Von "Plandemie" bis Weltverschwörung: Servus-Chef Ferdinand Wegscheider samt Maskottchen in seinem als Satire deklarierten TV-Wochenkommentar.

Foto: Servus TV / Marco Riebler

Freitagnachmittag ging eine Sachverhaltsdarstellung zu Der Wegscheider an die Medienbehörde Komm Austria. Die Behörde hat darauf zu achten, dass TV-Sender die für sie vorgesehenen Gesetze einhalten. Der Presseclub Concordia hat bei den Wochenkommentaren von Servus-TV-Chef Ferdinand Wegscheider so seine Zweifel.

1. Der Sach-Vorhalt

Das Gesetz verlangt von Privatsendern Objektivität, Meinungsvielfalt und, jedenfalls bei "Berichterstattung, "anerkannte journalistische Grundsätze" einzuhalten. Für Concordia-Generalsekretärin Daniela Kraus widerspricht diesen Prinzipien der "ungenaue, polemische und deshalb problematische Umgang mit der Corona-Pandemie" Wegscheiders. Kraus: "Unter dem Überbegriff der ,Plandemie‘ wird ein gesteuertes Vorgehen, also eine globale Verschwörung, nahegelegt; Wissenschaft wird als unglaubwürdig dargestellt." Polemik und Provokation untergrabe "die Glaubwürdigkeit und Seriosität von Journalismus".

Wenn Wegscheider Weltverschwörung wittert, klingt das etwa so: "Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren, und anzuweisen, gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen, und sogar Kleinkindern Rechte wegzunehmen, die wir bisher jedem Schwerverbrecher zugestanden haben?" In Frageform lässt es sich ungenierter raunen.

In der folgenden Ausgabe machte er sich über Faktenchecker lustig, als jene von Profil einige Aussagen über Corona-Maßnahmen als falsch oder teilweise unrichtig zerlegt hatten.

Bei Corona gehe es um Leben und Tod, betont Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell. Für ihn stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen für die Lizenz noch gegeben ist: "Wegscheider macht Quotenpolitik auf dem Rücken der Gesundheit der Menschen." Jeder Euro an Medienförderung für Servus TV sei unnütz: "Diese Art der Medienvielfalt braucht das Land in der Pandemie nicht. Das gefährdet Leben."

Studien zu Impfbereitschaft

Eine Studie am Wiener Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft kam zu dem Schluss, dass Seher von Wegscheider-Kommentaren eine geringere Impfbereitschaft aufweisen als jene, die sich Kommentare von Günther Mayr, Leiter der ORF-Wissenschaft, ansehen. Fazit der Studie, für die 843 Leute interviewt wurden: Je häufiger Wegscheider rezipiert wurde, desto geringer war die Impfbereitschaft. Die Befragung fand bereits Ende Dezember 2020 statt und die Studienautoren betonen, dass nicht untersucht wurde, ob Wegscheiders Kritik an der Impfung die Einstellung der Seher beeinflusse, oder ob sich nicht sowieso impfkritische Personen bei Servus TV und Wegscheider besser aufgehoben fühlen. "Es reicht, dass die Skeptiker hauptsächlich Servus TV schauen und dort ihre Bestätigung einholen", so Hausjell.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch das Austrian Corona Panel Project (ACPP) der Universität Wien: Corona-Verharmloser, Impfgegner und Gates-Verschwörer schauen besonders gerne Servus TV – der STANDARD berichtete.

2. Der Facebook-Turbo

440.000-mal wurde die Folge mit in Fragen verpackten Vermutungen auf Facebook abgerufen. Fragen nach einem "üblen Plan" über Impfpflicht für Pflegepersonal. Nach "direktem politische Druck des Regimes, Pardon, der Regierung auf die Ärzte". Und wissenschaftlich nicht haltbare Behauptungen einer "mangelhaft erprobten Substanz" zur Impfung.

Das sind mehr Aufrufe, als Menschen die erste Halbzeit von Red Bull Salzburg gegen den FC Sevilla auf Servus TV verfolgten.

Emotion, die Menschen auf- und zur Interaktion anregt und möglichst lange auf der Plattform hält, liebt der Facebook-Algorithmus. Hat, die Frage sei gestattet, Facebook womöglich den Servus-TV-Chef radikalisiert?

3. Mensch, Wegscheider

Das Glück der Klicks hatte der 61-jährige Jurist nicht mehr nötig, der sich "Schwurbler" nennt. Recht radikal erkämpfte sich der frühere ORF-Journalist und Privat-TV-Pionier eine Lizenz zum Senden. Gegen den ORF, gegen Behörden und Regierungspolitik aus dem fernen Wien. Ein prägender Kampf mit Beschlagnahmen und Hungerstreik in einem Container in der Salzburger Altstadt.

Salzburg TV überlebte dank Investoren, zuletzt Dietrich Mateschitz, der daraus 2009 Servus TV baute. Ohne Wegscheider, der wegen unterschiedlicher Auffassungen ausstieg, Bier braute und es eher glücklos mit dem nächsten Regionalsender Jedermann-TV versuchte.

2014 kam er zurück, seit 2016 führt er den Sender als "Intendant". Nun ohne wesentliche Auffassungsunterschiede mit der wichtigsten Zielgruppe des Senders: Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz.

4. Der Boss

Sagt Der Wegscheider, was Dietrich Mateschitz denkt? Nicht unbedingt: DM soll, so erzählt man sich beim Sender, dem Ferry Wegscheider schon vermittelt haben, dass er hier und da zu weit ging. Aber offenbar nicht zu weit für den Geschmack des Konzernbosses, der als Maß aller Dinge beim Sender gilt.

Für das Diskussionsformat Talk im Hangar-7 widerspricht Moderator Michael Fleischhacker entschieden einer inhaltlichen Agenda: "Unsere Agenda ist Diskussion. Im Unterschied zu vielen anderen kommen bei uns auch immer wieder impfkritische Stimmen zu Wort, ein Großteil der Gäste der vergangenen Monate war aber sicher pro Impfung." Und er widerspricht dem "oft geäußerten Verdacht, dass Mateschitz auf Servus TV ausschließlich zulässt, was genau seiner eigenen Meinung entspricht. Das ist einfach nur Quatsch. Qualität ist ihm immer wichtiger als die eigene Meinung, das unterscheidet ihn von vielen Herrenreitern des politischen Moralismus."

Kritiker versuchten "Aussagen aus einem Satireformat zur journalistischen Grundlinie eines Senders umzubiegen", sagt Fleischhacker. Talk und News zeigten, dass Wegscheider sie "von dem, was er als Intendant journalistisch ermöglicht, besser unterscheiden kann als viele seiner Kritiker".

Für Molekularbiologe und "Science Buster" Martin Moder indes entzieht sich Servus TV seiner journalistischen Verantwortung. "Es ist nicht die Aufgabe von Journalisten jede Meinung wiederzugeben, sondern Information fundiert einzuordnen und den seriösen Teil zu vermitteln." Alle zu Wort kommen zu lassen "klingt gut in den Ohren der Zuhörer, ist aber eine Umschreibung für ,Wir haben keine Lust zu recherchieren und zeigen lieber, was möglichst aufregt‘".

Unterschiedliche Corona-Realitäten

Konzernboss Mateschitz beklagte 2017 ein "Meinungsdiktat des politisch Korrekten". Entsprechend scheint Wegscheider den Sender zu positionieren. Mit dem Corona-Verharmloser Sukharit Bhakdi als Stammgast im Corona-Quartett, mehrfach eingeflogen mit Konzern-Privatjet, und Einladungspolitik zu Talk im Hangar-7. Mit Servus Nachrichten, die etwa ein sehr anderes Bild der jüngsten Corona-Demos in Wien zeichneten als die ZiB. Hier besonnene Demonstranten und "nur am Rande Auseinandersetzungen", dort Festnahmen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, durchbrochene Straßensperren, Pfefferspray und zwei verletzten Polizisten.

Von Sukharit Bhakdi distanzierte sich Servus TV erst, als dieser im Juli 2021 mit antisemitischen Äußerungen für Empörung sorgte. Zuvor wurde er von Mateschitz und Wegscheider monatelang hofiert und zwei mal von Wegscheider selbst interviewt. Die Wellenlänge passte. Kritische Fragen? Fehlanzeige! Martin Moder sagt dazu: "Es gibt keine Ausrede dafür, jemanden als Experten zu porträtieren, der die Pandemie nach der ersten kleinen Welle für beendet erklärt hat und entgegen aller Evidenz behauptet, Schutzmasken würden Kinder vergiften."

DER STANDARD

5. Quoten und Geld

Den Quoten der Servus Nachrichten bekommt der Kurs, Servus ist größter Privatsender beim Gesamtpublikum – mit 4,3 Prozent Marktanteil. Das Angriffsziel ORF 2 liegt mit 23,8 Prozent weit vorn, ORF 1 bei 9,5.

Marktanteile erkauft Servus TV aber vor allem mit Sport von Formel 1 bis Champions League sehr teuer. Ehemalige Manager veranschlagen die Kosten von Servus TV noch ohne sportliche Großeinkäufe um 100 Millionen Euro pro Jahr. Bei Werbebuchungen von 30 Millionen – nach offiziellen Tarifen. Die Republik förderte Servus 2020 mit 2,87 Millionen Euro und 2021 1,67 Millionen.

6. Die Innensicht

Wie geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Ordentlich bezahlt, gute Arbeitsbedingungen, einer beschreibt sie als "Blase der Happiness". Aber: "Viele sind bestürzt von den Aussagen Wegscheiders, einige ignorieren es", sagt ein Mitarbeiter von Servus TV. Manche kündigten, "unter anderem aus moralischen Gründen".

Kunden würden auch den Konzernvertrieb auf den Intendanten ansprechen, erzählt ein anderer Mitarbeiter. Ein Mitarbeiter mit Einblick in die Buchungslage berichtet von Storni mehrerer Werbekunden.

Für Verwunderung im Red-Bull-Konzern, positiv formuliert, sorgte etwa Wegscheiders 9/11-Verschwörungsschwurbelei anlässlich des 20. Jahrestages der Terroranschläge. Das Kontrastprogramm dazu lieferten die New York Red Bulls, die mehrtägige Charity- und Gedenkaktionen veranstalteten. Ein Konzern, mehrere Universen.

In der Sachverhaltsdarstellung an die Medienbehörde kritisiert der Presseclub Concordia anhand einiger Beispiele "faktenwidrige Äußerungen und Behauptungen", mit denen "die Öffentlichkeit verunsichert, beunruhigt, aufgestachelt und gespalten" werde und "die Glaubwürdigkeit von Politik, Wissenschaft und Medien untergraben". Auch Kommentare und Satire könnten Fakten nicht ignorieren. Idee von Satire ist, Fakten durch Übertreibung deutlich erkennbar zu machen.

7. Satire

Zwei Tage vor den Fragen nach der Weltverschwörung sah man Wegscheider, selbst genesen, im Brauchtumsformat Hoagascht. Wie erlebte der Senderchef Corona bisher, fragt ihn Co-Moderator Bertl Göttl beim Bier.

"’s ist schon eine schwierige Zeit", seufzt Wegscheider. "Auch wenn man mitkriegt, wie die G’schicht die Gesellschaft polarisiert und auseinanderbringt. Wenn die Politik dann auch noch husst, dann ist’s ganz schlimm. Dass die Leute so gegeneinand’, so auseinand’g’spielt werd’n." (Harald Fidler, Oliver Mark, 12.12.2021)