Die Baustelle für die Stadtstraße gilt seit mehr als drei Monaten als besetzt.

Foto: Karl Schöndorfer / Toppress

Die Anwaltsbriefe im Auftrag der Stadt Wien wegen der Besetzung von Baustellen für die Stadtstraße ziehen weitere Kreise als ursprünglich gedacht. So wurden nicht nur den Aktivistinnen und Aktivisten im Protestcamp Schadenersatzforderungen angedroht, sondern auch Unterstützern der Proteste, die nach Eigenangaben bis dato nicht an der Besetzung beteiligt waren. Zwei davon sind die TU-Verkehrsexperten Barbara Laa und Ulrich Leth. Verschickt wurden die Briefe von der Kanzlei des ehemaligen SPÖ-Justizsprechers Hannes Jarolim.

Laa wurde der an sie gerichtete Brief an die Adresse ihrer Mutter geschickt, wo sie seit 2018 nicht mehr gemeldet ist. "Ja, ich leiste gerne mentale Unterstützung für die jungen Menschen, die wissenschaftlich fundiert für ihre Zukunft kämpfen, und lass mich von diesem skandalösen Schreiben sicher nicht einschüchtern und mundtot machen", schrieb Laa auf Twitter. Der Brief an Leth, der ebenfalls via Social Media das Straßenbauprojekt kritisierte, enthielt Fehler bei der Privatadresse.

Auch ihm wird vorgeworfen, dass er sich "an der Behinderung der Bauführung zur Errichtung der Stadtstraße Aspern" beteilige. "Wie denn?", kontert Leth. "Indem ich wissenschaftlich fundierte Fakten aufzeige, die eventuell gegen den Bau sprechen?" Auf der Baustelle sei Leth noch nicht gewesen.

Auch Briefe an 13- und 14-Jährige falsch adressiert

Wie berichtet wurden per Brief auch einer 13-jährigen sowie einer 14-jährigen Schülerin Schadenersatzforderungen seitens der Stadt angedroht. Sie erhielten die Anwaltspost nach Informationen des STANDARD per E-Mail. Denn die postalische Adresse war in beiden Fällen völlig falsch geschrieben.

Adressiert waren beide Briefe an eine Organisation namens Jugend-Rat in Neumarkt im Mühlkreis in Oberösterreich. Dahinter steht aber der "Verein für beherzte Gesprächskultur und Selbstermächtigung", der nichts mit der Baustellenbesetzung in Wien zu tun hat.

Möglicherweise wollten die Anwälte der Stadt Verantwortliche des Jugendrats anschreiben, recherchierten im Internet und kamen auf die Seite www.jugend-rat.at. Diese führt zu besagtem Verein in Oberösterreich. Die Organisation Jugendrat, die mit anderen NGOs hinter dem Protestcamp gegen die Stadtstraße steht, ist hingegen unter www.jugendr.at zu finden. Allerdings fehlt auf der Seite ein Impressum.

Politisch gesehen spricht sich mit SPÖ, ÖVP, FPÖ und neuerdings auch den Neos die überwiegende Mehrheit der Parteien für die Stadtstraße aus. "Wir tragen den Bau der Stadtstraße mit und fühlen uns dem Koalitionsabkommen verpflichtet", sagt eine Sprecherin des pinken Vizebürgermeisters Christoph Wiederkehr dem STANDARD. Nur die Grünen sprechen sich, neben SPÖ-Jugendorganisationen, aktuell dagegen aus – auch wenn das Straßenprojekt noch unter Rot-Grün vorangetrieben wurde.

Demonstration für Donnerstagnachmittag angekündigt

Lena Schilling vom Jugendrat nannte das Vorgehen der Stadt eine "Einschüchterungsstrategie" und kündigte für Freitag eine Demonstration an, die auch von den anderen Umweltorganisationen mitgetragen werde. Details sollen am Mittwoch bei einer Pressekonferenz genannt werden. Das Protestcamp gegen die Stadtstraße gilt jedenfalls seit vergangenem Donnerstag als polizeilich aufgelöst, die Stadt als Grundstückseigentümerin beendete damit die Duldung des Camps. Rein rechtlich stehen nur noch die Aktivistinnen und Aktivisten einer Wiederaufnahme der Bautätigkeiten für die Straße entgegen. Die Besetzer befürchten daher die Räumung des Protestcamps. (David Krutzler, 15.12.2021)