Moderner als gedacht: Oberösterreichs Bürgermeister über die Bedürfnisse in ihren Gemeinden. Im Bild: Wartberg im Mühlviertel.
Foto: Getty Images / iStock / Bruno il Segretario

Von Kinder- und Altenbetreuung bis Verkehr und Wohnbau: Viele Entscheidungen in diesen gesellschaftlichen Bereichen werden auf Gemeindeebene getroffen. Hier sind es die Bürgermeister, die alles unter einen Hut bringen und besonders nah an den Bedürfnissen ihrer Bürger dran sein sollen.

Diesen Gedanken folgend, hat das Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (ISW) in Linz in Kooperation mit der Arbeiterkammer Oberösterreich und dem Städte- und Gemeindebund eine Studie durchgeführt, bei der die Ortschefs in Oberösterreich nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen befragt wurden.

Neben Kinder- und Altenbetreuung waren dabei auch der Zustand von Gemeindeinfrastrukturen, der Arbeitsmarkt, Wohnen sowie der Investitionsspielraum Themen. 21 Prozent der 438 Ortschefs aus unterschiedlich großen Gemeinden in Oberösterreich folgten dem Aufruf zu einer ausführlichen Onlineumfrage. Ihr gingen explorative Interviews mit Bürgermeistern ausgewählter Gemeinden voraus, um das Feld für die Studieninhalte thematisch abzustecken.

Eine Conclusio, die Matthias Specht-Prebanda vom ISW, der die Studie mit seinem Kollegen Heinz Stöger umsetzte, daraus zieht, ist, dass man alte Vorurteile über ländliche Gebiete abbauen sollte: "Ich war durchaus überrascht davon, wie stark auch durchwegs moderne Bedürfnisse – etwa bezüglich Kinder- und Altenbetreuung oder im Wohnbau auf dem flachen Land – spürbar werden", sagt Specht-Prebanda.

Frühkindliche Betreuung und Senioren-WGs

"46 Prozent der befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sehen hohen oder sehr hohen Bedarf an Kleinkindbetreuung. Aber nur 22 Prozent geben an, dass die finanziellen Ressourcen ausreichend seien", sagt Matthias Specht-Prebanda über eines der Ergebnisse. Gleichzeitig wird aber auch ein hoher Personalbedarf betont, der – selbst wenn die Mittel verfügbar sind – nicht immer gedeckt werden kann. "Man kann die Ergebnisse durchaus so interpretieren, dass frühkindliche Betreuung im ländlichen Raum heute besser akzeptiert ist als in früheren Zeiten", resümiert der Studienautor.

Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in der Altenbetreuung. "Hier ist etwa interessant, dass von 62 Prozent der Bürgermeister eine hohe Notwendigkeit für alternative Formen wie Senioren-WGs oder andere Varianten eines betreuten Wohnens gesehen wird", erklärt der Sozialforscher. "Ebenso viele streichen aber auch den Bedarf an einer starken finanziellen Förderung in diesem Bereich hervor."

Sozialengagement und Ausbau der Radwege

Auch am Arbeitsmarkt ist soziales Engagement zu verzeichnen. Hier kann sich immerhin die Hälfte der Bürgermeister vorstellen, dass sie Asylwerber oder subsidiär Schutzberechtigte beschäftigen. 34 Prozent geben an, dass das bei ihnen bereits gängige Praxis ist. Auch Bereitschaft für die Aufnahme zusätzlicher Asylwerberfamilien in der Gemeinde ist gegeben. "Nur ein Fünftel der Befragten ist nicht bereit, hier in irgendeiner Form Hilfe zu leisten", erklärt der Studienautor.

Nächstes Thema: kommunale Infrastruktur. Den höchsten Sanierungs- und Neuerrichtungsbedarf – auch das mag überraschend anmuten – sehen die Ortschefs nicht nur bei Autostraßen und Gemeindebauten, sondern auch im Geh- und Radwegnetz.

"Bereits in den explorativen Interviews wurde klar, dass die Gemeinden beim Verkehrswegebau keine Entweder-oder-Strategie verfolgen. Einerseits investiert man in den Straßenverkehr, andererseits werden aber auch Radwege, öffentlicher Verkehr und Angebote wie Sammeltaxis gefördert", sagt Specht-Prebanda.

Leerstände im Ortskern

Im Bereich Wohnen wird besonders der Mangel an bebaubaren Flächen hervorgehoben. "Für drei Viertel der Befragten ist die Ressource Bauland in ihrer Gemeinde nur knapp oder sehr knapp bemessen", sagt der Studienautor. "Gleichzeitig sehen aber – auch ein überraschender Aspekt – 60 Prozent die Möglichkeit, bestehende Leerstände im Ortskern zu verwenden. Gerade die Senioren-WGs sind hier eine Option."

Mittlerweile werden auch in kleinen Gemeinden vermehrt Mehrparteienhäuser gebaut. "Selbst in einem Drittel jener Gemeinden, die höchstens 1500 Einwohner aufweisen, werden Projekte im Bereich des gemeinnützigen Wohnbaus geplant", sagt Specht-Prebanda.

Im Bereich kommunaler Investitionen ist schließlich die Corona-Krise Sorgenkind Nummer eins – knapp 90 Prozent der Ortschefs sehen durch sie starke Auswirkungen auf Gemeindefinanzen. Neben Ausfällen in der Kommunalsteuer hinterlassen vor allem die verringerten Ertragsanteile an den Bundessteuern eine Lücke im Budget, sagt Specht-Prebanda zusammenfassend. "Das kommunale Rettungspaket, das diesen Ausfällen entgegenwirken soll, ist durchaus angekommen in den Gemeinden. 70 Prozent geben an, dass dadurch Investitionen ausgelöst wurden, die sonst nicht getätigt worden wären", erklärt der Studienautor.

Dennoch blicken die Bürgermeister nicht optimistisch in die Zukunft: "Für die nächsten drei Jahre geben die Befragten an, dass sie mit einem sinkenden oder stark sinkenden Investitionsspielraum rechnen. Ein Grund dafür ist, dass die Förderpakete zum Teil lediglich Vorschüsse für künftige Steuereinnahmen sind", sagt Specht-Prebanda. (Alois Pumhösel, 5.1.2022)