Erst seit diesem Semester ist die neue Kettenvertragsregelung in Kraft. Doch die Rufe nach einer baldigen Reform werden lauter.

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Vor mehr als einem halben Jahr wurde die neue Uni-Kettenvertragsregelung von Türkis-Grün im Parlament beschlossen, seit mehr als zwei Monaten ist die Änderung des berüchtigten Paragrafen 109 des Universitätsgesetzes (UG) nun in Kraft. Momentan sorgt sie bei vielen Nachwuchswissenschaftern, aber auch älteren stets befristet angestellten Forschern vor allem für Verunsicherung und Rätselraten. Von der politisch versprochenen erhöhten Planbarkeit akademischer Karrieren samt klarer Perspektive auf den Zeitpunkt einer möglichen Entfristung ist aktuell nichts zu sehen.

Das Kernstück der Reform bildet die Deckelung aneinandergereihter befristeter Verträge auf insgesamt acht Jahre. Es ist daher im Unterschied zu früher auch nicht zulässig, nach den acht Jahren eine Pause einzulegen und daraufhin von vorne eine neue Kette von Befristungen an derselben Uni zu beginnen. Nach acht Jahren muss sich die Uni also entscheiden, ob sie einer bis dahin befristet beschäftigten Wissenschafterin oder einem Wissenschafter eine dauerhafte Stelle anbietet oder auf Nimmerwiedersehen sagt.

Schwierige Auslegung

Doch schon die Frage, welche bisherigen und künftigen Anstellungen nun in die Acht-Jahr-Spanne einzurechnen sind und welche nicht, stiftet vielerorts Verwirrung. Das wurde zuletzt bei einer Online-Diskussionsveranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie deutlich, bei der auch die zuständige Referatsleiterin der Hochschulsektion des Wissenschaftsministeriums am Podium mitdiskutierte. Sie zeigte sich ob so mancher Erzählung über die Berechnungspraxis der Uni-Personalabteilungen ehrlich verdutzt. Dass die Auslegung der neuen Bestimmungen je nach Uni-Standort offenbar verschieden ist, macht den Durchblick nicht einfacher. Bei den Betriebsräten laufen die Telefone heiß.

Was sich aber jetzt schon abzeichnet, sind die wohl unbeabsichtigten Folgen der Novelle auf die Personalsituation in der Lehre. Die hängen damit zusammen, dass der neue 109er einen Anreiz zur Ablehnung von – auch kleinen – Lehraufträgen während des Doktoratsstudiums setzt. Denn Prae-doc-Stellen an sich sind zwar von der Einrechnung in die Achtjahresdeckelung ausgenommen: Sobald man daneben aber ein paar Stunden in der Lehre aktiv ist, schlägt die Einrechnung sehr wohl voll zu.

Eine Doktorandin, die die eigentlich erwünschten Erfahrungen in der Lehre sammelt, verkürzt sich damit also jene Zeit, die sie nach Abschluss des Doktorats an der Uni bleiben darf (sofern sie danach nicht die begehrte, aber seltene Fixanstellung erhält). Wegen dieser nachteiligen Rechnung verzichteten bereits für dieses Semester viele Nachwuchswissenschafter auf das Abhalten von Lehrveranstaltungen, wie Heinz Engl, Rektor der Uni Wien, dem STANDARD sagte: "Wir haben in manchen Fächern ein Problem in der Abdeckung der Lehre, das unmittelbar auf die Novelle zurückzuführen ist." Engl urgiert daher eine rasche gesetzliche Überarbeitung besagter Zählweise.

Kritik an Auswüchsen von Wettbewerbsdruck

Eine deutlich umfassendere Kritik am neuen Kettenvertragsparagrafen, die auch die Rektorate nicht aussparte, lieferte am Mittwoch eine Pressekonferenz im Rahmen der Initiative "Diskurs-Wissenschaftsnetz". Ökonom Stephan Pühringer von der Uni Linz befand, dass es sich die Unis mit der Kettenvertragsregelung, die in ihrer alten und neuen Form eine Ausnahme vom allgemeinen Arbeitsrecht darstellt, zu bequem machen: "Die müssen niemanden kündigen, die Zeit läuft einfach ab."

Im internationalen Vergleich sei der in Österreich mit 80 Prozent besonders hohe Anteil befristeter Stellen im akademischen Betrieb auffällig. Der durch die Verknappung von Dauerstellen entstehende Wettbewerbsdruck zeitige allerdings negative Folgen. Vielversprechende Nachwuchswissenschafter würden entnervt aufgeben und mit ihrer Expertise dem Wissenschaftssystem verlorengehen, weil sie für eine stabile Lebensplanung und Familie mehr Existenzsicherheit benötigen, als ihnen die Unis bieten. Pühringers Fazit: "Dieser Wettbewerb fördert nicht die Besten, sondern bevorzugt jene, die mehr Ressourcen haben, sich diesem Wettbewerbsdruck aussetzten zu können."

Rushhour des Lebens

Stephanie Widder sieht durch die prekäre Perspektive des akademischen Mittelbaus vor allem weibliche Forscherinnen betroffen. Sie ist Sprecherin des Elise-Richter-Netzwerks, eines Zusammenschlusses von Forscherinnen, die kompetitive FWF-Drittmittel des Elise-Richter-Exzellenzprogramms eingeworben haben. Für Frauen seien aufeinanderfolgende Drittmittelprojekte ein wichtiger Karrierepfad, doch eine Festanstellung aus Mitteln des Uni-Budgets nach Ende der Projekte sei leider unüblich. In Verbindung mit der neuen Begrenzung auf acht Jahre blühe somit die Gefahr eines Karriereendes nach Ablauf dieser Frist. Das steigere den Druck auf Frauen in ihren 30ern – gerade "in der Rushhour des Lebens", wie Widder sagte –, ihre akademische Laufbahn weiter zu beschleunigen, wenn sie überhaupt eine Chance auf eine Dauerstelle wahren wollen. Neben einem stärkeren Fokus auf Geschlechtergleichstellung fordert Widder, dass sich die Hochschulen vielschichtigere Karrieremodelle überlegen. Die Erreichung einer Professur dürfe nicht der einzige Weg zu einer unbefristeten Stelle sein.

Keine Revolution über Leistungsvereinbarungen

Ökonom Pühringer hob hervor, dass die Regierung durchaus erkannt habe, dass die raren Entfristungen an den Unis ein Problem seien. Schließlich sei ja die Einführung der Maximaldauer an Befristungen auch von der Absicht getragen gewesen, dass die Uni-Leitungen bewährte Mitarbeiter spätestens nach acht Jahren fix anstellen müssen, wenn sie sie nicht verlieren wollen. Er zweifelt allerdings daran, dass die selbst unter finanziellem Druck stehenden Rektorate diese Hoffnung erfüllen werden.

Spannend scheinen vor diesem Hintergrund die neuen dreijährigen Leistungsvereinbarungen zwischen Ministerium und Unis, die bereits verhandelt wurden und dieser Tage publiziert werden. In der UG-Novelle wurde nämlich in Reaktion auf Proteste verankert, dass in den Leistungsvereinbarungen erstmals auch "Maßnahmen zur Verstetigung von Beschäftigungsverhältnissen" paktiert werden sollen. Allzu effektiv dürfte diese Bestimmung zumindest bei den aktuellen Leistungsvereinbarungen aber nicht ausgefallen sein, zumal derlei Vorgaben bei den Uni-Leitungen auf wenig Gegenliebe stoßen. Das räumt man selbst in der Hochschulsektion des Wissenschaftsministeriums ein, wie eine Aussage von Referatsleiterin Christine Perle verdeutlicht: "Ich muss ehrlich zugeben, wir hätten uns mehr gewünscht." (Theo Anders, 16.12.2021)