Der Vormarsch der Taliban in Afghanistan hatte laut Amnesty International "zahlreiche Kriegsverbrechen und endloses Blutvergießen" zur Folge.

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Kabul – Mit einem dramatischen Appell macht die Menschenrechtsorganisation Amnesty International auf die Gräueltaten der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan aufmerksam. "Die Monate vor dem Zusammenbruch der Regierung in Kabul waren geprägt von zahlreichen Kriegsverbrechen und endlosem Blutvergießen durch die Taliban", teilte Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, in einer Aussendung mit. Tausende Zivilisten seien im ersten Halbjahr getötet worden.

Der Bericht der Organisation zeigt auf, wie stark die Frauen, Männer und Kinder in Afghanistan unter den politischen Unruhen zu leiden hatten. Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und Tötungen durch die radikal-islamischen Taliban seien vor dem Sturz der afghanischen Regierung im August 2021 auf der Tagesordnung gestanden. "Häuser, Krankenhäuser, Schulen und Geschäfte wurden zu Tatorten, an denen wiederholt Menschen verletzt oder getötet wurden", so Callamard am Dienstag.

Hohe Dunkelziffer

Nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) wurden im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 1.659 Zivilpersonen getötet und 3.524 verletzt. Dies ist ein Anstieg von 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen. Die Taliban haben in großen Teilen des Landes die Kommunikationswege für die Bevölkerung gekappt oder stark behindert.

Bei der Offensive der Taliban im Juli und August wurden gezielt Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, ehemalige Soldaten der afghanischen Streitkräfte sowie Personen, die als Sympathisanten der Regierung galten, gefoltert und bei Vergeltungsanschlägen getötet. Anfang September richtete die Terrormiliz nach der Entführung zahlreicher Männer innerhalb von 24 Stunden mindestens sechs Zivilisten außergerichtlich hin, hauptsächlich durch Schüsse in den Kopf, die Brust oder das Herz. Solche Tötungen stellen Kriegsverbrechen dar.

Afghanische und US-amerikanische Streitkräfte

Aber auch bei Boden- und Luftoperationen der afghanischen Streit- und Sicherheitskräfte und des US-Militärs soll es zivile Opfer gegeben haben. Bei mindestens vier Luftangriffen in den vergangenen Jahren wurden laut dem Bericht insgesamt 28 Zivilpersonen getötet, darunter auch acht Kinder. Weitere Personen wurden verletzt. Die USA sollen Bomben in dicht besiedelten Gebieten abgeworfen haben. In acht dokumentierten Fällen von Bodenkämpfen sind insgesamt zwölf Zivilpersonen getötet, darunter sechs Kinder, getötet worden. Zudem gab es weitere Verletzte.

Afghanische Einsatzkräfte, die von den USA ausgebildet wurden, setzten zudem häufig Mörserangriffe ein. Dabei sollen Wohnhäuser beschädigt oder zerstört und Zivilisten, die sich dort versteckten, getötet worden sein. Der Einsatz von Mörsern, der in bewohnten Gebieten laut dem Bericht naturgemäß wahllos erfolgt, kann ein Kriegsverbrechen darstellen.

Die Menschenrechtsorganisation appelliert an den Internationalen Strafgerichtshof, Ermittlungen zu US-amerikanischen wie afghanischen Militäroperationen wieder aufzunehmen. "Die afghanische Bevölkerung hat zu lange gelitten. Die Opfer müssen jetzt Zugang zur Justiz erhalten und entschädigt werden", so Callamard. (APA, 15.12.2021)