "Hat Instagram jemals erhoben, wie viele Mädchen versucht haben, sich aufgrund Ihres Produkts umzubringen?"

Als der Senator aus Texas den Zeugen um die komplette Studie bittet, die den Ausschuss-Mitgliedern versprochen worden war, räumt Mosseri kleinlaut ein, dass es sein könne, dass die Originalstudie möglicherweise nicht mehr existiere. Angeblich sei ein großer Teil der zugrundeliegenden Daten aufgrund von Datenschutzvorkehrungen nicht mehr vorhanden.

Mit zwei Klicks Drogen bestellen

Senator Lee zitiert aus einer aktuellen Studie, wonach es bei Instagram möglich sei, mit nur zwei Klicks Drogen zu bestellen. "Konten, die mit Drogen handeln, sind auf unserer Plattform nicht erlaubt", setzt Mosseri zu einer Antwort an. – "Nur zwei Klicks!", unterbricht ihn der Senator: "Zwei Klicks!". "Sagen Sie besser die Wahrheit", droht Senatorin Amy Klobuchar dem Zeugen: "Sie stehen unter Eid!". Wieder und immer wieder die üblichen Versatzstücke: "Ich bin mir sicher, wir sind transparenter als jedes andere Tech-Unternehmen", so Mosseri – "Das ist eine ziemlich niedrige Latte!", resümiert der Ausschussvorsitzende Blumenthal.

Der Ton ist rau, um nicht zu sagen aggressiv, an diesem Nachmittag. Schon lange geht es bei diesen Anhörungen nicht mehr um die Sache, noch nicht einmal um den Schutz von Kindern. Dieser sich seit Jahren zuspitzende Konflikt dreht sich um die ultimative Machtfrage: Wer regiert eigentlich das Land? Demokratisch gewählte Abgeordnete in Washington oder selbstherrliche Turnschuh-Milliardäre aus dem Silicon Valley?

Selten haben Senatoren und Kongressabgeordnete so alt ausgesehen wie in diesen Show-Ausschüssen. Sie wissen, dass die Tech-Bosse, die hier für wenige Stunden öffentlichkeitswirksam abgewatscht werden, in Wahrheit am längeren Hebel sitzen. Die IT-Manager verfügen über die besten Anwälte, die man für Geld kaufen kann. Sie stecken mehr Geld in Lobbyismus als jede andere Branche. Und sie verfügen über den ultimativen Kill Switch: Nur ein Knopfdruck, und ein Politiker findet auf ihrer Plattform nicht mehr statt. Das Unbehagen, das sich in Washington breitmacht, ist berechtigt. Vielleicht wäre in diesem vorangeschrittenen Stadium von Kontrollverlust sogar schon Panik angebracht. (Richard Gutjahr, 9.12.2021)