Linz – "Was würden Sie sagen: Hat die österreichische Bundesregierung die Probleme des Landes im Großen und Ganzen im Griff oder ist das nicht der Fall?" Diese Frage legte das Linzer Marktforschungsinstitut Market vergangene Woche im Auftrag des STANDARD 800 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten (teilweise persönlich, teilweise online) vor. Und 72 Prozent antworteten eindeutig, dass die Regierung die Probleme eben nicht im Griff habe – nur 28 Prozent zeigen in dieser Frage Zuversicht.
Eine derartig schwache Einschätzung gab es zuletzt im Oktober 2016 für die Regierung Kern/Mitterlehner, damals stand es 28:71 mit einem Prozent Enthaltungen. Noch schlechter war es nur unter Faymann/Mitterlehner im März 2015 mit 20:80.
Market-Institutsleiter David Pfarrhofer erläutert: "Es ist nicht überraschend, wenn Zweifel an einer Regierung überwiegen, denn eine Koalition wird ja üblicherweise von einer nicht allzu breiten Mehrheit bei der jeweils vorigen Nationalratswahl getragen – und wenn dann ein Teil der Parteigänger der einen Regierungspartei von den Leistungen des jeweiligen Koalitionspartners nicht überzeugt ist und die Oppositionswähler generell die Regierung nicht mögen, dann kommt eine Mehrheit zur Ansicht, dass die Regierung die Lage nicht im Griff habe. Überraschend ist allerdings das Ausmaß."
Grünen-Wähler kritisieren Regierung
Derzeit meinen nämlich auch zwei Drittel der Grün-Wähler, dass die Regierung überfordert wäre, unter den ÖVP-Anhängern ist das Verhältnis umgekehrt – sie sind die einzige Bevölkerungsgruppe, die mehrheitlich (aber eben auch nur zu zwei Dritteln) Vertrauen in die Regierung setzt. Dabei hatte es noch im Frühsommer ganz gut ausgesehen, da war das Verhältnis 50:50, weil es schien, dass die Pandemie bewältig wäre, weil sich alle impfen lassen würden. Das passierte aber nicht. Bereits im August überwogen dann die Zweifler mit 56 zu 44 diejenigen, die der Regierung Problemlösungen zugetraut haben.
Gleichzeitig hat sich in den wöchentlichen Umfragen, die Market für die Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft durchführt, das Klima für die Regierung und speziell für die ÖVP eingetrübt. Deren Werte sanken kontinuierlich, während jene der FPÖ stiegen und die der SPÖ über viele Monate fast gleich geblieben sind.
Deswegen ist sich Market auch sicher, dass die Abstände von SPÖ zu ÖVP und FPÖ (26 Prozent, 24 Prozent und 22 Prozent) die derzeitige Lage ohne den Effekt von Wahlkämpfen sehr genau abbilden – der aus mehreren Umfragewellen ablesbare Trend legt nahe, dass auch die für den STANDARD durchgeführte Hochrechnung treffend ist.
Dazu kommen mehrere Begleitfragen zur Einschätzung von Regierung und Opposition: Da ist zunächst die allgemeine Benotung der Regierungsarbeit mit Schulnoten. Da kommt Türkis-Grün gerade noch auf einen Wert von 3,63, näher einem Genügend als einem Befriedigend. Im April 2020, mitten im ersten Lockdown, lag der Wert bei einem Gut (Durchschnittsnote 2,15).
Seinerzeit, also im April 2020, bekam die Regierung Kurz nur von zwei Prozent der Befragten einen Fünfer – inzwischen sind es 28 Prozent für die Regierung Nehammer, wobei die schlechtesten Bewertungen von Anhängern der Freiheitlichen kommen.
Schlechte Noten auch für die Opposition
DER STANDARD ließ weiter fragen, wie die Arbeit der Opposition insgesamt bewertet wird – da ist der Notenschnitt ähnlich schlecht wie bei der Bewertung der Regierung: 3,69 – wiederum erklärbar dadurch, dass Regierungsanhänger, aber auch Anhänger konkurrierender Oppositionsparteien mehrheitlich schlechte Noten geben.
Daher die Nachfrage, welche Oppositionspartei denn die beste Arbeit leiste. Da bekommt die SPÖ mit 29 Prozent die beste Bewertung vor den Neos (21) und der FPÖ (14). 13 Prozent sagen, dass alle drei Oppositionsparteien etwa gleich gute Arbeit machten.
Grüne dominieren die Regierung
Bei den Regierungsparteien ist deutlich, dass die ÖVP infolge ihrer personellen Krise und des zweimaligen Kanzlerwechsels nicht mehr als tonangebend angesehen wird.
Vor allem jüngere Befragte sehen die Grünen als die bessere Regierungspartei. Grünen-Wähler sehen ihre Partei in deutlich höherem Maße die Regierungsarbeit voranbringen, als das die ÖVP-Anhänger ihrer präferierten Partei attestieren.
Kann sich das ändern? Market-Wahlforscher Pfarrhofer verweist zunächst darauf, dass derzeit viel Aufmerksamkeit von der Pandemiebekämpfung beherrscht wird – und dass nach einem Wahlkampf vieles anders aussehen kann. Zudem sei Bundeskanzler Karl Nehammer noch viel zu kurz im Amt, um von den Wahlberechtigten letztgültig eingeschätzt werden zu können.
Allerdings meinen 70 Prozent der Befragten, dass unter Nehammer "im Wesentlichen alles so weiterlaufen wird wie bisher", nur 16 Prozent glauben, dass sich Österreich anders entwickeln wird als bisher.
Was aber – entsprechend vielen medialen Kommentierungen und dem Framing durch die Oppositionsparteien – angenommen wird: Nehammer gilt als Politiker, der in seiner Politik eingeschränkt ist, weil er von den ÖVP-Landeshauptleuten und den ÖVP-Bünden abhängig sei. Das sagen 65 Prozent, nur 17 Prozent meinen, er könne eigenständig die ÖVP-Politik prägen. (Conrad Seidl, 13.12.2021)