Die rechte und die linke Hand des Sepp: Schellhorn (Mi.) mit den Küchenchefs Luc Liebster (li.) und Jakob Wieland.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Sepp Schellhorn kennt man als mitreißenden (Ex-)Politiker, als begnadeten Wirt und Hotelier – und aus deutschen Kochshows. Der Multigastronom und Grobmotoriker des guten Essens (Selbsteinschätzung) hatte die vergangenen Jahre mit René Leitgeb einen ebenso treuen wie verlässlichen Chef de Cuisine im von zeitgenössischer Kunst durchwirkten Stammhaus in Goldegg. Jetzt aber stand ein Generationswechsel an, zuerst einmal in der Küche.

Es spricht für Schellhorns Fähigkeit, sich selbst total infrage zu stellen, dass er nach dem Abgang seines Wörther-Mitschülers Leitgeb einem ganz jungen Team Raum zur Entfaltung gibt. Jakob Wieland (28) war schon Souschef unter Leitgeb und kehrt nach ein paar Jahren im Steirereck zurück ins Salzburgische. Mit im Schlepptau hat er mit dem 24-jährigen Luc Liebster einen Zürcher, der auch schon sehr ordentlich in die Reitbauer-Schule gehen durfte. Die Zwei teilen sich die Küchenchef-Position und zeigen mit ihrer täglich neuen Karte, dass Hochküche auch ganz unmittelbar sein kann – und wie schnell sich der Stil eines Hauses weiterdrehen und dabei sogar noch dessen DNA stärken lässt.

Als Gast merkt man das gleich einmal beim Brot. Während andere, durchaus hochgelobte Alpen-Hütten sich ihre Laibe längst ohne Genierer von Öfferl aus Wien ankarren lassen, wird der Sauerteig im Seehof selbst angesetzt und richtig fantastisches Kamut-Brot gebacken. Dazu gibt’s nur Butter und ein bissl Radieschen, wahnsinnig gut, danke für die Lektion.

Bei täglich wechselnden Menüs darf man sich glücklich schätzen, wenn der Fischgang einmal Amur-Karpfen (Gut Dornau, woher sonst) ist. Da zeigen Wieland und Liebster, dass sie im Karpfen-Himmel Steirereck am Poissonnier-Posten werkten und genau aufgepasst haben, wie sich dieser oft geschmähte Friedfisch in eine große Delikatesse verwandeln lässt. Dank Y-Schnitt grätenfrei und nicht geschröpft, auf der Haut zu edler, vor Saft strotzender Knusprigkeit gebraten: So entwickelt der Amur eine Kraft und Reinheit, die einen innehalten lässt.

Aufs Gemüse zentriert

Amurkarpfen mit gegrilltem Zuckermais und Chicorée.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Viel nobler kann es selbst großer Steinbutt nicht – dabei lässt sich der weiß Gott nicht so nachhaltig züchten wie der Vegetarier aus dem Teich. Wieland und Liebster kombinieren dazu gegrillte Chicorée und Zuckermais: rauchig, bitter, fruchtig und süß, die Beurre blanc mit fermentierter Marille schiebt mit Säure und Umami an – richtig nah an der Perfektion.

Erdäpfel-Sellerie-Gratin mit Roggenmiso und Zwiebeln von der À-la-carte-Seite des Menüs ist nicht minder großes, ganz aufs Gemüse zentriertes Essen: Zwischen bissfest und schmelzig changierende Schichten bekommen einerseits knackige, anderseits unendlich süße Zwiebelchen aufdrapiert, dazu wird eine Sauce aus malzig karamelligem Cironé-Käse (der mit den Maden, also doch nicht ganz veggie) und Schnittlauch Öl gelöffelt.

Kalbshirn mit Kürbis und Sanddorn ist so zart gewebt, dass es alles Animalische zu verleugnen scheint. Die intuitive Verbindung aus süßem Kürbis und kantig saurer Sanddorn-Creme ist großartig. Angesichts solch fantastischer Gemüseküche ist es bloß konsequent, dass der Lappen vom Kalbshirn "nur" in purer, cremiger Konsistenz aufgeht.

Einstweilen scheint noch nicht alles gleich souverän in der Ausführung. Die Kombination aus kurz gebratenem Rücken und Geschmortem vom Tauernlamm etwa wirkt vergleichsweise brav gestrickt und sehr erbonkeltauglich aufs Protein konzentriert. Angesichts der jungen Jahre dieses Teams aber sind das marginale Unsicherheiten. Sie können der guten Nachricht nicht im Weg stehen, dass sich in Goldegg gerade ein Ort des aufregend guten Essens herausbildet. (Severin Corti, RONDO, 17.12.2021)

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