Lang schien es, als käme die Justiz gar nicht mehr zur Ruhe. Politiker warfen Staatsanwälten Parteilichkeit vor, Staatsanwälte beklagten sich über politische Einflussnahme. Zuletzt sorgte die Rechtsschutzbeauftragte Gabriele Aicher mit scharfer Kritik an der Korruptionsstaatsanwaltschaft für Aufsehen.

Geht es nach Elisabeth Lovrek, der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), sollte nun Ruhe einkehren. Von der Politik wünscht sie sich eine konstruktive Debatte.

Elisabeth Lovrek ist seit 2018 Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, der letzten Instanz für Zivil- und Strafverfahren.
Foto: Peter Berger

STANDARD: Frau Lovrek, Sie haben in einer Aussendung klargestellt, dass die Rechtsschutzbeauftragte kein OGH-Organ ist. Warum war diese Klarstellung aus Ihrer Sicht notwendig?

Lovrek: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Öffentlichkeit genau unterscheiden kann, welche Organe der Republik wofür zuständig sind. Die Rechtsschutzbeauftragte ist dem Justizministerium zugeordnet und hat beim OGH nur ihr Sekretariat. Auch über ihre Beschwerde entscheidet nicht der OGH, sondern das Oberlandesgericht.

STANDARD: Wollten Sie sich nicht auch inhaltlich von ihr distanzieren?

Lovrek: Nein, dem OGH ging es nur um die erwähnte Klarstellung.

STANDARD: Es hat sich herausgestellt, dass die Aussendung von Aicher von einer Anwaltskanzlei mitverfasst wurde, die im Verfahren involviert ist.

Lovrek: Aus Sicht der Kanzlei ist das natürlich eine geschickte PR-Maßnahme. Litigation-PR ist selbstverständlich zulässig. Jeder Beschuldigte kann sich zu seiner Verteidigung eines Vertreters bedienen, private Rechtsgutachten in Auftrag geben, Agenturen beschäftigen, Presseaussendungen verfassen lassen oder eben auch Presseaussendungen Dritter mitgestalten – vorausgesetzt natürlich, der Dritte spielt mit.

STANDARD: Sollte Aicher zurücktreten?

Lovrek: Öffentliche Rücktritts- oder auch Nichtrücktrittsempfehlungen eines Justizorgans an ein anderes halte ich für verfehlt.

STANDARD: Den Rücktritt haben etwa Vertreter des Korruptionsvolksbegehrens gefordert. Werden Sie das Volksbegehren unterschreiben?

Lovrek: Das habe ich schon unterschrieben.

STANDARD: Wenig später ist dieselbe Anwaltskanzlei wieder aufgefallen. Eine Staatsanwältin ist dorthin gewechselt und hat daraufhin die Justiz stark kritisiert.

Lovrek: Wir leben in einem Land mit Erwerbsfreiheit, da ist ein Jobwechsel natürlich zulässig. Dass man den Arbeitgeber trotz bewilligter Karenzierung medial kritisiert, ist eine andere Sache.

STANDARD: Braucht es schärfere Regelungen?

Lovrek: Ich glaube nicht, dass es verschärfte Regelungen braucht, weil die Amtsverschwiegenheit natürlich weiterhin für alles gilt, was die betroffene Staatsanwältin in der Vergangenheit erfahren hat. Für diskussionswürdig halte ich im konkreten Fall die Karenzierung, die ein Rückkehrrecht in die Justiz gewährt.

STANDARD: Wo liegt die Grenze zwischen zulässiger Kritik und verwerflichen Angriffen auf die Justiz?

Lovrek: Inhaltliche Kritik ist immer zulässig, und zwar unabhängig davon, ob sie berechtigt oder unberechtigt ist. Der offene Diskurs ist die Basis der Demokratie. Ich habe in der ganzen Diskussion des letzten Jahres aber nahezu keine inhaltliche Kritik, ja überhaupt sehr wenig inhaltliche Aussagen gehört. Es ging im Kern immer nur um den pauschalen Vorwurf der parteipolitisch gefärbten Voreingenommenheit einer gesamten Staatsanwaltschaft. Das ist eigentlich der schlimmste Vorwurf, den man einem Staatsanwalt oder einem Richter machen kann.

STANDARD: Hat sich die Situation in den letzten Wochen und Monaten verbessert?

Lovrek: Ich habe den Eindruck, dass sich die Lage ein bisschen beruhigt hat. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass sich alle auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen. Richter müssen Entscheidungen treffen, Staatsanwälte objektiv ermitteln, und zwar ohne Zurufe aus der Politik. Und Politiker müssen Politik zum Wohle des Landes machen. Die Auseinandersetzung zwischen der demokratischen Mehrheit und der Opposition sollte nicht über die Bande der Justiz gespielt werden, sondern im Parlament stattfinden.

STANDARD: Litigation-PR spielt eine zunehmend große Rolle, braucht es eigene Ausbildungen für Richter und Staatsanwälte?

Lovrek: Ich glaube, dass wir schon jetzt sehr professionell damit umgehen. Das ist unser täglich Brot. Die Ausbildung in der Justiz hat sich da massiv verbessert. Die Anwärter werden in Soft Skills unterrichtet und üben Konfliktsituationen.

STANDARD: Seit Clemens Jabloner vor einem stillen Tod der Justiz gewarnt hat, hat es laufend Budgeterhöhungen gegeben, auch dieses Jahr. Reicht das aus Ihrer Sicht?

Lovrek: Ohne Clemens Jabloner wären wir heute nicht da, wo wir sind. Er hat in einer wirklich sehr schwierigen Situation etwas in Bewegung gesetzt. Momentan ist die Lage ganz gut. Bis 2022 ist das Budget gesichert. Was 2023 ist, steht noch in den Sternen. Wir sind auf keinem schlechten Weg, aber das sollte unbedingt so bleiben.

STANDARD: Hat sich im Gerichtsbetrieb trotz Pandemie mittlerweile wieder Normalität eingestellt?

Lovrek: Der Betrieb funktioniert seit dem Schock im ersten Lockdown eigentlich sehr gut. Richter sind voll digitalisiert, immer mehr Kanzleipersonal kann auf den digitalen Akt zurückgreifen. Dort, wo das nicht möglich ist, war es im Homeoffice natürlich schwierig. Organisatorisch ist die Pandemie herausfordernd. So besteht wegen der Abstandsregeln etwa mehr Bedarf an größeren Verhandlungssälen.

STANDARD: Die Möglichkeit digitaler Prozesse soll auch nach der Pandemie bleiben. Eine gute Idee?

Lovrek: Für bestimmte Fälle ist eine Videoverhandlung sicher sehr sinnvoll. Funktionierende Technik ist aber die Grundvoraussetzung. Für Verhandlungen mit vielen Beteiligten und Zeugen eignet sich der Verhandlungssaal besser.

STANDARD: Es fällt auf, dass der Gerichtshof in Covid-Fragen relativ schnell urteilt. Versuchen Sie, derartige Verfahren zu bevorzugen?

Lovrek: Natürlich haben wir eine gewisse Priorisierung vorgenommen. Wir wollten schnell Klarheit schaffen, etwa im Arbeitsrecht oder bei den Mietzinsminderungen. (Jakob Pflügl, 13.12.2021)