Meister des Porträts: Georg Stefan Troller sprach in seinen Filmen mit etlichen Jahrhundertgrößen.

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Was haben die Boxerlegende Muhammad Ali, der Busen-Fetischist Russ Meyer und die Mystikerin Simone Weil gemeinsam? Ganz allgemein gesprochen vielleicht nicht mehr, als dass sie auf ihrem jeweiligen Gebiet unbeirrbar und damit unverfälscht geblieben sind. Die andere Antwort lautet, dass sie zu den vielen außergewöhnlichen Personen gehören, die einmal von Georg Stefan Troller porträtiert wurden.

Abenteurer, Überlebenskünstler, Außenseiter haben den Dokumentaristen, der heute seinen 100. Geburtstag feiert, stets angezogen. Listenreich nähert er sich diesen an, überrascht sie mit Fragen, die sie aus ihrer Festung locken, ohne dass sie es gleich bemerken; selbst wenn sie das grellste Rampenlicht der Popularität gewohnt sind.

Schnitzel bei Handke

Ein Beispiel: Seinen auch heute noch höchst sehenswerten Besuch beim 33-jährigen Peter Handke beginnt Troller mit dem Motiv der Glaswand, die den Dichter von seiner Umwelt (und seinen Lesern) trennt. Der Film zeige, sagt er im Off-Kommentar, wie Handke das Glas zerschlägt und Kontakt mit seinen Mitmenschen sucht. In Wahrheit handelt es sich natürlich um ein Pas de deux. Hier trafen sich zwei zum Austausch auf Augenhöhe.

Vor Trollers wohlwollendem Kameraauge paniert Handke, der damals alleinerziehender Vater war, Schnitzel für seine Tochter und leidet unter "Hausfrauenerschöpfung". Private Einblicke wie diese werden nahtlos neben Ausführungen über die Mühsal des Schreibens oder die Künstlichkeit des historischen Paris gestellt. Dennoch gewinnt man den Eindruck, Handke, der "nur zeigt, was in ihm selber vorgeht", hier so komplett wie selten erfahren zu können.

Reportage und Interview

Das Autorenporträt ist eine der bekanntesten Folgen der Personenbeschreibungen, mit denen Troller von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre hinein deutsche Fernsehgeschichte geschrieben hat. Davor profilierte er sich als Frankreich-Korrespondent des WDR mit dem Pariser Journal, mit dem er nicht nur Stars und Intellektuelle aus seiner Wahlheimat in deutsche Wohnzimmer brachte, sondern an einem größeren kosmopolitischen Feuilleton schrieb, wie man es im TV heute kaum noch findet.

Trollers betont subjektive Mischung aus Reportage und Interview war neu und ungewohnt, sie festigte sich allmählich zu einem eigenen Stil. Anders als in diesen Formaten üblich, wurde in seinen Filmen nicht über den O-Ton synchronisiert. Der versierte, oft ironische Kommentar, den er selbstverständlich selber einsprach, war seine Trademark. "Darauf bilde ich mir etwas ein – da war ich der Erste", sagt er in Ruth Riesers aktuellem Dokumentarfilm Auslegung der Wirklichkeit – Georg Stefan Troller über seine Methode.

Er ging sogar noch darüber hinaus. Manchmal nutzte er Direct-Cinema-Formen (Begegnung im Knast), das Porträt der 1943 gestorbenen Simone Weil legte er wiederum als Reenactment an, wie man es auch von Alexander Kluge kennt. Monica Bleibtreu spielt die Philosophin, welche die industrielle Arbeit moralisch überwinden will und dann auch für den Regisseur Rede und Antwort steht.

Vertreibung aus Wien

Dass Troller sich zu solchen zerrissenen Biografien besonders hingezogen fühlte, liegt an seiner eigenen Sozialisation. 1921 in Wien als Sohn einer bürgerlich-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, erfuhr er als Jugendlicher den Hass einer Gesellschaft, die sich in der rassistischen Ideologie verirrte. 1938 emigrierte er in die USA, um schließlich als Soldat zurückzukehren. Dass er sich später in Paris niedergelassen habe, erklärte er in Auslegung der Wirklichkeit lakonisch, habe mit seiner Liebe zu Edith Piaf zu tun gehabt, die er dann ausgerechnet bei ihrer x-ten Hochzeit interviewte.

Ein Riss blieb in ihm dennoch. Troller beschreibt das Emigrantendasein als Bürde, die er erst in der Begegnung mit anderen zu lindern lernte. Seine Arbeit – neben Filmen zahlreiche Bücher – bezeichnet er insofern als "Heilung über andere". In Riesers Film kommt er noch einmal auf seine Begegnung mit dem im Rollstuhl sitzenden Vietnam-Veteranen Ron Kovic zurück, der ihn mit seinem Willen zum Neuanfang beeindruckt hatte. Er habe gewusst, dass man den Menschen mit Liebe gegenübertreten muss, um etwas zurückzubekommen. Genau: Troller hat dies selbst stets getan. (Dominik Kamalzadeh, 10.12.2021)