So sieht Streaming beim großen Mutterschiff aus – Canal+ France.

Foto: Screenshot Canal+ fr

Wien – A1 und die internationale Streaminggruppe Canal+ wollen im März 2022 eine Streamingplattform für Österreich starten – auf Augenhöhe mit Netflix, Amazon Prime und Co. Der Telekomkonzern und die Tochter des französischen Medienriesen Vivendi rechnen mit einer Verdoppelung der Streaming-Abos in Österreich in den nächsten Jahren.

Was A1 und Canal+ in Österreich gemeinsam vorhaben, erklärten der Managing Director von Canal+ Austria, Martijn van Hout, und Matthias Lorenz, Senior Director Transformation, Market & Corporate Functions bei A1 Österreich, im STANDARD-Interview.

"Ein Telekomkonzernmarktführer und das größte Medienhaus in Europa setzen sich nicht für eine solche Übung zusammen, um dann mit der Nummer 15 vom Feld zu gehen", sagt Lorenz da. Und: "Das Ziel ist mittelfristig ein Angebot, das es aufs Treppchen schafft, also Top drei." Gelingen soll das mit einem vor allem europäischen Angebot gegen die US-Riesen.

Canal+ hält 51 Prozent am Gemeinschaftsunternehmen Canal+ Austria, A1 die übrigen 49 Prozent. In Österreich beginnt die Kooperation, aber sie soll sich – so klingt es doch recht deutlich durch – in den übrigen A1-Märkten fortsetzen.

"Wir werden anders sein müssen als die Netflixes und Amazons"

STANDARD: Was ist die Idee hinter dem Gemeinschaftsunternehmen Canal+ Austria?

Van Hout: Ziel ist eine Content-Offensive für den österreichischen Markt. Wir beobachten, schon vor Corona, einen Streamingboom und eine Zahlungsbereitschaft dafür. Und da sehen wir eine Marktchance.

Lorenz: Streaming, Video im weiteren Sinne ist heute die Hauptanwendung im Netz. Mit Corona sieht man das noch deutlicher, Nutzungsspitzen sind von 19 Uhr auf 14 Uhr gewandert. Da wundert man sich nicht, wenn man Homeschooling mit einem skeptischen Unterton ausgesprochen wird. Streaming wächst, auch in Österreich, aber wir sind im internationalen Vergleich von den Penetrationsraten her im untersten Drittel. Wir sind von drei, vier, fünf Abos pro Haushalt wie in Amerika noch weit entfernt. Streaming ist also aus unserer Sicht das einzige wachsende Mediensegment. Wir haben uns lange überlegt, wie man an dem Markt teilhaben kann. Und wir glauben an eine europäische Lösung, ein europäisches Angebot.

Martijn van Hout (Canal+ Austria): "A1 ist natürlich eine gewaltige Kraft in Österreich."
Foto: Canal+ Patricia Weisskirchner

STANDARD: Und da haben sich A1 und Canal+ gefunden.

Van Hout: Wir haben in Österreich mit HD Austria schon einen Vertrieb aufgebaut, aber A1 ist natürlich eine gewaltige Kraft in Österreich, um Millionen Kunden zu erreichen.

Lorenz: Wir sind eine Macht, eine Kraft in Österreich. Und wir haben geschaut: Wem trauen wir auf einem europäischen Level zu zu produzieren und zu skalieren, auch über Österreich hinaus? Da gibt es nicht viele Unternehmen. Die Vivendi-Gruppe ist mit Canal+ und Studio Canal der größte Partner im Markt, der einzige, der regelmäßig auch in Bereichen jenseits der 60 Millionen US-Dollar produziert. Und der produzieren kann, was man braucht, um so ein Streamingangebot auf die Beine zu stellen. Der genug Markt-Know-how hat, um ein solches Produkt über mehrere europäische Märkte zusammenzusetzen. Ein solches Angebot kann nur funktionieren, wenn es auch skaliert wird.

STANDARD: Das bedeutet, die Partnerschaft reicht über Österreich hinaus in die übrigen A1-Märkte, also Bulgarien, Kroatien, Weißrussland, Slowenien, Republik Serbien, Nordmazedonien?

Lorenz: Ich sage da nicht Nein. Wenn es in Österreich erfolgreich ist, sieht der Vertrag ein solches Potenzial vor. Schauen Sie sich die Märkte von Canal+ und von A1 auf der Karte an. Bis auf Österreich gibt es keine Überlappungen. Das zeigt, was theoretisch möglich wäre, wenn man es erfolgreich zu einem Ende bringt. Aber wir starten in Österreich.

STANDARD: A1 now gibt es ja schon eine Weile. War bisher die Überlegung: Wir bekommen das schon allein hin mit dem Bewegtbild?

Lorenz: A1 now gibt es seit dreieinhalb Jahren, das ist ein TV-Sender. Das war unser erster Versuch in dem Bereich, und der hat auch ganz gut funktioniert. Aber das ist von der Skalierung her ein völlig anderes Produkt. Im Kern war das ein linearer TV-Sender. Jetzt geht es im Kern darum, ein echtes Streamingangebot zu bauen mit einer ganz anderen Größe, auch einer ganz anderen finanziellen Last in der Anfangsfinanzierung. Und ein Produkt, das auf Augenhöhe mit Amerikanern mitspielen kann. Ich glaube nicht, dass man das für einen Neun-Millionen-Markt allein bauen kann.

STANDARD: Was kann man denn nun erwarten als Userin oder User von Canal+ Austria? Und wann kommt es?

Van Hout: Wir wollen gegen Ende März 2022 starten. Wir sind schon tief in den Vorbereitungen, bauen gerade ein neues Team in Wien auf. Und was kann man erwarten? Ein Streamingangebot mit Serien, Filmen, Eigenproduktionen und den Canal+-Originals. Das bringt eine ganz andere Größe. Studio Canal produziert mit acht Produktionsfirmen weltweit. Wir planen schon die ersten Eigenproduktionen, die wir in Österreich ausspielen können.

STANDARD: Was wird das denn?

Van Hout: Europäische Produktionen, die teilweise auch in Österreich gedreht werden. Und A1 hat gute Formate aufgebaut, die teilweise weitergeführt werden. Das Recherche- und Erklärformat "Was geht?" zum Beispiel oder das Musikmagazin "Aux".

STANDARD: Und die europäischen Eigenproduktionen?

Van Hout: Serien sind interessant und wichtig als Ankerpunkte für einen solchen Streamingservice. Ich kann ein Beispiel nennen: "Planet Single", eine Romantic Comedy, die wir gemeinsam mit Canal+ Polska produziert haben. Sie spielt in Wien, in Prag, in Amsterdam, in Warschau.

Lorenz: Logisches Ziel ist, anders als amerikanische Mitbewerber stärker europäische Inhalte zu spielen. Wir wollen die Zielgruppe erweitern vom jugendlichen Publikum, an das sich A1now richtet, bis in Altersgruppen von 55. Wir bauen ein Angebot, das nicht in den direkten Wettbewerb mit den Amerikanern geht, sondern das man dazubucht. Wir sehen auch in anderen Märkten, dass Haushalte nicht ein Streamingangebot nutzen, sondern eher zwei oder drei.

Van Hout: Wir werden anders sein müssen als die Netflixes und Amazons und uns auch entsprechend anders aufstellen. Wir erzählen Geschichten eher aus der europäischen Tradition, mit Relevanz in Österreich und für Österreich. Canal+ hat seinen eigenen Stil.

STANDARD: Anfang 2020 soll es in Österreich rund drei Millionen Streaming-Abos gegeben haben, und da lag Netflix vor Amazon und vor Disney+. Wie viele Haushalte haben eigentlich noch kein Streaming-Abo?

Lorenz: Um drei Millionen dürften es sein, und auch die Reihenfolge entspricht etwa dem, was wir im Netz messen. Man müsste Sky in den modernen Formaten noch dazunehmen, und ein bisschen Dazn. Wir gehen davon aus, dass eine Verdoppelung der Streaming-Abos in Österreich möglich sein sollte in den nächsten zwei bis vier Jahren.

STANDARD: Im Gesamtmarkt?

Van Hout: Wir gehen dann von zwei bis zweieinhalb Streaming-Abos pro Haushalt in Österreich aus.

Matthias Lorenz (A1): "Ich würde davon ausgehen, dass locker die Hälfte der Haushalte noch keine Streaming-Abos hat."
Foto: A1

STANDARD: Wie viele haben bisher gar kein Streaming-Abo?

Lorenz: Ich würde davon ausgehen, dass locker die Hälfte der Haushalte noch keine Streaming-Abos hat. Bei Amazon Prime muss man ein bisschen vorsichtig sein – ob da auch alle das Videoangebot nutzen, sehe ich nach unseren Daten skeptisch.

Van Hout: Wir haben zwei Zielgruppen: einerseits die erste, relativ junge Generation von Streamingnutzern, die das lineare Fernsehen kaum noch nutzt. Denen wollen wir ein attraktives Angebot neben Netflix bieten. Aber wir wollen auch die Zielgruppe jener mit passenden Inhalten abholen, die noch sehr viel fernsehen.

Lorenz: Das ist die Gruppe, die schon den Sieben-Tage-Abruf von Fernsehinhalten nutzt. Diese 35- bis 55-Jährigen kann man auch für Streaming erschließen, und das haben wir vor.

STANDARD: Dann können wir uns schön langsam um das lineare Fernsehen sorgen.

Lorenz: Wir tun ja immer ein bisschen so, als würde Fernsehen aussterben, aber das ist ja nicht so. Wir sehen, dass der Konsum weiter da ist. Streaming kam eher on top und hat kaum das Fernsehen verdrängt. Aber natürlich gibt es die junge Zielgruppe bis 30 oder eher bis 25, für die Streaming ein echter Fernsehersatz ist. In Studentenvierteln kann man das 1:1 in der Datennutzung nachvollziehen. Da sehen Sie, wie das im Netz anzieht und Fernsehen nach unten geht.

STANDARD: Und wie viele Canal+-Abos haben Sie sich vorgenommen in, sagen wir, den ersten drei Jahren? Was ist das Ziel?

Van Hout: Wir wollen relevant sein.

STANDARD: Geht es ein bisschen konkreter?

Lorenz: Wir sind beide Kapitalgesellschaften, da können wir keine konkreten Zahlen sagen. Ein Telekomkonzernmarktführer und das größte Medienhaus in Europa setzen sich nicht für eine solche Übung zusammen, um dann mit der Nummer 15 vom Feld zu gehen. Da hätte ich ein Erklärungsproblem bei mir im Board. Und Martin van Hout wird es ähnlich gehen. Sagen wir so: Wir sind nicht angetreten, um Zehnter zu werden.

STANDARD: Sondern?

Lorenz: Das Ziel ist mittelfristig ein Angebot, das es aufs Treppchen schafft, also Top drei.

STANDARD: Sie treten damit gegen Produktionsbudgets von geschätzt 17 Milliarden Dollar bei Netflix an, auch bei Amazon und Disney geht es global um Milliarden. Wie viel Geld nehmen A1 und Canal+ denn hier in die Hand?

Lorenz: Es ist eine Summe, die für den österreichischen Markt relevant ist. Kleinere Partner hätten Schwierigkeiten gehabt, diese Summe aufzustellen. Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass man so ein Produkt alleine für Österreich bauen kann. Dann fressen einen die Rechtekosten auf.

Van Hout: Es ist schön, wenn man ein Content schaffendes Unternehmen sein kann. Und da kommt natürlich die internationale Canal+-Gruppe ins Spiel, die weltweit in Inhalte und Rechte investiert. Davon und vom internationalen Know-how profitiert Canal+ Austria. Die Gruppe kooperiert auch mit allen großen Streamern, sie verkauft Serien an Netflix, Amazon zum Beispiel. Und es gibt Koproduktionen mit lokalen Broadcastern weltweit. Damit schafft man große Volumina für Produktionen, die man natürlich nicht allein in Österreich zurückverdienen kann – und in diesem Rahmen auch nicht muss.

STANDARD: Gibt es mit österreichischen Sendern Überlegungen oder Gespräche für Koproduktionen?

Van Hout: Ja, solche Pläne gibt es. Aber darüber können wir erst sprechen, wenn sie fix und finanziert sind. Das braucht natürlich Vorlaufzeit.

Lorenz: Wir werden sicher zwei, drei Jahre brauchen, um das in einem bestehenden Markt hochzufahren. Und es ist natürlich auch eine Frage, ob die österreichische Politik willens ist, größere Produktionen wieder nach Österreich zu holen.

Van Hout: Ich glaube, da kommt jetzt eine schöne Dynamik auf.

STANDARD: Der Fernsehfilmfonds der RTR für TV-Produktionen und auch der Privatrundfunkfonds sind für Fernsehen gewidmet, aber bisher nicht für Streaming.

Van Hout: Wir haben eine gute Gesprächsbasis mit der RTR und sind auch im Gespräch über Förderungen.

Lorenz: Nach welchen Kriterien diese Förderungen vergeben werden, habe ich in drei Jahren nicht ganz durchblickt. Ich glaube, das Land ist gut für europäische Geschichten, die auch im Ausland gut funktionieren können. Das sollte auch in Zukunft möglich sein. Es gibt genügend kreatives Potenzial, das muss man zusammenbringen.

STANDARD: Wenn Sie zu anderen Streamingangeboten dazugebucht werden wollen, werden Sie den Preis vielleicht nicht allzu ambitioniert ansetzen. Was soll Canal+ Austria kosten? Ist mit Kampfpreisen zu rechnen?

Van Hout: Das Pricing werden wir erst im ersten Quartal bekanntgeben. Aber wir wollen das Produkt über die Qualität verkaufen.

Lorenz: Wir glauben nicht, dass Kampfpreise sinnvoll wären. Wir sehen, was bei anderen funktioniert und was nicht. Wenn Sie die Inhalte mögen, sind Sie bereit zu zahlen. Wenn sie sie nicht mögen, kann ich das Angebot so billig machen, wie ich will, Sie schauen sich das trotzdem nicht an.

Van Hout: Aber wir werden die Preise so ansetzen, dass wir möglichst viele Menschen erreichen. Und wir werden auch kreative Wege finden, um diese Zielgruppen zu erreichen.

STANDARD: Nicht kreativ, aber vielleicht effektiv: Werde ich zu jedem A1-Vertrag Canal+ dazubekommen? Das könnte den Platz unter den Top-drei-Streamingangeboten natürlich erleichtern.

Lorenz: Es wird ein kommerziell sinnhaftes Modell, wir werden nichts verschenken. Es wird sicher Bundle-Angebote geben. Aber das ist kein Angebot, um ein Kommunikationsangebot zu stützen, sondern ein Angebot für den österreichischen Markt. Wir laden auch weitere Partner ein, in den Vertrieb einzusteigen. Hier geht es nicht um einen exklusiven Distributionskanal von A1. Ich glaube nicht, dass das funktionieren würde. Wir haben uns entschieden, ein Inhalteprodukt zu machen, das auch allein funktionieren soll. Und wenn andere Unternehmen aus dem Telekommarkt das auch vertreiben wollen, dann hätten wir kein Problem damit. Die Möglichkeit ist auch explizit in den Verträgen so vorgesehen. Unser Wettbewerb ist nicht hier in Österreich. Der Wettbewerb, dem wir uns mit diesem Produkt stellen müssen, kommt aus Amerika.

STANDARD: A1 hat es in seinem Streamingangebot schon mit Livespielen der Bundesliga versucht und auch bei anderen großen Fußballrechten mitgeboten. Wird sich Canal+ Austria neben Film, Serie, Doku auch um Sportrechte bemühen?

Van Hout: Sport ist natürlich Teil der DNA von Canal+. Aber es ist derzeit nicht geplant. Wir brauchen keinen Sport, um Reichweite zu schaffen.

Lorenz: Auf absehbare Zeit, Jahre ist das nicht geplant. Der Sportrechtemarkt in Österreich ist sehr schwierig. Teilweise hängt da Österreich am großen deutschen Markt. Und die rechtlichen Vorgaben, was alles im Free TV laufen muss, erschweren das zusätzlich. Wir haben uns also entschieden, zum Start auf Doku, Fiction, Drama zu setzen. Von dort aus muss man weitersehen. (Harald Fidler, 17.12.2021)