Afghanistan steht am Abgrund. Seit der Machtübernahme der militant islamistischen Taliban Mitte August hat sich die Lage weiter verschärft. Die Wirtschaft taumelt, zudem erlebt das Land eine schlimme Dürreperiode. Viele Menschen sehen keine Zukunft fernab rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards, sie flüchten. Besonders afghanische Frauen sind mehr denn je Opfer männlicher Gewalt.

Lange hat die EU gezögert zu reagieren. Jetzt haben 15 Staaten beschlossen, 40.000 geflüchtete Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Deutschland nimmt den Großteil auf. Es ist ein erstes internationales Aufzeigen der neuen Regierung.

Österreich hat zwar keine neue, aber eine stark veränderte Regierung mit einem neuen Bundeskanzler, Karl Nehammer. Auch Österreich hätte aufzeigen und verfolgte Frauen und Kinder nach Österreich bringen können. Die Regierung hätte damit gerade während der "16 Tage gegen Gewalt" zeigen können, dass ihr der Schutz von Frauen politisch wichtig ist. Man hätte so auch der aktuellen Kritik der Liga für Menschenrechte begegnen können. Die NGO nennt Österreichs Flüchtlingspolitik "eine Schande".

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Die Lage in Afghanistan verschärft sich weiter.
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Vielleicht hat man sich da aber auch nach den ersten, verbindlichen Auftritten Nehammers zu viel erwartet. Er war immerhin jener Innenminister, der die Abschiebung gut integrierter Schülerinnen bei Nacht und Nebel beinhart durchgezogen hat. Die Neubesetzung des Innenressorts mit Gerhard Karner, der sein politisches Handwerk beim einstigen ÖVP-Hardliner Ernst Strasser gelernt hat, lässt auch eher keine Korrektur des Kurz’schen Anti-Flüchtlings-Kurses erwarten. Außenminister Alexander Schallenberg hat schon beim Flüchtlingselend in Moria aus seiner Ablehnung gegenüber humanitären Gesten in der Flüchtlingspolitik kein Hehl gemacht. Immerhin haben die Grünen ja zuletzt sehr vehement und erfolgreich ihre Positionen durchgesetzt. Im Fall afghanischer Flüchtlinge tritt Vizekanzler Werner Kogler deutlich defensiver auf.

Abseits der humanitären Seite gibt es aber auch eine außenpolitische: Will Österreich in der EU als ernsthafter Player wahrgenommen werden, muss es sich in wichtigen Themen konstruktiv einbringen. Die Notwendigkeit, Geflüchtete besser zu verteilen, ist ein solches Thema. Einen sicheren Zugang in die EU zu schaffen und gleichzeitig ein selbstbewusstes Zeichen gegen autoritäre Regime zu setzen – das wäre ein starker Beginn für die erneuerte türkis-grüne Koalition gewesen. Es ist leider nur eine verpasste Chance daraus geworden. (Petra Stuiber, 10.12.2021)