"So, wie man Städte nicht mehr ohne Fahrrad fahrende und zu Fuß gehende Menschen planen darf, darf man privilegierten Männern, die Care-Arbeit bestenfalls vom Zuschauen kennen, nicht allein die Umverteilung von Ressourcen überlassen."
Gertraud Klemm im Gastkommentar
Illustration: Fatih Aydogdu

Nicht diese Töne!

von Paul Mychalewicz

In ihrem kürzlich erschienenen Kommentar der anderen nimmt Gertraud Klemm Sebastian Kurz und Gernot Blümel aufs Korn (siehe "Die Vaterschaftshostie", DER STANDARD, 4./5.12.2021). Sie hält den beiden (ehemaligen) Spitzenpolitikern vor, ihre neue Vaterrolle als Rücktrittsgrund zu missbrauchen. Nun ist es legitim, Fragen dieser Art aufzuwerfen und grundsätzliche Überlegungen über die wirtschaftliche Situation junger Familien anzuschließen. Was jedoch in höchstem Maß irritiert, ist die Häme, die sich durch den gesamten Text zieht. Die Formulierung bezüglich der Vaterschaft als der "Hostie, die lächelnd in die Kamera gehalten" werde, ist geschmacklos und entbehrlich.

Wenn eine Schriftstellerin in ihrem angestammten Metier bleibt, werden sich ihr die Literaturkritiker widmen. Begibt sie sich aber in die Arena der politischen Auseinandersetzungen, unterliegt sie den dortigen Spielregeln. Diese verlangen ein Minimum an grundgelegten Fakten, auf deren Basis sich dann ein Diskurs führen lässt. Nur Bashing auf bereits aus den Funktionen Geschiedene zu betreiben, ohne den geringsten Willen zu einer adäquaten inhaltlichen Beschäftigung mit dem angesprochenen Thema zu zeigen, ist gerade in unserer jetzigen politischen Situation wenig hilfreich.

Der Text reiht sich damit in eine lange Liste von Polemiken, die unser gesellschaftliches Leben seit einiger Zeit vergiften. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um das "argumentum ad hominem". In diese immer unerträglicher werdende Kakofonie stimmen elektronische wie auch gedruckte Medien in sich ständig überbietenden Kaskaden von Verbalinjurien ein. Man gewinnt den Eindruck, die Protagonisten sind nur noch am Applaus aus der eigenen Bubble interessiert, vorzugsweise wenn sie sich abseits ihrer bezahlten Tätigkeit noch auf Twitter begeben. Manche Journalisten des ORF haben diesbezüglich ein besonderes "Talent" entwickelt.

Verlassen wir doch diesen Teufelskreis! Beginnen wir doch endlich mit einem Abrüsten der Worte! Texte wie jener von Klemm gießen nur noch weiteres Öl ins Feuer. Das ist kein Aufruf zu einem Schluss der Debatte, sondern ein Plädoyer für einen wertschätzenden Umgang miteinander. Elegant und geschliffen formulieren kann man ja trotzdem. Es erfordert nur mehr Anstrengung.

Jüngste Wahrnehmungen geben Hoffnung. So wünscht der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig in einem Tweet – man kann dieses Medium ja auch verantwortungsvoll verwenden – dem neuen Bundeskanzler Karl Nehammer und den übrigen neuen Regierungsmitgliedern alles Gute und bietet eine gute Zusammenarbeit für die derzeitige Herausforderung der Pandemie an. Es steht zu hoffen, dass möglichst viele Akteure, gerade aus seinem politischen Umfeld, diese Zeilen auch lesen.

Der neue Regierungschef scheint die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt zu haben und ruft seinerseits zu einer Überwindung der Spaltung in unserem Land auf. Erfolg können die beiden Spitzenpolitiker aber nur haben, wenn wir der Verächtlichmachung der Andersdenken Einhalt gebieten. Alle sind aufgerufen, ihren Betrag zu leisten. (Paul Mychalewicz)

Lila-Freesien-Regen

von Susanne Nanut-Forgacs

Pointiert, treffsicher und mit geschliffener Feder bringt Klemm auf den Punkt, was in der österreichischen Politik danebengeht und -ging, mit hässlicher Fratze der Macht und unerträglicher Dummheit. Mit fast erstickter Stimme des Feminismus und der unendlichen Hoffnung auf Gleichberechtigung, die durch jahrelange konservative Männerpolitik immer noch nur hoffen lässt, mehr leider nicht.

Für Frau Klemm soll es lila Freesien regnen, die duften viel intensiver als rote Rosen! (Susanne Nanut-Forgacs)

Die Vaterschaftsentdecker

von Josef Christian Aigner

Als lange Jahre mit Vaterforschung Befasster wäre ich der Letzte, der die Bedeutung präsenter Väter einerseits, den Zauber, der von Kleinkindern ausgehen kann (erst recht nun als Opa!), andererseits geringschätzen würde. Dass den beiden türkisen Herren Kurz und Blümel das aber ausgerechnet jetzt einfällt, wo ihnen wohl weitere Chat-Inhalte und nun der (viel zu späte) Unwille der Altschwarzen zusetzen, scheint Frau Klemms Analyse zu bestätigen. Kurz hatte sich ja kürzlich noch klar gegen einen Papamonat für sich ausgesprochen, und Blümel entdeckt seine inbrünstige Neigung erst beim zweiten Kind: schon eigenartig! Müssen für diesen Typus Politiker auch die Neugeborenen schon herhalten, um ihr Image zu polieren? Fragen wir doch Andreas Khol, der würde sicher auch darin noch etwas Ehrbares entdecken. (Josef Christian Aigner, 10.12.2021)