Über 1.000 Exponate des Pioniers und Gestalters werden im Museum für angewandte Kunst ausgestellt. Hier: ein Aufsatz mit zwei Henkeln für die Wiener Werkstätte aus Messing, 1924.
Foto: MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien / Georg Mayer

Hand aufs Herz. Die meisten Zeitgenossen kennen Josef Hoffman eher vom Hörensagen. Wenn überhaupt. Manch einer hat von ihm gehört als Mitbegründer der Wiener Secession oder der Wiener Werkstätte, als Freund Gustav Klimts. Als Strebender nach dem Gesamtkunstwerk, Wegbereiter der Moderne, der wie seine Konsorten Adolf Loos, Otto Wagner und andere die Welt von gestern in eine Welt von morgen führten, so unterschiedlich diese Protagonisten unter dem Deckmäntelchen der Moderne auch werken mochten. Das hat nicht nur Kaiser Franz Joseph I. wenig gefreut, denn ihre Entwürfe standen für eine Revolution, provozierten und hatten das Zeug dazu, den Staub des schwülstigen Historismus hinfortzublasen.

Doch wo fängt diese Moderne an, wo hört sie auf? Der Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring, auch Gastkurator der soeben eröffneten Hoffmann-Retrospektive "Fortschritt durch Schönheit" im Mak, meinte einmal: "Das zentrale Thema der Moderne war, dem Individuum eine Stimme zu geben, und zwar indem man Schönheit und Lebensstil über Kunsthandwerk und Industrialisierung erstmals einer breiten Masse zugänglich gemacht hat. Geschichte und Ästhetik – das ist in der Moderne nicht nur ein elitärer Herrschaftsanspruch, sondern ein breites Mittel für den mündigen Konsumenten."

Hoffmann gestaltete auch zahlreiche Bauten, unter anderen das Sanatorium Westend in Purkersdorf, 1905.
Foto: Wolfgang Woessner / MAK

Gebrauch ohne Schranken

Auf die Frage, wie breit dieses Mittel daherkommt und wie mündig Josef Hoffmann, dieser Geschmacks- und Identitätsstifter, seine Zeitgenossen einschätzte, gibt es nun eine ganze Menge Antworten im Wiener Museum für angewandte Kunst, das unter dem Titel "Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit" die bisher umfassendste Hoffmann-Retrospektive überhaupt zeigt.

Kurator und Mak-Kustode Rainald Franz sowie die Gastkuratoren Matthias Boeckl und Christian Witt-Dörring zeigen über 1.000 Exponate, die in 20 Kapitel gegliedert sind, die sich mit dem Schaffen Hoffmanns beschäftigen, der 1870 in Brtnice, im heutigen Tschechien, geboren wurde und u. a. bei Otto Wagner und Carl Hasenauer an der Akademie der bildenden Künste studierte.

Der 1956 gestorbene Hoffmann gestaltete während seines 60-jährigen Schaffens unzählige Gebrauchsgegenstände wie Möbel, Besteck, Services, Glas, Schmuck, Ausstellungsarchitekturen, Inneneinrichtungen und herausragende Bauten, darunter das zum Unesco-Welterbe zählende Palais Stoclet in Brüssel, das Sanatorium Westend in Purkersdorf, seinen Beitrag zur Werkbundsiedlung oder Österreichs Pavillon für die Biennale in Venedig aus dem Jahr 1934.

Im Zentrum der Ausstellung sticht ein großer Kubus heraus, in dem eine Rekonstruktion des "Boudoir für einen großen Star" aus dem Jahre 1937 zu sehen ist – mit Ruhebett.
Foto: Nathan Murrell / MAK

Fauteuil trifft Ornament

Die Mak-Schau, in der Hoffmann die Besucher mit gezwirbeltem Schnurrbart von einem Foto heruntergrüßt, hat vieles drauf. Sie ist, da kann man Mak-Direktorin Lilli Hollein nur recht geben, eine der "Superlative". Die geometrisch gestreuten Exponate, all die Plakate, Zeichnungen und Objekte haben mannigfaltige Auftritte. Viele von ihnen sind in Vitrinen versammelt, die einen in Reih und Glied stehend erwarten.

Die gelungene Atmosphäre könnte als streng mit einem kleinen Schuss Gemütlichkeit beschrieben werden, auch als sinnlich, aber strukturiert. Im Zentrum, sozusagen dem Herzstück der Ausstellung, sticht ein großer Kubus heraus, in dem eine Rekonstruktion des "Boudoir für einen großen Star" aus dem Jahre 1937 zu sehen ist. Der Raum besticht durch Glas, Silber, eine Chaiselongue, einen Fauteuil und spärlich rankendes Ornament. In der Tat kann man sich hier Marlene Dietrich in Erwartung eines Schäferstündchens vorstellen.

Teile eines Silberbestecks von Josef Hoffmann, ausgeführt von der Wiener Werkstätte 1903.
Foto: Aslan Kudrnofsky / MAK

Vollendete ewige Schönheit

Fortschritt durch Schönheit also, durch etwas, das Hoffmann nicht länger als ein Privileg der Reichen sehen wollte. "Nichts auf der Welt kann das Kunstwerk verdrängen, und nur das kann von wertvoller Dauer sein, das nach Vollendung und ewiger Schönheit strebt", sagte Josef Hoffmann. Nun liegt Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters, und das verändert sich im Laufe eines Jahrhunderts.

Betrachtet man die Objekte heute, macht es sich also bezahlt, eine reflektierte Zeitreise zuzulassen, in jene Epoche, in der sie entstanden sind. Was die Aktualität dieser Welt von gestern betrifft, meint Designer und Architekt Gregor Eichinger, der für die Ausstellungsarchitektur verantwortlich zeichnet: Josef Hoffmanns Œuvre sei ein sehr emotionales, das daher auch in der Zukunft von Bedeutung sein werde.

Und Ex-Mak-Direktor Christoph Thun-Hohenstein sagte anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des Hauses vor sieben Jahren: "Das Thema der Moderne, als es erstmals gelungen war, neue, bürgerlichere Käuferschichten zu erschließen, ist aktueller denn je." (Michael Hausenblas, 14.12.2021)