Haijawi-Pirchner bei seiner Antrittspressekonferenz.

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Am Samstag demonstrierten in Wien wieder 44.000 Personen gegen Corona-Maßnahmen.

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Als neuer Chef des gerade erst reformierten Verfassungsschutzes hat Omar Haijawi-Pirchner hausintern viel zu tun. Doch auch die Welt draußen steht nicht still, im Gegenteil: Die Gefahr in puncto Islamismus gilt nach wie vor als hoch. Aber vor allem die Szene der Corona-Leugner beschäftigt die Sicherheitsbehörde.

Haijawi-Pirchner zur Frage, wie man mit Personen in den eigenen Reihen umgehen soll, die an das einschlägige Milieu andocken, und wieso die Polizei bei Protesten auf Verhältnismäßigkeit setzt.

STANDARD: Von Corona-Leugnern gab es Todesdrohungen gegen die Regierung, Waffenfunde, Ausschreitungen auf Demos. Müssen wir uns darauf einstellen, dass es in naher Zukunft zu einer größeren Gewalttat aus diesem Milieu kommen wird?

Haijawi-Pirchner: Die Szene der Corona-Leugner ist derzeit die größte Bedrohung für die Sicherheit. Weil wir das erkannt haben, können wir aber präventiv tätig werden. Das Milieu ist sehr heterogen, gleichzeitig steckt dort viel Potenzial. Das große Risiko liegt darin, dass Rechtsextreme die Szene nutzen, um ihre Ideologie voranzutreiben. Wenn es zu Taten wie Sachbeschädigungen, Angriffen auf Polizisten oder Gewalttaten gegenüber Bürgermeistern und Medien kommt, ist das eine Initialzündung für viele, die dann aufspringen. Dahingehend versuchen wir derzeit auch, die Polizistinnen und Polizisten zu sensibilisieren.

STANDARD: Auf die Bevölkerung gibt es bereits direkte Auswirkungen: Die Polizei muss Krankenhäuser verstärkt bestreifen. In Oberösterreich werden in Spitälern Securitys installiert, Mitarbeiter mit Pfefferspray ausgestattet. Es gibt Drohungen gegen Ärzte und Bürgermeister. Hat man die Gefahr, die sich da in den letzten Monaten entwickelte, unterschätzt?

Haijawi-Pirchner: Nein, definitiv nicht. Wir sehen ja, was sich zusammenbraut. Es ist derzeit der vierte Lockdown, und vermutlich ist mit der Impfpflicht bald der Peak erreicht, wo Leute sagen: Ich kann nicht mehr. Es ist natürlich schwierig in einer Pandemie, deren Herausforderungen in der Vergangenheit selten wer zu bewältigen hatte.

STANDARD: Wie viele Mitarbeiter sind speziell für das Phänomen Corona-Extremismus zuständig?

Haijawi-Pirchner: Wir nennen künftig keine Mitarbeiteranzahl mehr, weil wir das Gegenüber nicht in unsere Karten schauen lassen wollen. Aber es beschäftigt uns, und wir legen einen starken Fokus darauf. Das heißt nicht, dass wir keinen Fokus auf andere Bereiche legen. Die Gefahr im Bereich Islamismus ist nach wie vor als hoch einzustufen. Aber Hauptthemen sind aktuell die Corona-Maßnahmen-Gegner und die Gefahren fortschreitender, radikaler Ausprägungen in diesem Bereich.

STANDARD: Wenn man sich den harten Kern anschaut: Von wie vielen Gefährdern sprechen wir?

Haijawi-Pirchner: Wenn man soziale Medien verfolgt, dann kennt man die obersten Rädelsführer in Österreich. Und unter diesen Gruppen gibt es Splitterpersonen, die sich absetzen und deren Aufträge ausführen: also Aufrufe zu Gewalttaten, zu Angriffen auf Polizeistationen. Und leider auch zu Waffenkäufen, um sich auf den "Tag X" vorzubereiten, wie wir das im Mai gesehen haben. Es sind einige, die hier zu beobachten sind.

STANDARD: Man spürt bei Demonstrationen, wie sich die Szene im Aufwind fühlt. Rechtsextreme dirigieren die Proteste zumeist. Bräuchte es hier stärkere Repression, um eine Signalwirkung an den harten Kern zu senden?

Haijawi-Pirchner: Es steht immer die Frage im Raum: Wieso schreitet die Polizei nicht ein, wenn da so viele Leute ohne Maske marschieren? Für uns zählt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wenn man mit Repression auf Repression antwortet, zu welcher Reaktion führt das beim Gegenüber? Man muss sich überlegen, was man füreinander eintauscht. Mit diesem Grundsatz versuchen wir, durch die Pandemie zu kommen.

STANDARD: Welche Rolle spielt die FPÖ bei der Radikalisierung? Sie organisiert die Demos mitunter führend, teilt sich die Bühne mit den angesprochenen Rädelsführern.

Haijawi-Pirchner: Die Personen, die wir hier unter Beobachtung haben, stehen nicht in einem politischen Umfeld. Der FPÖ konkret eine Rolle zuzuschreiben steht mir nicht zu.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, was so sensible Bereiche wie das Bundesheer oder die Sicherheitsbehörden selbst betrifft? Man weiß zumindest von Einzelpersonen, die an dieses Milieu andocken; Angehörige und ehemalige Angehörige des Bundesheeres oder des Verteidigungsministeriums bewegen sich in der Szene. Und auf Demos wurden immer wieder Gruppen gesichtet, die sich als Polizisten darstellen.

Haijawi-Pirchner: Wir sind in diesem Bereich natürlich tätig, weil wir es nicht akzeptieren können, dass sich Polizistinnen und Polizisten da engagieren. Ein Polizist hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit gewahrt bleibt. Sollten dahingehend dienstrechtliche Übertretungen festgestellt werden, kann es zu disziplinarrechtlichen Folgen kommen.

STANDARD: Eine dieser Personen ist ja Teil des Heeresnachrichtenamts.

Haijawi-Pirchner: Das ist definitiv heikel, weil die Dienste natürlich dazu da sind, die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Und wenn Mitarbeiter auf die andere Seite abgleiten, dann muss man die entsprechende Konsequenz rasch und mit voller Härte durchziehen.

STANDARD: Gibt es konkrete Konsequenzen?

Haijawi-Pirchner: Ich kann nur für den Bereich Innenministerium sprechen. Ich weiß, dass es in einem Bundesland einen Fall gegeben hat. Aber der konkrete Ausgang ist mir nicht bekannt.

STANDARD: Machen wir einen thematischen Sprung: Nach dem islamistischen Terroranschlag gab es viel Kritik am Verfassungsschutz. Vor allem deswegen, weil durch Kommunikations- und Vertrauensprobleme innerhalb der Behörden wichtige Hinweise im Vorfeld übersehen wurden. Wodurch wird ausgeschlossen, dass so etwas noch mal passiert?

Haijawi-Pirchner: Wir haben im Staatsschutz- und Nachrichtendienstgesetz dafür gesorgt, dass diese beiden Komponenten durch ein gemeinsames Informations- und Lagezentrum verbunden werden und dass dort schnellstens Info-Austausch gewährleistet ist. Mit den Landesämtern können wir künftig auf eine gemeinsame Analysedatenbank zugreifen. Somit sind die Empfehlungen aus dem Bericht der Zerbes-Untersuchungskommission umgesetzt. Aber wir müssen solche Extremisten im Vorfeld auch beobachten. Da sind wir aber in vielen Bereichen eingeschränkt: Wir wollen zwar alle keinen Überwachungsstaat, aber gerade im Bereich Terrorbekämpfung und schwere Kriminalität wäre es zielführend, wenn man soziale Medien von solchen Menschen gezielter überwachen könnte. Natürlich mit richterlicher Anordnung.

STANDARD: Aber der Zerbes-Bericht hat doch gezeigt, dass es nicht am Sammeln von Infos und Daten gescheitert ist, sondern an der Auswertung.

Haijawi-Pirchner: Was diesen Fall betrifft, gebe ich Ihnen recht. Deswegen gehen wir mit dem Thema Austausch künftig auch anders um. Aber im Gegensatz zum Untersuchungsbericht sehe ich es nicht so, dass ansonsten keine Verbesserungen notwendig wären. Eine völlige Garantie, dass man Anschläge verhindern kann, kann es aber natürlich nie geben.

STANDARD: Verfassungsschutz-Mitarbeiter haben im Zuge der Reform den Dienst quittiert, weil sie die nun verpflichtende Vertrauenswürdigkeitsprüfung nicht durchlaufen wollten oder nicht geschafft haben. Ist der Verfassungsschutz handlungsfähig?

Haijawi-Pirchner: Ja, manche Mitarbeiter mussten das Haus verlassen, weil die Vertrauenswürdigkeitsprüfung negativ erledigt wurde. Aber die in Medien kursierende Zahl von 25 Prozent aller Mitarbeiter, die den Dienst verlassen haben, weil sie die Prüfung nicht machen wollten, stimmt nicht. Wir sind laufend dabei, unsere Leute zu überprüfen. Das ist ein großer administrativer Aufwand.

STANDARD: Wann ist mit dem aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2020 zu rechnen?

Haijawi-Pirchner: Der Verfassungsschutzbericht wird nach Vorlage im zuständigen Ausschuss veröffentlicht. (Vanessa Gaigg, 13.12.2021)