Eine Forscherin am CeMM in Wien an den Sequenziergeräten. Es ist zu erwarten, dass die Zahl der sequenzierten Omikron-Proben in den nächsten Tagen auch in Österreich sprunghaft ansteigen wird.

APA / Roland Schlager

Vor gerade einmal drei Wochen war die Virusvariante noch völlig unbekannt. Doch dank des vorbildlichen Handelns südafrikanischer Experten wurde die Weltöffentlichkeit schnell auf die über 50 Mutationen von B.1.1.529 und seine vermutlich extrem hohe Infektiosität aufmerksam gemacht. Auch die WHO reagierte umgehend, stufte die Variante nach wenigen Tagen als "besorgniserregend" ein und gab ihr den Namen Omikron. Nach und nach wird nun klarer, was es mit der neuen Mutante auf sich hat, die – und das lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen – in den nächsten Tagen und Wochen auch in unseren Breiten das Infektionsgeschehen dominieren und für eine weitere Infektionswelle sorgen wird.

Frage: Lässt sich abschätzen, wie schnell sich die Virusvariante Omikron in Europa durchsetzen kann?

Antwort: Das wird je nach Land unterschiedlich schnell gehen. In Dänemark und womöglich auch in Großbritannien wird Omikron vermutlich noch diese Woche mehr als die Hälfte der neuen Infektionsfälle ausmachen. In Dänemark hat man die vermutlich beste Übersicht, weil dort sowohl am meisten getestet wie auch sequenziert wird:

Die Zuwachsraten, die Omikron in Dänemark pro Tag verzeichnete, gab es bei Alpha noch pro Woche. In Ländern wie Österreich, wo die Zahl der Infektionen mit der neuen Variante noch relativ niedrig sein dürfte, wird es wohl noch etwas länger dauern. Doch so gut wie alle Expertinnen und Experten rechnen damit, dass es auch in Österreich im Jänner so weit sein wird.

Frage: Was sind die Gründe dafür, dass sich Omikron zuerst in Südafrika durchsetzte und nun wohl auch in Europa nicht aufzuhalten ist?

Antwort: Das liegt an der höheren Infektiosität. Die genauen Gründe dafür sind aber noch nicht ganz klar. Wissenschafter gehen zum einen davon aus, dass die Virenlast bei Omikron noch größer sein dürfte als bei Delta. Zum anderen bieten überstandene Infektionen und Impfungen einen weniger guten Schutz gegen diese Mutante, die allein im Spike-Protein, an dem die Impfungen ansetzen, mehr als 30 Mutationen aufweist. Sprich: Omikron ist stärker immunevasiv als etwa Delta. Das zeigte sich zuerst in Südafrika, wo insbesondere auch in der betroffenen Region Gauteng viele Neuinfizierte von früheren Infektionen genesen waren. Neue Daten aus Israel, Großbritannien und Dänemark bestätigen diese Vermutungen.

Frage: Lässt sich sagen, wie sehr der Immunschutz durch Omikron herabgesetzt ist?

Antwort: Beginnen wir bei den Genesenen. Hier zeigen epidemiologische Zahlen eines neuen Preprints aus Südafrika eine Verdopplung bis Verdreifachung des Risikos, sich mit dieser Variante trotz überstandener Infektion anzustecken. Neue Daten aus Großbritannien gehen sogar von einem drei- bis achtfachen Risiko aus. In diese Richtung deutet auch eine neue Studie der Med-Uni Innsbruck, bei der Seren von Genesenen im Labor auf ihre Schutzwirkung getestet wurden und für Omikron einen extrem starken Abfall der Neutralisationsaktivität ermittelten. Aufgrund des nicht so explosionsartigen Anstiegs von Infizierten in südafrikanischen Krankenhäusern besteht aber die Hoffnung, dass frühere Infektionen weiterhin vor schweren Verläufen schützen.

Frage: Und was ist mit den Impfungen? Wie sehr verlieren diese ihre Schutzwirkung?

Antwort: Hier sieht es laut den von den Forscherinnen und Forscher um Annika Rössler (Med-Uni Innsbruck) ermittelten Labordaten, die vor wenigen Tagen in einem Preprint veröffentlicht wurden, ganz ähnlich aus: Bei nur zwei Impfungen hilft eine Kreuzimpfung mit einem Vektor- und einem mRNA-Impfstoff noch am besten:

Der Rückgang der Neutralisierungsaktivität je nach Impfungen (obere Zeile) und nach Infektion (untere Zeile). Den besten Schutz bietet Infektion plus Impfung (rechts unten).
Grafik: Rössler et al., MedRxiv 2021

Bei zwei Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff dürfte die Neutralisationsaktivität etwa um das Vierzigfache absinken, wie bereits letzte Woche ein deutsches Team um Sandra Ciesek ermittelte. Das bedeutet zwar keine Vervierzigfachung des Infektionsrisikos, dürfte aber den Schutz vor symptomatischen Infektionen auf 35 Prozent drücken, wie vorläufige britische Daten ergaben. (Zum Vergleich: Bei Delta liegt dieser Schutz, abhängig vom Zeitabstand, bei rund 60 Prozent.)

Frage: Und was ist mit dem Schutz durch die Booster-Impfungen?

Antwort: Booster-Impfungen werden nun von den Gesundheitsbehörden vieler Länder ganz dringend angeraten. Denn die Labordaten, etwa von Biontech/Pfizer, ergaben, dass eine Booster-Impfung den extrem reduzierten Schutz wieder um das 25-Fache anhebt. Laut den vorläufigen britischen Daten dürfte damit der Schutz vor symptomatischen Erkrankungen durch Omikron immerhin bei 75 Prozent liegen. Bei Delta ist dieser Schutz im Vergleich dazu – jedenfalls kurz nach der dritten Impfung – noch deutlich höher und dürfte sich bei etwa 95 Prozent bewegen.

Allerdings kann es auch bei Booster-Impfungen zu Infektionen kommen, wie diese südafrikanische Studie zeigt. Eine für Omikron adaptierte mRNA-Impfung wird es wohl frühestens erst im Frühjahr 2022 geben. Biontech/Pfizer sowie Moderna arbeiten daran.

Frage: Lässt sich schon etwas über die Schwere der Verläufe bei Omikron sagen?

Antwort: Nein, leider existieren dazu immer noch keine eindeutigen Zahlen, weil es noch sehr früh ist. Aus Südafrika gibt es einerseits die erfreulichen Informationen, dass die Zahl der Covid-Patienten relativ stabil ist und auch die Zahl der CoV-Toten bis jetzt kaum anstieg. Das könnte andererseits aber auch daran liegen, dass die meisten Menschen dort bereits eine Infektion überstanden haben. Außerdem sind in Südafrika nur sechs Prozent der Menschen über 65 Jahre alt. Man wird also die Entwicklung in Ländern wie Israel, Großbritannien und Dänemark abwarten müssen, um hier mehr Aufschlüsse zu erhalten. Auch die der erste britische Omikron-Todesfall und die ersten im Spital behandelten Omikron-Patienten geben noch keine Aufschlüsse.

Frage: Warum hat man in vielen dieser Länder in den letzten Tagen wieder auf strengere Maßnahmen umgeschwenkt?

Antwort: Die große und realistische Befürchtung ist, dass die Infektionszahlen wieder exponentiell ansteigen werden, wenn Omikron Delta erst vollständig verdrängt haben wird. Selbst wenn diese Variante für weniger schwere Verläufe als Delta sorgen sollte, was die große Hoffnung ist, könnten sich durch die viel höheren Infektionszahlen dennoch Versorgungsprobleme im Gesundheitssystem einstellen. Durch die verschärften Quarantänebestimmungen und entsprechenden Personalausfälle könnten aber auch andere Teile der Infrastruktur betroffen sein. Das Gute ist, dass alle bekannten Vorsichtsmaßnahmen auch gegen Omikron helfen. Das Schlechte ist, dass sie es wegen der höheren Infektiosität deutlich schlechter tun. (Klaus Taschwer, 13.12.2021)